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Kunstgeschichte Frida Kahlo: Die Meisterin der Schmerzen

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Während Mexiko in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einer langen Revolution in die Zukunft aufbricht, findet dort eine junge Frau ihren Weg als schließlich weltbekannte Schöpferin: Frida Kahlo – Autodidaktin, Exzentrikerin, Kommunistin – erschafft eigensinnige, hochkreative, in dieser Art nie zuvor gesehene Gemälde, die mexikanische Traditionen mit der Moderne verschmelzen. Politisch ist ihr Werk und doch ganz persönlich. Denn ihr wichtigstes Sujet ist immer wieder ihr eigenes, komplexes Selbst
Schwarz-weiß Fotografie zeigt Frida Kahlo schwerkrank im Bett
Ein schwerer Unfall als junge Frau in einem öffentlichen Bus prägt Kahlos Leben, zahlreiche Rückenoperationen folgen. Mit einer speziell angefertigten Apparatur kann sie immerhin auch im Bett malen (Foto von 1940)
© Frida Kahlo & Diego Rivera Archives / Bank of Mexico, Diego Rivera & Frida Kahlo Museums Trust



Alles steht bereit an diesem Frühlingsabend des Jahres 1953 in Mexiko-Stadt. Die Gemälde hängen an den Wänden, die Blumen sind arrangiert, die Gläser poliert. Eigentlich könnte die Galeristin Lola Álvarez Bravo jetzt die Tür aufschließen. Die Menschen draußen werden bereits ungeduldig, die ersten rütteln am Griff. Immer mehr Neugierige versammeln sich auf der Straße; der Verkehr stockt ihretwegen. Doch die Besitzerin der Kunsthandlung zögert.

Was, wenn die schwer kranke Künstlerin nicht kommen kann – Frida Kahlo, ihre Freundin, der Star des Abends? Die 45-jährige Malerin war so begeistert, endlich einmal etliche ihre Werke in Mexiko in einer Einzelausstellung zeigen zu können. Hatte die Bilder für die Galería de Arte Contemporáneo ausgewählt und mit Wollfäden gebundene Einladungen verschicken lassen.

Und jetzt steht da in der Mitte des Saals Kahlos leeres Himmelbett. Es duftet blumig; jemand hat ein Parfüm der italienischen Modemacherin Elsa Schiaparelli versprüht, auch sie ein Fan Kahlos. An der Unterseite des Baldachins klebt wie immer der große Spiegel. Aber kein mit dunklen Zöpfen gerahmtes Gesicht gibt er wieder, sondern nur das darunter hängende Skelett aus Pappmaschee, eine Erinnerung an den mexikanischen Totenkult. Am Kopfende prangen, auch wie immer, Abbildungen von Marx, Engels, Lenin, Stalin, Mao sowie von Kahlos Freunden und Verwandten. Deren gemeinsame Bettgenossin aber: nicht da.

"Die gebrochene Säule“ 1944
Als körperlich geborstene, von chronischen Schmerzen gemarterte, nurmehr durch ein Korsett gehaltene – und trotz allem stolze – Person zeigt sich Kahlo 1944 ("Die gebrochene Säule"). Tatsächlich sitzt sie immer häufiger im Rollstuhl oder muss liegen
© Alamy / mauritius images / 2024 Banco de México Diego Rivera Frida Kahlo Museums Trust, Mexico, D.F. / Artists Rights Society (ARS), New York

Oder doch. Nicht eine Frida ist im Raum, es sind viele. Die großen Augen unter zusammengewachsenen Brauen, die markanten Züge, der Oberlippenflaum. Die stolze Haltung des versehrten, mehrfach gebrochenen Körpers. Die leuchtenden mexikanischen Kleider, der Schmuck, ein bisschen indigen, ein bisschen Avantgarde: Frida Kahlo ist sich selbst ihr liebstes Motiv. Die vielen gemalten Fridas schauen nun auf das gemachte, leere Bett und auf Álvarez Bravo, die Freundin, Sammlerin, Fotografin, Mitstreiterin und gelegentliche Gespielin der Künstlerin.

Erschienen in GEO Epoche Nr. 127 (2024)

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