GEO: Frau Dr. Warnsholdt, das Netz ist voll mit "Cat Content": Fotos und Videos von Katzen, die sich vor Gurken erschrecken, in Toiletten fallen oder einem Laserpointer hinterherjagen. Wie weit lassen sich Katzen in der Geschichte der Medientechnologie zurückverfolgen?
Dr. Lotte Warnsholdt: Katzen standen medientechnologisch immer an vorderster Front. Das lässt sich schon bei den Anfängen der Fotografie nachverfolgen: Um 1865 begann der britische Fotograf Henry Pointer in seinem Studio in Brighton, seine Katzen zu fotografieren – und stellte fest, dass niedliche Katzenfotos ein Verkaufsschlager sind.
Aber warum gaben Menschen Geld für Katzenfotos aus?
Die Aufnahmen wurden im Visitenkartenformat verkauft. Kunden haben die Katzenfotos gesammelt und mit Freunden getauscht. Henry Pointer begann schließlich, kleine Bildtitel unter die Fotos zu setzen: Darauf sieht man zum Beispiel kleine Kätzchen in einem Körbchen sitzen mit dem Titel "Kinderschule". Diese "Brighton Cats" waren ungemein beliebt und können als Vorlage für die heutigen Katzen-Memes verstanden werden. Das ging so weit, dass Fotografen Katzen mit Kostümen, Hüten und anderen Accessoires in Szene setzten.
Warum funktionierten diese Bilder ausgerechnet mit Katzen? Was haben Katzen, was Hunde nicht haben?
Tatsächlich sind Katzen in Medien präsenter als Hunde. Da kommen sicher mehrere Faktoren zusammen: Im Gegensatz zum braven Hund ist die Katze nicht vollständig domestiziert. Sie bleibt teilweise ungebändigt und macht ein bisschen, was sie will. Damit entzieht sie sich einem Ideal der Aufklärung, nämlich der Naturbeherrschung. Die Katze überrascht uns immer wieder mit ihrem Verhalten, und das macht sie für uns interessant. Gleichzeitig hat sich das Verhältnis zwischen Mensch und Katze ab Mitte des 19. Jahrhunderts grundlegend verändert.
Inwiefern?
Man begann, bürgerliche Tugenden auf die Katze zu projizieren: Stolz, Kreativität, Reinlichkeit. Und ab ungefähr 1900 war die Katze nicht mehr einfach nur die Mäusejägerin, sondern eine Gefährtin, ein Mittel gegen Einsamkeit. Denn in den wachsenden, anonymen Großstädten sehnten sich viele Menschen nach Geselligkeit: In dieser Zeit entwickelte sich die Katze zum Haustier so wie wir es heute kennen, denn im Gegensatz zum Hund konnte sie gut in kleineren Wohnungen gehalten werden.
Wenn die Katze bereits die Anfänge der Fotografie begleitet hat, gilt das auch für den Film?
Absolut. Schon 1894, wenige Jahre nach den ersten Filmaufnahmen, erschienen die ersten kurzen Katzenvideos. In "Falling Cat" von Étienne-Jules Marey sieht man, wie sich eine Katze im Fall dreht und auf allen vieren landet. Und in "The Boxing Cats" zeigt der Erfinder Thomas Edison zwei Katzen in einem Boxring: Die Tiere tragen Boxhandschuhe an ihren Pfoten und "boxen" aufeinander ein. Das waren sozusagen die ersten Katzen-Reels der Geschichte. Die beiden Videos zeigen, wie Cat-Content auf unterschiedlichen Ebenen funktioniert: Katzen sprechen unsere wissenschaftliche Neugierde und unser Bedürfnis nach Unterhaltung an.
Der Mann, der Katzen fotografierte, lange bevor es alle machten
Der Mann, der Katzen fotografierte, lange bevor es alle machten
Und offenbar finden wir Katzen auf Fotos und in Videos ja auch einfach niedlich. Spricht das für eine besondere Tierliebe?
