Furchtlos, loyal, selbstbewusst: Diese Eigenschaften verkörpert die literarische Figur Lyanna Mormont aus der Buchreihe "Das Lied von Eis und Feuer" von George R. R. Martin. Das Mädchen ist noch keine zwölf Jahre alt, als sie wegen tragischer Umstände in ihrer Familie zu deren Oberhaupt und zur Regentin wird. Auch die kindliche Kaiserin im Buch "Die unendliche Geschichte" von Michael Ende erscheint in der Gestalt eines zehnjährigen Mädchens, das über das Traumreich Phantásien herrscht. Doch gibt es junge Machthaberinnen nur in der Fantasie?
In der Geschichte finden sich durchaus royale Sprösslinge, die vor ihrem zwölften Lebensjahr an die Macht kamen. Tutanchamun war ungefähr neun Jahre alt, als er 1332 v. Chr. Pharao über das ägyptische Reich wurde. Auch einige Mädchen waren früh Königinnen: Kaiserin Elisabeth, bekannt als "Sisi", bestieg den Thron durch ihre Heirat mit Kaiser Franz Joseph I. am 24. April 1854. Zu diesem Zeitpunkt war sie 16 Jahre alt.
Doch es geht noch jünger: Nach dem Tod ihres Vaters König Wilhelm III. ging die niederländische Krone an seine zehn Jahre alte Tochter Wilhelmina. Sie gehört damit zu den jüngsten Königinnen der neueren Geschichte, allerdings führte die Regentschaft bis zu ihrem 18. Geburtstag ihre Mutter Emma.
Von Mozart bis Tutanchamun: Zehn Kinder, die Geschichte schrieben

Von Mozart bis Tutanchamun: Zehn Kinder, die Geschichte schrieben
Die jüngste bekannte Herrscherin ist vermutlich Matilda von England – sie wurde im Alter von nur acht Jahren am 25. Juli 1110 zur römisch-deutschen Königin gekrönt. An der Seite ihres Mannes hat sie bereits in jungen Jahren mit regiert.
Eine englische Prinzessin wird römisch-deutsche Königin
Matilda wurde vermutlich am 7. Februar 1102 in Sutton Courtenay geboren. Sie war die einzige legitime Tochter König Heinrichs I. von England und dessen erster Frau. Im Jahr 1109 vereinbarte ihr Vater eine Ehe Matildas mit König Heinrich V. Der Herrscher über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation strebte nach der Kaiserkrone, die er jedoch nur vom Papst in Rom empfangen konnte. Für die Reise des Hofstaates und seines Heeres brauchte er viel Geld, und das Bündnis mit der englischen Prinzessin versprach eine Mitgift von schätzungsweise 10.000 Silbermark.
Im Frühjahr 1110 reiste Matilda mit einem Gefolge aus Adligen und Geistlichen über Boulogne nach Lüttich, wo die Achtjährige erstmals auf ihren mehr als fünfzehn Jahre älteren Ehemann traf. Wenige Monate später fand Matildas Krönung am Festtag des Heiligen Jakobus statt. Am 25. Juli 1110 salbte der Erzbischof Friedrich I. von Köln die Prinzessin im Dom in Mainz zur Königin des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.
Matilda von England – die "schöne Jungfrau"
Zeitgenössische Chronisten beschreiben eine prunkvolle Feier und Matilda als schöne Jungfrau. Während der Krönungszeremonie soll Bruno von Bretten, Erzbischof von Trier, Matilda in den Armen gehalten haben, so ist es überliefert. "Man bekommt schon leichte Beklemmungen, wenn man diese Quellenstellen liest", sagt Claudia Zey, Professorin für Allgemeine Geschichte des Mittelalters an der Universität Zürich, dem WDR. Die Historikerin sieht darin eine Art symbolisches Geleit durch den Erzbischof, einen der treusten Berater Heinrichs V., der Matildas Vormund wurde. Zey glaubt allerdings nicht, dass er die Achtjährige wirklich getragen hat.
Der Erzbischof unterrichtete sie in deutscher Sprache und deutschen Sitten und bereitete Matilda auf die Pflichten einer Königin vor. Heiraten konnte sie nach kirchlichem Recht nicht vor ihrem zwölften Geburtstag. Offiziell wurden Heinrich und Matilda 1114 in Worms vermählt. Einem Chronisten zufolge brachte Matilda ein Kind zur Welt, das vermutlich nicht lange lebte. Überliefert ist die Ehe bis heute als kinderlos.
Nach der Krönung ging Heinrich V. auf Expedition nach Italien, teilweise finanziert mit Matildas Mitgift. Er wollte seine Position sichern und bei Papst Paschalis II. die Kaiserkrönung erzwingen. Erst 1117 wurde auch Mathilda zur Kaiserin gekrönt – doch dieser Zeremonie blieb der Papst aufgrund von Streitigkeiten mit Heinrich fern. Unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit ihrer Krönung zeichnete Matilda Urkunden bis zu ihrem Lebensende konsequent als Kaiserin.
Als wäre sie König
Ein Investiturstreit mit dem Papst, Aufstände im Reich und die Feldzüge gegen Nachbarländer wie Böhmen, Polen und Ungarn waren Herausforderungen der Regierungszeit Heinrichs V. und Matildas. "Sie erwies sich als fähige Königin, die die schweren Pflichten ihres Amtes mit Würde erfüllte", schreibt die britische Historikerin Marjorie Chibnall im Oxford Dictionary. In Heinrichs Abwesenheit übernahm sie die Aufgaben des Kaisers. Matilda stellte Urkunden aus, war Vorsitzende des königlichen Gerichts und soll sogar einen Feldzug über die Alpen angeführt haben. "Immerhin ist Matilda zu dieser Zeit gerade erst fünfzehn Jahre alt. Sie ist noch immer ein junges Mädchen", so die Historikerin Zey. Offensichtlich habe man Matilda aber vieles zugetraut. "Wir hören überhaupt keine Kritik daran, etwa dass sie dem Königsgericht vorsitzt." Das scheine völlig normal zu sein, "als wäre es der König."
Am 23. Mai 1125 stirbt Heinrich V. in Utrecht. Matilda erhält die Reichsinsignien. Heinrichs Thron erbt sie jedoch nicht. Weil ihr einziger Bruder bei einem Schiffsunglück wenige Jahre zuvor gestorben ist, kämpft sie ab 1135 in einem Bürgerkrieg um die Krone Englands. Erst nach einem langjährigen Erbstreit kann sie ihren Anspruch auf den englischen Thron durchsetzen. 1154 wird Heinrich II., Matildas Sohn aus zweiter Ehe, König von England.