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Geiseldrama Das Münchner Olympia-Attentat: Protokoll eines unglaublichen Versagens

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Die Olympischen Spiele 1972 in München sollten ein heiteres Fest des Sports werden. Doch dann überfallen palästinensische Terroristen am 5. September das israelische Team
Nur wenige Stunden nach der Tragödie versammeln sich Zehntausende im Münchner Olympiastadion, um der Opfer zu gedenken. Dann gehen die Spiele weiter
Nur wenige Stunden nach der Tragödie versammeln sich Zehntausende im Münchner Olympiastadion, um der Opfer zu gedenken. Dann gehen die Spiele weiter
© picture alliance/ASSOCIATED PRESS

Es ist der 26. August 1972, und München gibt ein Fest für die Welt. 80000 Zuschauer stehen und sitzen unter den geschwungenen Zeltdächern des Stadions; vom nahen Olympiaberg aus beobachten 40000 Zaungäste die Eröffnungsfeier der Sommerspiele. Und an den TV-Geräten sind fast eine Milliarde Menschen zugeschaltet. Die Sonne scheint, als die Mannschaften aus 122 Nationen in das Oval der Wettkampfstätte einlaufen.

Die israelische Mannschaft empfängt brandender Applaus. 36 Jahre nach den Spielen in Berlin, die von den Na­tionalsozialisten zur Propaganda missbraucht worden sind, und 27 Jahre nach Ende von Krieg und Judenverfolgung, wollen München, Bayern und Deutschland zeigen, welchen Weg sie hinter sich gebracht haben. Es sollen "heitere Spiele" werden, das ha­ben die Organisatoren versprochen.

Neu im Kino "September 5"

Dass sich die Bilder des Olympia-Attentats so tief in das kollektive Gedächtnis der Welt graben konnten, lag auch daran, dass Fernsehkameras Teile des Geschehens live übertrugen: Der US-Sender ABC etwa hatte sein Studio unweit des Gebäudes, in dem sich die Terroristen mit den Geiseln verschanzten. Wie verhalten sich die Journalisten in dieser Situation – die einerseits die Chance auf einen Coup wittern, andererseits Grenzen für ihre Berichterstattung ziehen müssen? Der Schweizer Regisseur Tim Fehlbaum hat darüber einen spannenden Kinofilm erschaffen: "September 5 – The Day Terror Went Live" kommt am 9. Januar 2025 in die deutschen Kinos. Bei den Oscar-Nominierungen gilt er als aussichtsreicher Kandidat.   

Hostessen in Dirndln umsorgen die Gäste, die eigens in Freundlichkeit geschulten Sicherheitsbeamten tragen himmel­blaue Uniformen und statt Pisto­len Walkie-Talkies. Orchestermusik erfüllt an diesem Tag die Luft, Schulkinder singen, Schuh­plattler tanzen. 5000 ­weiße Tauben steigen auf in den Himmel über dem Sta­dion und künden von der Ankunft des olympischen Feuers.

Journalisten aus aller Welt geben noch am Abend euphorische Berichte an ihre Heimatredaktionen durch. "Es war ein Schauspiel der Brüderlichkeit und Heiterkeit. Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass sich die Deutschen gewandelt haben, das Stadion in München hat ihn geliefert", ist im "Corriere della Sera" zu lesen. Und im britischen "Observer": "Wie gut die Bayern das alles gemacht haben. Keine Spur von Mili­tarismus, nichts Bombastisches, keine feierliche germanische Erhabenheit."

Keine zwei Wochen später werden sich wieder Zehntausende Zuschauer im Olympiastadion versammeln. Doch diesmal herrscht stille Trauer. Die Wettkämpfe ruhen, die olympische Flagge weht auf Halbmast. Viele Menschen weinen. Elf Plätze sind frei geblieben. In ­Gedenken an elf Mitglieder der Olympiamannschaft Israels, die von Terroristen als Geiseln genommen und in der Nacht ­zuvor getötet worden sind.

Aus den heiteren Spielen ist eine Tragödie geworden. Die Verantwort­lichen für die Sicherheit in Bayern und München sehen sich schweren Vorwürfen ausgesetzt. Eine Zeitung bewertet das Geschehene als die "schlimmste Nacht in der Geschichte der Bundesrepublik". Und bis heute sind viele Fragen ­offen, wie es dazu kommen konnte.

Erschienen in GEO Nr. 9 (2022)