Bei Katzenvideos geht es mitnichten immer um Tierliebe, im Gegenteil. Häufig finden wir Situationen lustig, die für die Katzen alles andere als lustig sind. Wenn eine Katze sich etwa in einem Video vor einer Gurke erschreckt, lachen wir darüber. Das Tier jedoch erlebt diesen Moment als Stress, weil es die Gurke für eine Schlange hält. Eine Zeitlang gab es den Trend, den Kopf einer Katze durch eine Scheibe Toastbrot zu fotografieren, davon ein Foto zu schießen und ins Netz zu stellen. Wir lachen über solche Aufnahmen, doch eigentlich handelt es sich um Tierquälerei. Das ist noch ein Unterschied im Vergleich zu Hunden in Medien: Wenn Katzen gequält werden, können wir eher darüber lachen, als wenn es um Hunde geht.
Katzen im Museum
Die Ausstellung "Katzen!" im Hamburger Museum am Rothenbaum (MARKK) hinterfragt, woher unsere Faszination für Katzen rührt. Die Schau zeigt mehrere tausend Jahre Kulturgeschichte – von der ägyptischen Göttin Bastet, die in Katzengestalt als Beschützerin von Müttern verehrt wurde, über Katzen als Begleiterin verfolgter Hexen bis zum "Cat Content" im Internet. Kaum ein Tier trägt so viele widersprüchliche Attribute wie die Katze. Die Ausstellung läuft bis zum 29. November 2026.
Warum ist das so?
Eine Antwort liegt sicher in unserer Kulturgeschichte. Die Christianisierung Europas ging auch mit einer Dämonisierung von Katzen einher. So haben Kirchenangehörige die schwarze Katze zur Hexenbegleiterin stilisiert. Jahrhundertelang war es gängig, Katzen zu quälen.
Aber das hat sich doch völlig verändert.
Heute haben Katzen bei uns zwar ihren festen Platz als beliebte Haustiere, ganz abgelegt haben wir die alte Vorstellung, dass es in Ordnung sei, uns auf ihre Kosten zu amüsieren, aber offenbar noch nicht. Jedenfalls gehen Clips von Hunden, die höllisch erschreckt werden oder irgendwo runterfallen, deutlich seltener viral als von Katzen.
Wie ist die Katze überhaupt ins Internet gekommen?
Ausgehend von der Erfindung der Fotografie und des Films waren Katzen gerade in digitalen Medien immer schon sehr präsent. In den 1970er- und 80er-Jahren entstanden Zeichentrickfilme wie "Fritz the Cat" und "Garfield", sodass der Sprung ins Internet nicht so weit war. Anfang der 2000er-Jahre, als das Netz immer alltagstauglicher wurde, gab es einen frühen Katzenmoment: Katzen wurden beim Betrachten von Bildern anderer Katzen fotografiert und immer weiter vervielfältigt. Wirklich groß wurden sie im Netz dann durch soziale Netzwerke wie Youtube, wo Userinnen und User Videoschnipsel von ihren Tieren posten konnten.
Cat-Content wird auch als Synonym für sinnentleerte Inhalte gebraucht. Erfüllen Katzen in Medien auch tiefergehende Funktionen?
Durchaus. Die Katze wurde schon immer für aktivistische Zwecke instrumentalisiert. Als die Suffragetten in den USA und Großbritannien um 1900 das Wahlrecht für Frauen einforderten, brachten Gegner dieser Bewegung Postkarten in Umlauf, die die ideale Ehefrau als süße Schoßkatze darstellte – und die für ihre politischen Rechte eintretende Frau als verkommene Straßenkatze. Später haben die Suffragetten das Katzen-Motiv selbst versendet und damit umgedeutet.
Und heute?
Noch immer setzen Männer Katzen ein, um Frauen herabzusetzen: Beim US-Präsidentschaftswahlkampf 2024 hat der Republikaner J.D. Vance die demokratische Kandidatin Kamala Harris als "kinderlose Katzenfrau" diffamiert. Daraufhin entwarfen deren Unterstützerinnen zum Beispiel Schilder mit einer Katze im Anzug und dem Aufdruck Aufschrift "Cat Ladies for Kamala Harris". Auch in queeren Communities wird die Katze als Symbol für Unabhängigkeit und Widerständigkeit eingesetzt. Daran sieht man, dass Katzen auf ganz unterschiedliche Art und Weise inhaltlich aufgeladen sind.