Der byzantinische Mediziner Paulus von Aigina kennt im 7. Jahrhundert zwei Möglichkeiten, Männer zu kastrieren. "Kinder, die noch in zartem Alter sind, werden in ein Gefäß mit heißem Wasser gesetzt, und wenn die Körperteile im Bad weich geworden sind, werden die Hoden mit den Fingern zusammengedrückt, bis sie verschwinden und sich aufgelöst haben", schreibt er. Ältere dagegen werden auf eine Bank geschnallt. Dann führt der Mediziner mit einem Skalpell zwei gerade Schnitte durch und entfernt so die Hoden.
Es ist ein Eingriff, der den Mann zeugungsunfähig macht – und zum Eunuchen. Das Phänomen reicht Jahrtausende in die Geschichte zurück: Die Babylonier setzen kastrierte Männer als politische Berater ein, genauso wie die Assyrer, die Kaiser im alten China, die Perser, Römer, Byzantiner und Osmanen.
Eunuchen waren begehrte Handelsobjekte
Als Hofeunuchen kümmerten sich diese Männer zunächst um die Schlafräume des Herrschers und seiner Familie, bildeten als Hauslehrer die Kinder aus, kosteten das Essen vor. Schließlich aber betrauten Herrscher sie zunehmend mit politischen Aufgaben. Viele sahen in den Hofdienern getreue Gefolgsleute – vor allem gegenüber anderen Eliten in ihrem Reich, etwa Adeligen, die nach Einfluss strebten. Für Fürsten, Prinzen und Könige waren kastrierte Männer praktische Verbündete: Durch Aussehen und Stimme lebenslang stigmatisiert, häufig zudem familiär entwurzelt, gehörten sie einer sozialen Randgruppe an. Loyalität war für sie die einzige Möglichkeit, aufzusteigen.
Entsprechend waren kastrierte Knaben begehrte Handelsobjekte – von der iberischen Atlantikküste bis nach China. Der Archäologe und Kunsthistoriker Piotr O. Scholz (2016 gestorben), beschreibt in seinem Buch "Der entmannte Eros. Eine Kulturgeschichte der Eunuchen", wie Jungen in regelrechten Kastrationszentren verstümmelt und anschließend verkauft wurden. Zuweilen ließen Eltern ihre Kinder kastrieren, um an schnelles Geld zu kommen. Auch Kriegsgefangene wurden immer wieder Opfer von Zwangskastrationen.
Manche Männer ließen sich dagegen freiwillig kastrieren, vor allem aus religiösen Gründen: In der europäischen Antike entmannten sich Anhänger der Göttin Kybele, um sich von ihrer Triebhaftigkeit zu befreien.
Ob Feldherr, Sänger, Admiral oder Theologe: Folgende fünf berühmte Eunuchen der Geschichte zeigen, wie unterschiedlich die Lebenswege dieser sogenannten Verschnittenen waren – und dass Knaben auch in Europa noch bis in die Neuzeit hinein kastriert wurden.
Farinelli: Ein Kastrat als Star der Oper
Ließ die Mutter von Carlo Maria Michelangelo Nicola Broschi ihren Sohn kastrieren, weil sie Geld brauchte? Oder musste der Junge aus medizinischen Gründen nach einem Reitunfall kastriert werden? Unterschiedliche Erzählungen ranken sich um die Jugend von Carlo Broschi. Fest steht: Unter seinem Künstlernamen Farinelli brachte er es zum berühmtesten Kastraten des 18. Jahrhunderts.
Mit 15 trat er erstmals öffentlich auf, tourte durch Europa und sang auf den größten Bühnen seiner Zeit. Mit seiner engelsgleichen Stimme verzauberte Farinelli Fürsten, Könige und Kaiser, empfing Persönlichkeiten wie Mozart und Casanova. Mit 32 zog er sich von der Opernbühne zurück und sang fortan – bevorzugt zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens – für den spanischen König Philipp V., um dessen Depressionen zu lindern.

Nicht nur die im Barock geborene Oper benötigte Männer mit hohen Stimmen – Knaben, bei denen durch die Kastration der Stimmbruch ausblieb. Auch für die Kirchenmusik waren Eunuchen unverzichtbar, war der Chor doch ausschließlich Männern vorbehalten. Deshalb erlebte die Kastration im Europa des 17. Jahrhunderts einen ungeahnten Aufschwung.
Meist wurde die Operation bei Knaben zwischen acht und zwölf Jahren vorgenommen, der gewünschte Effekt allerdings war nie garantiert: Statt einer kristallklaren hatten manche Kinder nach dem Eingriff eine heisere oder schrille Stimme. Erst 1903 legte Papst Pius X. ein Schreiben vor, das Kastraten in Kirchenchören verbot.
