Kaum ist das Ballspiel vorbei, beginnt das Opferritual: Der Mannschaftskapitän, eben noch mit Knie- und Hüftschoner auf dem Spielfeld, liegt auf dem Boden. Dann kniet sich ein Priester neben ihn. Mit einem scharfkantigen Obsidianmesser sticht er dem Mann in die Brust – und schneidet ihm das Herz heraus. Aus dem Blut, das in die Erde fließt, wird bald – so glauben es die Maya – neues Leben sprießen.
Pok-ta-Pok heißt das uralte Maya-Ballspiel, das die Götter gnädig stimmen sollte und ungezählte Menschen das Leben kostete. Ein Spiel um Leben und Tod. Das blutige Ritual hatte nicht nur einen festen Platz in der Gesellschaft: Es bestimmte über Kriege und Handelsgeschäfte, über die Aussaat und die Ernte. Und es gibt Aufschluss über Wertvorstellung und Selbstverständnis der Maya.
"Die Maya waren von einer regelrechten Opfermanie erfüllt"
Beim Pok-ta-Pok traten zwei Mannschaften mit je bis zu sieben Spielern gegeneinander an: Ziel war es, einen zwei bis vier Kilo schweren Kautschukball in das Feld des Gegners zu treiben und dabei möglichst selten auf dem Boden aufkommen zu lassen. Die Sportler durften den Ball jeweils nur mit zwei Körperteilen spielen, etwa mit der Schulter und der Hüfte; werfen und schießen waren verboten.
Das Spielfeld, etwa 130 mal 90 Meter groß, hatte die Form von zwei gegenüberliegenden Ts. An den steinernen Seitenwänden konnten die Spieler den Ball über Bande kicken. An den seitlichen Begrenzungen waren in einiger Höhe zwei steinerne Ringe vertikal angebracht: Ging der Ball hindurch, war das Spiel sofort beendet.
"Dieses Ballspiel ist praktisch der Ursprung der Maya-Völker", sagt Professor Andreas Luh, Sporthistoriker an der Ruhr-Universität Bochum. Es taucht bereits im Maya-Gründungsmythos Popol Vuh auf: Dort locken Götter der Unterwelt die ersten Menschen mit dem Ballspiel in eine Falle – und enthaupten sie. Nachkommen dieser ersten Menschen rächen sich später bei den Göttern, wiederum beim Pok-ta-Pok, und bringen die Leichname ihrer getöteten Verwandten in ihre Welt zurück.
Dort verwandeln sich die beiden Körper am Himmel in Sonne und Mond – und erhellen das Antlitz der Erde. "Wenn die Maya eine neue Stadt gründeten, bauten sie als Erstes nicht etwa einen Tempel oder Adelspaläste, sondern Ballspielplätze, die den Eingang zur Unterwelt symbolisierten und für die Aufrechterhaltung des irdischen Lebens standen", sagt Luh über die identitätsstiftende Funktion des Pok-ta-Pok.
Mayasprachige Volksgruppen siedelten in Mittelamerika seit etwa 2000 v. Chr. zwischen der Halbinsel Yucatán und dem heutigen Honduras unter schwierigen Bedingungen. "Die Menschen litten unter Überschwemmungen, Vulkanausbrüchen, Erdbeben und Trockenzeiten und glaubten, dass ihre Umwelt von Hunderten Göttern bestimmt werde", erklärt Luh. Um die Götter zu beschwichtigen, opferten die Maya sich selbst und ihre Mitmenschen. "Sie waren von einer regelrechten Opfermanie erfüllt", so der Sporthistoriker.
Die Maya banden das Pok-ta-Pok in ihre religiösen Rituale ein: Der Ball symbolisierte die Leben spendende Sonne, die in Bewegung gehalten werden musste, um Schaden von der Erde abzuwenden. Am Ende eines Spiels wurden Sportler – Priester und wahrscheinlich Kriegsgefangene – zumindest in Notzeiten geopfert. Zahlreiche Reliefs zeigen, wie Spielern nach dem Pok-ta-Pok das Herz herausgeschnitten oder der Kopf abgetrennt wird und sich Blutströme in blühende Pflanzen verwandeln.
Ohne Training war es den Priestern kaum möglich, den schweren Gummiball über das Spielfeld zu befördern. "Das bedeutete auch, dass die Maya eine völlig andere Motivation für körperliche und sportliche Leistungsfähigkeit hatten, als wir heute haben", sagt Andreas Luh. Die Maya-Priester hätten ihre Körper nicht gestählt, um andere Spieler zu übertrumpfen, sondern in dem Glauben, so das Überleben ihrer Gemeinschaft sicherzustellen.
Maya-Priester errechneten anhand des Ballspiels Zeitpunkte für Kriegszüge und Handelsgeschäfte
Doch nicht jedes Spiel endete tödlich: Archäologische Grabungen zeigen, dass die Spielfelder mehrere Linien und Symbole aufwiesen. Es sind zwar keine schriftlichen Regelungen erhalten, aber vermutlich errangen die Mannschaften Punkte, wenn der Ball bestimmte Linien traf oder eine gewisse Zeit lang in einer der Spielhälften gehalten werden konnte.
"Wahrscheinlich haben Geistliche als Schiedsrichter diese Punkte nach dem Spiel gedeutet", sagt Luh. "Die Maya kannten eine ausgeprägte Zahlenmystik, mit Zahlen etwa für Götter, Monate und Sterne." Aus bestimmten Zahlenkombinationen des Ballspiels hätten Priester etwa den Zeitpunkt für die Saat, Kriegszüge oder Handelsgeschäfte errechnet.
Im Laufe vieler Jahrhunderte hat sich das mesoamerikanische Ballspiel über weite Teile Mittelamerikas ausgebreitet: Mehr als 1500 Spielfelder konnten bislang archäologisch nachgewiesen werden. Nicht nur die Maya spielten Pok-ta-Pok, sondern auch Azteken, Zapoteken, Tolteken und Angehörige anderer Kulturen.
"Mit der Zeit wurde das Spiel aber säkularisiert und wohl immer häufiger auch einfach in der Freizeit und vor Publikum gespielt", erläutert Luh. "Bei den Azteken gab es Profispieler, die vermutlich für Geld gekickt haben." Auch Wetten seien überliefert. So wurde aus dem göttlichen Ritual ein Massenspektakel für das Volk.