Erster Tag in der Comunidad: Fußball als Völkerverständigung
Das Leben in einer Comunidad der Kichwa ist wirklich etwas anderes. Ich muss ja gestehen, dass ich mit ziemlich gemischten Gefühlen nach Shandia gefahren bin. Ich wusste ja nicht, wie man mich dort empfangen würde und wie ich mit meinen mäßigen Spanischkenntnissen dort ganz alleine zu Rande kommen würde.
Der Empfang war jedenfalls sehr freundlich. Man hatte mich schon erwartet, denn ein Empfangskomitee von drei Jugendlichen begrüßte mich an der örtlichen Tienda (= unserem "Tante Emma-Laden") und leitete mich zugleich zu meinem Schlafquartier, wo ich meine Sachen unterbringen konnte. Zu dem Zeitpunkt konnte ja noch niemand ahnen, was mich dort noch erwarten würde ... Das Schlafquartier ist ein in traditioneller Bauweise aus Palmenblättern und Bambuswänden errichtetes Gebäude. Diese Bauweise, ist nur noch selten in den Comunidades der Region zu finden, weil man städtischer sein möchte. Jetzt hat man lieber Holzwände und ein Blechdach, die aber bei Regen einen Höllenlärm macht, während die traditionellen Palmwedeldächer fast lautlos bleiben. Das ist nicht unwesentlich, denn hier im Oriente regnet es ja oft! Man möchte halt den Fortschritt mit aller Macht! Hier im touristischen Gästehaus gibt es erstaunlicherweise fließendes Wasser und ein WC. Kurz: Ich war zunächst einmal positiv überrascht. Bevor wir uns abends bei Kerzenschein (der Strom war, wie so oft, mal wieder ausgefallen) zur Versammlung der Jugendlichen trafen, wurde erst einmal ausgiebig Fußball gespielt, hier ist nämlich jeder total fußballverrückt. Und sogleich musste ich meine unterdurchschnittlichen Fußballkenntnisse hervorkramen: Wo denn Michael Ballack und Jens Lehmann so spielen und welches meine Lieblingsmannschaft sei usw. Auf der Versammlung wurden nach längerem Gerede Gruppen gebildet, um mich bei meiner Wanderung zu leiten und zu begleiten.
Hausmittel gegen Einsamkeit
Es war schon wirklich spät, als die Versammlung beendet war. Ich wollte mich also ins Bett begeben und machte mich auf den Weg in meine Unterkunft. Auch dorthin wurde ich begleitet. Ich staunte nicht schlecht, als sich zwei Leute meines Empfangskommandos in das Bett neben meinem legten. Man bestand darauf, mich in der ersten Nacht nicht allein zu lassen. Man wollte partout vermeiden, dass ich mich alleine fühle. Außerdem, so sagte man mir, ist dann jemand da, falls ich mitten in der Nacht Fragen hätte. Nun gut, also übernachteten wir zu dritt, und nein, Fragen sind mir beim Schlafen leider keine eingefallen...Da merkt man den kulturellen Unterschied: Hier ist man halt so gut wie nie alleine. Besser gesagt: Man hat scheinbar sogar Angst davor, allein zu sein, denn jede Familie hat ja mindestens sechs Kinder. (Diego von Kallari ist sogar zwölffacher Vater!)
Ab in den Dschungel!
Am nächsten Morgen ging es früh gegen 7 Uhr los in den Dschungel. Mit der Machete wurden Wege durch den zum Teil extrem unzugänglichen Sekundärwald geschlagen und - für mich völlig unverständlich - zielgenau von einem Punkt zum nächsten navigiert. Schon bald verlor ich die Orientierung, und am Ende hatte ich nicht mehr den leisesten Schimmer, wo ich entlang wanderte. Ich staunte dann nicht schlecht, als wir zum Schluss am anderen Ende der Comunidad aus dem Wald traten. Wir schienen immer wieder denselben Fluss zu durchqueren. Natürlich waren die Gummistiefel, die hier zur Grundausstattung eines jeden Regenwalddurchquerers gehören, viel zu niedrig für die Flüsse. Schon bald stand ich bis zu den Hüften im schnell fließenden Wasser und hatte Mühe, mich aufrecht zu halten. Eine Watthose wäre wohl angebrachter gewesen. Mit mindestens zwei Liter Wasser in den Stiefeln stampften wir weiter. Dabei fiel es mir schwer, dem Anführer unserer Gruppe, Don Isaac, zu folgen, obwohl dieser noch nebenbei mit der Machete den Weg für uns ebnete.
