Die Papiere zeigen Herrscher, Gewänder, Musikinstrumente, Waffen, Tiere – und sie geben neue Einblicke in die Geschichte des Aztekenreiches: Das mexikanische Nationalinstitut für Anthropologie und Geschichte (INAH) hat die Wiederentdeckung Jahrhundertealter Dokumente bekanntgegeben.
Traditionell hielten viele präkolumbianische Völker wie die Azteken und Maya wichtige Ereignisse in zusammengefalteten Codices aus Piktogrammen und stilisierten Bildern fest. 1521 eroberten die Spanier die Aztekenhauptstadt Tenochtitlán, danach zerstörten Konquistadoren und europäische Missionare den Großteil der Dokumente aus der Zeit vor der spanischen Eroberung – auch, um Geschichte und Kultur der Azteken auszulöschen. Deshalb sind heute ungezählte schriftliche Quellen unwiederbringlich verloren.
Die Aztekencodices befanden sich über Jahrhunderte in Familienbesitz
In wenigen Gebieten Mexikos wurden auch nach der Unterwerfung durch die Spanier weiter Codizes hergestellt, wobei Schreiber die traditionellen Bilderhandschriften mit Texten in der Aztekensprache Nahuatl oder auf Spanisch ergänzten.
Dazu zählen auch jene Manuskripte, die jetzt wiederentdeckt wurden: Jahrhundertelang befanden sie sich in Mexiko-Stadt in Familienbesitz – und wurden stets von einer Generation an die nächste weitergegeben. In Mexiko können Bürgerinnen und Bürger wichtige historische Dokumente als privates Eigentum behalten, solange sie solche Kulturgüter nicht außer Landes bringen.
Im Jahr 2009 erhielt die Historikerin María Castañeda de la Paz von der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM) Hinweise auf die Dokumente, bekam zunächst aber lediglich digitale Kopien am Computerbildschirm vorgelegt. Erst 2022 erlangten Forschende Zugang zu den Originalen – und konnten jetzt ihre Authentizität belegen.
Demnach wurden die drei Codices zwischen dem späten 16. und frühen 17. Jahrhundert angefertigt und stammen aus dem Ort San Andrés Tetepilco südlich von Mexiko-Stadt. Herausragend sei, so die Forschenden, vor allem die "Tira von Tetepilco": Auf 20 Seiten stellt sie die Geschichte Tenochtitláns dar, von der Gründung im 14. Jahrhundert, ihrem Aufstieg zur Metropole, der Ankunft der Spanier 1519 und der Zeit des von den Eroberern eingesetzten Vizekönigs bis 1611. "Ich war begeistert und überrascht, weil Dokumente über die Geschichte von Tenochtitlán sehr selten sind", sagte Castañeda de la Paz der Zeitung "El Pais".
Die weiteren Codices zeigen die Gründung der Stadt Tetepilco sowie eine Inventarliste der Kirche von San Andrés Tetepilco. Demnach gehörten zur Ausstattung der Kirche rote Anzüge, Blasinstrumente, eine Sänfte und Fahnen.
Die Codices wurden, soweit bislang untersucht, aus sogenannten Amatl-Blättern aus Baumrinde hergestellt. Die Tinte produzierten die Azteken aus Holzkohle und verschiedenen Pflanzen; zum Schreiben verwendeten sie die Farben Rot, Ockergelb, Schwarz und Blau.
Umgerechnet mehr als eine halbe Million Euro hat die mexikanische Regierung für den Erwerb der Codices an deren bisherige Eigentümer gezahlt. Jetzt gehören sie zur Sammlung der Nationalbibliothek für Anthropologie und Geschichte in Mexiko-Stadt und sollen dort weiter untersucht und ausgewertet werden. Insgesamt sind rund 550 mesoamerikanische Codices bekannt, 200 befinden sich in Mexiko.