Proletarier aller Betriebe vereinigt euch" steht auf dem Streikbanner – frei nach dem Kommunistischen Manifest. Auf den ersten Blick: ein Paradox. Hier, auf der Danziger Lenin-Werft, rebellieren Werktätige – in einem Land, in dem diese Werktätigen laut Verfassung längst an der Macht sind. Sie kämpfen für "einen polnischen Sozialismus", wie ihr Anführer erklärt – gegen einen Staat, der sich selbst ganz offiziell als "sozialistisch" versteht.
Ein Aufstand von Arbeitern – gegen die Herrschaft einer Partei, die sich "Polnische Vereinigte Arbeiterpartei" (PVAP) nennt. Die aber in Wirklichkeit längst eine neue Bourgeoisie hervorgebracht hat, mit Villen im Tatra-Gebirge, Privatlimousinen mit Chauffeur und getönten Scheiben, mit verstohlenen Geschäften hinter verschlossenen Türen und Jagdpartien in parteieigenen Wäldern.
Die Lenin-Werft mit ihren 17 000 Arbeitern, ein Vorzeigeobjekt der polnischen Industrie, liegt im Streik. Und nach ihrem Vorbild kommt die Arbeit in Hunderten von Betrieben im ganzen Land zum Erliegen. Was in diesem Sommer 1980 losbricht, ist ein Erdrutsch, der Polen – und Europa – verändern wird. Ein klassischer Arbeiterkampf für Lohnerhöhungen, Streikrecht und selbst verwaltete Gewerkschaften, doch zugleich ein Kampf für eine neue, demokratischere Gesellschaft. Und zum ersten Mal in der Geschichte der Volksrepublik Polen zeichnet sich ein Erfolg ab.