Auf einmal wurden alle unruhig und begannen an einer für mich x-beliebigen Stelle zu graben. Dort hatte sich ein Gürteltier fatalerweise auf unserem Weg im lockeren Erdreich zum Schlafen gelegt. Man buddelte mit der Machete, wobei ich mal wieder staunte, wie universell dieses Werkzeug gebraucht werden kann. Da ich mir den Anblick ersparen wollte - denn ich ahnte ja, was kommen würde - ging ich alleine weiter den Fluss entlang und wartete in einiger Entfernung das Ende des Gürteltieres ab. Zum Glück gab es keinen Ton von sich. Ich wunderte mich schon seit Beginn meiner Reise, warum man hier so selten wilde Tiere sehen kann. Jetzt weiß ich es: Jedes unvorsichtige Tier landet kurzerhand in den Kochtopf. Das ist dann wohl auch mit diesem Gürteltier passiert.
Man versicherte mir, dass es ganz hervorragend schmecken soll und bot mir an, später mitzuessen. Ich lehnte dankend ab. Einer unserer Gruppe brachte es schnell nach Hause, wo es dann zum Mittagessen meiner Begleiter wurde.
Kleintiere in Übergröße
Dass man kaum wilde Tiere sehen kann, stimmt übrigens nicht so ganz, denn es gibt hier einen ganzen Haufen Insekten in sämtlichen Größen und Häufigkeiten. Vor allem Ameisen sind hier allgegenwärtig. Vor denen sollte man sich übrigens in Acht nehmen, denn manche können stechen wie bei uns die Wespen. Das Haus von Carlos in Tena ist übrigens von gleich zwei verschiedenen Ameisenarten bevölkert. Wenn man das Geschirr nach dem Essen nicht gleich abwäscht, kann man später einen ganzen Ameisenstaat von ca. 1,5 Millimeter großen Winzlingen von den Tellern spülen. Die andere weit größere Ameisenart hat eine Autobahn quer durch das Haus gebaut. Glücklicherweise kommen diese aber nur in völliger Dunkelheit aus ihrem Versteck, also erst dann, wenn man das Licht ausgeknipst hat (oder der Strom mal wieder ausgefallen ist).
Im Wald kann ich von einer 20 Zentimeter langen Stabheuschrecke berichten, von bunt schillernden Käfern und von einer Vielzahl wunderschöner Schmetterlinge. Übrigens muss ich dringend revidieren, dass die Spinne auf dem Klo von Carlos riesig sei. VIEL größere Spinnen leben nämlich in meiner Unterkunft in Shandia. Dort krabbeln im Palmwedeldach die größten Spinnen herum, die ich je in freier Wildbahn gesehen habe. Es ist eine Wolfspinnenart, die etwa handgroß ist, wobei der Körper nur die Größe eines Daumens hat. Unter dem Dach würden sie mich ja nicht so sonderlich stören, nur haben meine achtbeinigen Freunde leider die Angewohnheit, nachts ihre Jagdausflüge bis in meinen Betätigungsbereich auszudehnen. Ich habe einen Höllenrespekt vor meinen Mitbewohnern und freue mich, dass ich ein Moskitonetz über meinem Bett habe! (Ich hoffe mal, dass das genug abschreckt und ich nicht irgendwann nachts überwandert werde!) Allerdings leben hier auch Kakerlaken in ähnlicher Übergröße, was mich etwas tröstet. Ich möchte nicht wissen, wie groß deren Population ohne die Spinnen wäre.
