100. Todestag Franz Kafka: Der Prophet der Hoffnungslosigkeit

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Franz Kafka im Jahr 1906
Franz Kafka: Der Sohn eines Prager Kaufmanns studierte Jura, promovierte sogar, und arbeitete später jahrelang bei einer Versicherung. Seine wahre Leidenschaft aber war das Schreiben
 
© Archiv K. Wagenbach / akg-images
Er empfand sich selbst als schwächlich, als nutzlos, als Gegenteil der vom Vater vorgelebten Männlichkeit. Trotzdem war Franz Kafka zunächst vom Ausbruch des Krieges fasziniert, wollte später gar an die Front – und schrieb gleichzeitig einen Roman, der in die Weltliteratur einging. Als der Schriftsteller vor 100 Jahren starb, kannte jedoch fast niemand sein Werk

So könnte eine seiner Erzählungen anfangen: Als der Versicherungsbeamte Franz K. am letzten Juliwochenende 1914 aus unruhigem Urlaub ins heimische Prag zurückkehrt, findet er die Stadt zu einem ungeheuren Untertan verwandelt.

Patriotische Massen schieben singend durch die Straßen. Kriegswillige aus ganz Böhmen strömen in die Kasernen. Offiziere schnarren Befehle und rasseln mit den Säbeln. Und die einst Goldene Stadt trägt jetzt stumpfes Feldgrau.

Tagelang taumelt Franz Kafka zwischen Abscheu und Faszination. Ein ehemaliger Mitschüler beobachtet ihn am Rand einer vaterländischen Demonstration auf dem Wenzelsplatz, wie er "mit unwahrscheinlich geröteten Wangen" und sichtbar ergriffen Jubel der Menge "wild in der Luft herumfuchtelt".

Armeen von Interpreten werden sich am Rätsel Kafka abarbeiten

Doch den Artilleriesoldaten, die am 6. August mit Blumenschmuck und Heil-Rufen zwischen den Banken und Geschäftshäusern der Prachtstraße Am Graben aufmarschieren, wünscht er bereits "mit Leidenschaft alles Böse". Und zu den allabendlichen patriotischen Umzügen, "eine der widerlichsten Begleiterscheinungen des Krieges", geht er auf eisige Distanz: "Ich stehe dabei mit meinem bösen Blick."

Erschienen in Geo Epoche Nr. 65

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