Olympia 1912 Der langsamste Marathon aller Zeiten: Dieser Mann läuft nach über 54 Jahren ins Ziel

Olympia 1912 : Der langsamste Marathon aller Zeiten: Dieser Mann läuft nach über 54 Jahren ins Ziel
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Shiso Kanakuri hält einen ganz besonderen Olympia-„Rekord“. Er lief den langsamsten Marathon aller Zeiten: 54 Jahre, 8 Monate, 6 Tage, 5 Stunden, 32 Minuten und 20,3 Sekunden brauchte der japanische Läufer, bis er die Ziellinie überquerte – im Alter von 75 Jahren mit langem Mantel und schickem Hemd

Die 5. Olympischen Sommerspiele der Neuzeit in Stockholm im Jahr 1912 sind in vielerlei Hinsicht historisch. Zum ersten Mal sind Athleten und Athletinnen aus allen Kontinenten vertreten, neu sind auch die elektronische Zeitnahme und die Zielfotografie in der Leichtathletik sowie die Vergabe von olympischen Medaillen in den Kunstwettbewerben Bildhauerei, Architektur, Literatur, Malerei und Musik. Und nicht nur die Rennradstrecke ist mit 320 Kilometern ziemlich lang. Einer der beiden Halbfinalkämpfe im Mittelgewicht des griechisch-römischen Ringens dauert geschlagene 11 Stunden. 

Ein Sprint jedoch im Vergleich zu Shiso Kanakuris erster Teilnahme an Olympischen Spielen. Schon seine Reise nach Schweden ist entschleunigt. Sie dauert mehr als zwei Wochen – per Zug, Boot und mit viel Geduld im Gepäck. Seinen Marathon-Lauf beginnt Kanakuri dann mit Schiebermütze und der Nummer 822 auf der Brust. Das Olympiastadion verlässt er als Fünftletzter. Lange kann er mithalten. Und ist mit seiner Kopfbedeckung in guter Gesellschaft: Vom Kopftuch bis zum Anglerhut ist alles recht, um die Köpfe vor der Sonne zu schützen. Denn mit über 30 Grad Celsius ist es damals ungewöhnlich heiß in der schwedischen Hauptstadt. 

Die Folge: Von 68 Läufern geben 33 auf. Kanakuri dagegen ist nach rund 27 Kilometern plötzlich verschwunden. Berichten zufolge sei er dehydriert und habe sogar kurzzeitig das Bewusstsein verloren. Offenbar Grund genug für eine Familie, die an der Laufstrecke lebt, ihm zunächst etwas zu trinken und dann auch die Gelegenheit zu bieten, sich in ihrem Haus kurz abzukühlen. Kanakuri ruht sich aus, legt die Beine hoch und wacht angeblich erst am nächsten Morgen wieder auf. Beim Marathonlauf wird er unterdessen besorgt vermisst, ein anderer Läufer ist bereits kollabiert und stirbt wenig später. Doch man findet Kanakuri nicht. Denn der Japaner reist klammheimlich ab, angeblich aus Scham. Für die Schweden gilt er von da an als spurlos verschollen. Eine Legende. 

Wenig später gewinnt Kanakuri nationale Meisterschaften, wird bei den Olympischen Spielen in Antwerpen 1920 sogar 16. und tritt auch in Paris 1924 an. In Schweden wird man erst Anfang der 1960er-Jahre darauf aufmerksam, dass der verschollen geglaubte Läufer 1912 doch noch gesund und munter in seine Heimat zurückkehren konnte. 

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Im Frühjahr 1967 wird Kanakuri nach Stockholm eingeladen und darf seinen nicht ganz freiwillig unterbrochenen Lauf beenden. Der mittlerweile 75-Jährige läuft die fehlenden Kilometer, Pressefotos zeigen ihn stets mit einem Lächeln: 54 Jahre, 8 Monate, 6 Tage, 5 Stunden, 32 Minuten und 20,3 Sekunden, nachdem er 1912 im Stockholmer Olympiastadion gestartet war. 

Die Zeitung „Japan Times“ zitiert den Läufer mit den Worten: "Es war eine lange Reise. Unterwegs habe ich geheiratet, sechs Kinder gezeugt und zehn Enkel bekommen."