Abo testen Login

Titusville Der Turm des Edwin L. Drake: Ein Glücksritter löst den ersten Ölboom aus

geo_epoche-white
Im August 1859 sprudelt in einem Nest im US-Bundesstaat Pennsylvania plötzlich eine dunkle Flüssigkeit aus einem Bohrloch. Es ist der Auftakt eines rauschhaften Zeitalters
Collage zeigt Edwin L. Drake und erste Apparatur zum Ölbohren
Im Auftrag vonn Investoren sucht der ehemalige Eisenbahnschaffner Edwin L. Drake ab 1857 beim Ort Titusville nach Erdöl. Seine Apparatur zum Bohren samt Dampfmaschine hat er mit groben Brettern verkleidet
© Bettmann Archive / Getty Images (li.), GRANGER Historical Picture Archive / Imago (re.)

Im Dezember 1857 betritt der "Colonel" sein Schlachtfeld: Edwin Laurentine Drake, 38 Jahre, schwarzer Anzug, schwarzer Zylinder, Vollbart – eine Ehrfurcht gebietende Erscheinung. In einer Armee hat dieser "Oberst" allerdings nie gedient. Seine Auftraggeber in New Haven, Connecticut, haben ihm den Titel verliehen, damit er die Hinterwäldler beeindruckt; hier, in Titusville, einem Dorf in den weltvergessenen Tälern im Nordwesten Pennsylvanias, wo die Menschen von ihren kleinen Farmen leben und Holz auf den umliegenden Hängen schlagen. 

Der erste Schritt seiner Mission gelingt dem angeblichen Offizier noch mühelos: Er nimmt ein Stück Land am Fluss Oil Creek in Besitz, zwei Meilen von Titusville entfernt. Dort dringt wie an vielen Stellen in der Gegend eine stark riechende Flüssigkeit aus dem Gestein an die Oberfläche, die sich auch auf dem Wasser von Bächen und Seen absetzt. Erdöl – der Stoff, hinter dem Drake her ist.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lassen Pioniere aus tief liegenden Gesteinsschichten ein urzeitliches Stoffgemisch sprudeln, nach dem die Welt bald süchtig sein wird: Erdöl. In eine Vielzahl von Produkten verwandelbar und scheinbar unbegrenzt verfügbar, brennt es zunächst in Lampen, treibt dann Züge, Kriegsschiffe, Autos, Flugzeuge an, bis es schließlich in Form von Kunststoffen und Medikamenten in jeden Winkel der Erde vordringt. Die GEO EPOCHE Ausgabe Nr. 129 erzählt von jener Ära, in der das Öl zum Lebenselixier der Moderne wurde – und zu ihrem Fluch.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lassen Pioniere aus tief liegenden Gesteinsschichten ein urzeitliches Stoffgemisch sprudeln, nach dem die Welt bald süchtig sein wird: Erdöl. In eine Vielzahl von Produkten verwandelbar und scheinbar unbegrenzt verfügbar, brennt es zunächst in Lampen, treibt dann Züge, Kriegsschiffe, Autos, Flugzeuge an, bis es schließlich in Form von Kunststoffen und Medikamenten in jeden Winkel der Erde vordringt. Die GEO EPOCHE Ausgabe Nr. 129 erzählt von jener Ära, in der das Öl zum Lebenselixier der Moderne wurde – und zu ihrem Fluch.

Und vor allem die, die das Grundstück gekauft und ihn in dieses Nest geschickt haben: eine Investorengruppe um den New Yorker Anwalt George Bissell und den Bankdirektor James Townsend aus New Haven, die mit einer Firma Öl in nie zuvor gekanntem Maßstab gewinnen wollen.

Angehörige der indigenen Gemeinschaft der Seneca, die in der Gegend zu Hause sind, nutzen schon seit Jahrhunderten jene Substanz, die sie von Gewässern oder Sickerstellen abschöpfen; sie verarzten Wunden damit oder bemalen ihre Körper mit der glänzenden Schmiere. 

Auch die weißen Siedler gewinnen den Stoff, etwa indem sie Tücher auswringen, die mit öligem Wasser vollgesogen sind. Geschäftemacher füllen das rock oil in Fläschchen und verkaufen es in Städten als Allheilmittel.

Drake aber denkt in ganz anderen Dimensionen. Er will nach "Felsöl" bohren, große Vorkommen der Flüssigkeit, die er unter der Erde im Gestein vermutet, anzapfen und mit Pumpen nach oben holen. Niemand vor ihm hat das bisher versucht. Um seinen Plan in die Tat umzusetzen, braucht der "Colonel" allerdings mehr als seinen Operettentitel, er braucht Mitarbeiter. Die aber lassen sich nicht finden. Öl aus den Tiefen der Erde? Die Leute halten das für eine fixe Idee. Niemand will für den Verrückten arbeiten.

Erscheint in GEO Epoche Nr. 129 (2024)