So eine Predigt hat sich wahrscheinlich noch kein deutscher Herrscher anhören müssen. Keine erbauliche Bibelstunde ist das, keine gelehrte Exegese. Vielmehr eine Standpauke, ein Mahnruf und – in ihrem letzten Teil – eine ziemlich unverhüllte Drohung.
Auf der Rückreise von einer diplomatischen Mission haben Herzog Johann und sein Sohn Station gemacht auf dem Schloss von Allstedt, einer Kleinstadt 50 Kilometer nördlich von Weimar. Wohl am Morgen des 13. Juli 1524 tritt in der Hofstube im Westflügel ein gewisser Thomas Müntzer vor die beiden Fürsten und ihr Gefolge. Seit etwas über einem Jahr wirkt Müntzer als Pfarrer der Kirche St. Johannis und hat in dieser Zeit schon viel von sich reden gemacht.
Vom Schüler zum Widersacher Martin Luthers
Der frühere Anhänger Martin Luthers hat eine neue, sehr populäre Form des Gottesdienstes eingeführt. Gleichzeitig aber ist er ein wortgewaltiger Agitator, der Menschen so aufzupeitschen versteht, dass sie erst kürzlich eine Marienkapelle in der Nähe verwüstet haben. Einen altgläubigen Grafen, der seinen Untertanen den Besuch von St. Johannis verbietet, beschimpft er von der Kanzel herab unerschrocken als "Bösewicht, Türken, Heiden". Und auch an seinen vorherigen Wirkungsstätten hat der etwa 35-jährige Müntzer für nichts als Streit und Aufruhr gesorgt.