Zheng He: Chinas berühmtester Admiral
Gerade zehn Jahre alt war der Muslim Zheng He, als er in Gefangenschaft geriet: Um 1372 in der chinesischen Provinz Yunnan im Südwesten geboren, statuierten kaiserliche Truppen nach einem lokalen Aufstand ein Exempel. Zheng und anderen wurden Penis und Hoden abgeschnitten. Schließlich machte er als Eunuch am Hofe des Prinzen Zhi Di Karriere. Er begleitete ihn auf Feldzügen und gewann so sein Vertrauen. Nachdem Zhi Di sich per Staatsstreich zum Kaiser aufgeschwungen hatte, ließ er 1405 eine gigantische Flotte aus 317 Schiffen mit 27.870 Mann Besatzung in See stechen. An ihrer Spitze: Zheng He.

Bis 1433 unternahm er sieben Expeditionen in den Indischen Ozean, erreichte Indien, Arabien und die Ostküste Afrikas. Elfenbein, Ebenholz, Weihrauch, Pfeffer, Rosenwasser und Edelsteine brachte Zheng He von seinen Fahrten mit, machte China zur bedeutendsten Seemacht der Welt. Auf seiner letzten Expedition starb der Admiral.
Eunuchen blieben im kaiserlichen China ein unverzichtbares Palastpersonal: Erst 1996 starb Sun Yaoting, der letzte Eunuch, der einem chinesischen Kaiser gedient hatte.
Peter Abaelard: Eine verhängnisvolle Liebesbeziehung
Vernunft und Logik: Das waren die großen Themen des französischen Philosophen und Theologen Peter Abaelard im frühen 12. Jahrhundert, lange vor der Französischen Revolution. Der angesehene Gelehrte arbeitete auch als Hauslehrer – und verliebte sich in seine Schülerin Heloisa, die dem Hochadel entstammte. Als die beiden einen Sohn bekamen und danach heimlich heirateten, schaltete sich Heloisas Onkel und Vormund ein: Er ließ Abaelard überfallen und entmannen.
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"Das Gefühl meiner Schmach und Schande schmerzte mich so, wie es der Wundschmerz nicht tat", schrieb der Gepeinigte später. "Gottes gerechtes Gericht hatte mich an dem Teil gestraft, mit dem ich gesündigt hatte." Abaelard zog sich als Mönch in ein Kloster zurück und drängte Heloisa, Nonne zu werden. Sein Ruf als brillanter Denker litt durch den Skandal nicht: Später studierten zahlreiche Theologen bei ihm; gleich mehrere von ihnen wurden schließlich Päpste.
Narses: Der Feldherr von Kaiser Justinian I.
Unter Kaiser Justinian erreichte das Byzantinische Imperium im 6. Jahrhundert seine größte Ausdehnung: Er eroberte ehemals römische Gebiete in Nordafrika und Südspanien zurück und unterwarf die italienische Halbinsel. Dabei konnte er sich auf einen fähigen General verlassen: Narses. Dieser Mann, als Eunuch von Armenien an den Hof nach Konstantinopel gebracht, wurde zunächst Kammerherr.
Als im Jahr 532 Unruhen in der Stadt ausbrachen, half er durch geschickte Verhandlungen mit den Aufrührern (und Bestechungen), Justinians Thron zu retten. Der Herrscher setzte Narses bald als Oberbefehlshaber ein, erst auf dem Balkan, dann in Italien. Mit 30.000 Mann kämpfte er erfolgreich gegen die Ostgoten und stoppte zudem die Versuche von Franken und Alemannen, in Norditalien einzufallen.
Sporus: Der Eunuch von Kaiser Nero
Im Jahr 65 n. Chr. starb Poppaea Sabina, die Gattin des römischen Kaisers Nero. Ein Jüngling, dem Nero später den Namen "Sporus" ("Samen") gab, hatte das Pech, äußerlich der verstorbenen Kaiserin zu ähneln. Nero ließ ihn kurzerhand kastrieren und "gebrauchte ihn ganz und gar wie ein Weib", schildert Cassius Dio.
Mehr noch: Der Kaiser heiratete Sporus, kleidete ihn in die Tracht der Kaiserinnen und nannte ihn Sabina. Nachdem Nero im Jahr 68 Suizid begangen hatte, wurde Sporus von dessen Nachfolgern missbraucht. Als einer den Eunuchen bei Gladiatorenspielen öffentlich vergewaltigen lassen wollte, nahm er sich das Leben. Er wurde keine 20 Jahre alt.