Käferlarven als Mittags-Snack
Lustig wurde es, als sich jemand aus unserer Regenwaldwandergruppe an einer umgefallenen Chontapalme mit der Machete zu schaffen machte. Der Verrottungsprozess der Palme war schon im vollen Gange und es roch säuerlich nach Silage. Nach kurzer Zeit holte man mit geschickten Fingern etwa 8 mal 3 Zentimeter große, wabernde, weißlichgelbe Käferlarven aus dem Stamm und wickelte diese für den Transport in Bananenblätter. Eine Käferlarve wurde dabei verletzt und es quollen weißliche Innereien heraus, die sogleich von meinen Begleitern wie ein Lolly aufgeleckt wurden. Spätestens dann war mir schlecht... Zu Mittag gab es an diesem Tag gebratene Käferlarven mit Reis. Für mich gab es zum Glück Nudeln, denn ich weigerte mich auch dieses Mal die "Spezialität" des Waldes zu probieren.
Am Donnerstag wollte ich nach einem weiteren Regenwaldkartiertag nach Tena zurückfahren, weil am Freitag Morgen eine Sitzung mit den Leuten von FLOAGRI geplant war. Da man mir in meiner Unterkunft in Shandia pro Nacht 13$ berechnet, musste ich 65$ für meine fünf Tage berappen, was ich wirklich teuer finde. Also entschied ich mich in Zukunft in Tena zu wohnen und nur zum Arbeiten nach Shandia zu fahren. Als ich meinen Plan in der Comunidad berichtete, war man wenig davon erbaut. Man schwieg mich danach an und redete nur noch Kichwa miteinander. Ich habe den Eindruck, dass man jetzt wohl weniger gern mit mir zusammenarbeiten möchte. Aber ich bin ja zum Arbeiten hier und nicht dafür, mein Geld zu verschleudern. Also fuhr ich mit gemischten Gefühlen wieder nach Tena. Bin mal gespannt, wie Morgen (Montag) die Arbeit aussehen wird. Man ist hier übrigens nicht gewohnt, acht Stunden zu arbeiten. Wenn man um 7 Uhr beginnt (was natürlich völlig illusorisch ist, denn der letzte trudelt frühestens um 7:30 Uhr ein), möchte man spätestens um 12 Uhr Schluss machen, was dann schon um 11 Uhr ankündigt wird. Aber diesen Rhythmus hat hier jeder. Warum sollte man diesen für so einen komischen Deutschen ändern, der mit einem seltsamen Gerät und einer noch seltsameren Antenne am Rucksack wie ein Astronaut herumläuft und kryptische Zahlen notiert?!
Kichwahochzeit mit Plastiklöffeln
Am Samstag waren wir in Tena zu einer echten Kichwahochzeit eingeladen. Ich ging mit den beiden inzwischen auch bei Carlos wohnenden Amerikanern dort hin. Das war echt ein Erlebnis. Leider hatten wir vollkommen vergessen ein Geschenk zu kaufen, weshalb wir, durch den Einkauf, eine Stunde zu spät in der Kirche aufkreuzten. Das nahm man uns aber nicht krumm. Natürlich waren wie DIE Attraktion auf der Hochzeit. Später auf der Hochzeitsfeier wollten wir dann unser Geschenk loswerden und stürmten mit einem Schwung Leuten zum Hochzeitspaar. Was wir nicht mitbekommen hatten war, dass die Leute, mit denen wir mitgingen, zuvor als "die Verwandten des Bräutigams" vom Moderator der Hochzeit angekündigt wurden, was zu gehörigem Gelächter führte. Kurz danach durften wir dann den traditionellen Hochzeitstanz mittanzen.
Als Hochzeitsmahl gab es zunächst Hühnersuppe in Plastikschüssel und einem Plastiklöffel. Den Plastiklöffel sollten wir die Feier über behalten, denn es gab keine weiteren. Als zweiten Gang gab es Watussa (ein etwa katzengroßer rattenähnlicher Nager) in Maniok, gefolgt von gerösteten Affen ... na, dann doch bitte lieber Chicha!!!
