Klimawandel Dem Geheimnis des Blue Hole auf der Spur

Great Blue Hole aus der Vogelperspektive
Aus einer Entfernung von 200 Metern wirkt das Great Blue Hole wie ein dunkles, bizarres Auge im tropischen Korallengarten vor Belize. Mittendrin: die Bohrplattform des Forschungsteams
 
 
© Eberhard Gischler, Goethe University
In der Karibik bohren Forschende das legendäre Great Blue Hole an – und fördern ein einzigartiges, Jahrtausende altes Archiv zutage. Wie auch eine unheilvolle Botschaft

Es war ein Vorstoß ins Unbekannte: Stundenlang schleppten Forschende eine Bohrplattform, in etwa so groß wie vier Tischtennisplatten, über das offene Meer. Ihr Ziel war das "Great Blue Hole". Eine Formation im Lighthouse-Reef-Atoll, gut 80 Kilometer vor der Küste des mittelamerikanischen Landes Belize gelegen. 

Dort, in den ansonsten flachen Gewässern des tropischen Korallenriffs, öffnet sich mit dem Blue Hole eine 125 Meter tiefe senkrechte Unterwasserhöhle. Aus der Drohnen-Perspektive erscheint das Wasser darin dunkelblau, Korallen umschließen es nahezu ringförmig. Von oben wirkt es wie ein sonderbar deplatziertes Auge im Meer.

Entstanden war das im Durchmesser 300 Meter große Gebilde einst auf einer Insel aus kalkhaltigen Gesteinsschichten, in das Meereswasser eindrang und wo Erosion und Verwitterung eine vertikale Höhle in den Fels wuschen. Während der jüngsten Eiszeit, vor etwa 20.000 Jahren, stürzte deren Decke ein. Anschließend sammelte sich das, was Wind und Regen hineintrugen, Blätter von tropischen Bäumen etwa, Pollen oder auch Landschnecken. Als die Eisschilde schmolzen und der Meeresspiegel weltweit anstieg, flutete der Ozean vor etwa 7200 Jahren mit seinem Salzwasser die Vertiefung. Und spülte nun seinerseits beispielsweise Sand, abgestorbene Schalentiere, Bruchstücke von Korallen, Plankton oder Pflanzenreste hinein. 

Bohrplattform mit Begleitboot
Mithilfe von 150 Meter langen Seilen (im Bild an den daran befestigten Bojen zu erkennen) fixierte das Team die Bohrplattform für den Vorstoß in die Tiefe
© Eberhard Gischler, Goethe University

Heute zieht das Great Blue Hole Touristen an. Tauchende mit viel Erfahrung besichtigen unter anderem spektakuläre unterseeische Stalaktiten. Das Wissenschaftsteam hatte jedoch andere Absichten: den Boden des Blue Hole zu erreichen. Weil sich dort seit Tausenden von Jahren Sedimente im Schutz der Höhle abgelagert haben, ohne dass Wellen sie wieder hätten zerstören können, birgt er nahezu intakte Schichten. Und weil in der Tiefe Sauerstoffmangel herrscht, fehlt höheres Leben. Das trug ebenfalls dazu bei, dass das Sediment unberührt blieb. Keine Muscheln, keine Krebse zerwühlten die Ablagerungen. Zudem überdauerten Fragmente von Pflanzen oder Tieren, die in die Tiefe sanken, die Zeit. Ohne Sauerstoff konnten Mikroben die Überreste nicht komplett vertilgen. Die Folge: Im Blue Hole entstand ein einzigartiges Klimaarchiv.

"Wir hatten bei kleineren Missionen zuvor im Blue Hole schon mal Proben geborgen und wussten, dass wir dort unten eine perfekte jahreszeitliche Schichtung vorfinden", sagt Eberhard Gischler, Chef der "Forschungsgruppe Biosedimentologie" an der Universität Frankfurt, der die Expeditionen leitete. Im Sommer 2022 kehrte Gischler mit einer Mannschaft zurück, um mithilfe der Bohrplattform 30 Meter in den Grund des Blue Hole vorzudringen.

Sie stießen auf ein Archiv extremer Wetterereignisse

Dafür musste die Plattform fixiert werden. Das Team drillte in zehn Meter Tiefe vier Schneckengewinde in die Innenwand der Höhle. Daran vertäute es vier Seile, welche das Bohrinstrument in Position hielten. Schließlich entnahmen die Forschenden einen 30 Meter langen Sedimentkern aus der Unterwasserhöhle, den danach Spezialisten aus Frankfurt, Köln, Göttingen, Hamburg und Bern analysierten. Jetzt konnten sie erste Ergebnisse vorstellen.

Die geschichteten Sedimente am Boden des Great Blue Hole dienen demnach als ein Archiv für extreme Wetterereignisse eines enorm langen Zeitraums, nämlich von 5700 Jahren. Jene Schichten bezeugen etwa tropische Stürme und Hurrikans. Denn vom Wind entfesselte Wellen transportierten immer wieder grobe Partikel von der östlichen Riffkante des Atolls in die Öffnung hinein. Diese bildeten auffällige, körnige Sedimentschichten am Grund des Blue Hole. Und die weichen von den feineren Schönwetterlagen deutlich ab. Wegen des organischen Materials in den Ablagerungen ließen sich die einzelnen Schichten auch datieren.

Das Forschungsteam identifizierte insgesamt 574 Sturmereignisse in jener Zeit. Und verschaffte sich damit einen erstaunlich präzisen und tiefen Einblick in Klimaschwankungen und Zyklen von Hurrikans in der südwestlichen Karibik. Bisher waren Daten nur für die vergangenen 175 Jahre verfügbar.

Ein Ergebnis: Die Häufigkeit von tropischen Stürmen und Hurrikans hat in gut sechs Jahrtausenden stetig zugenommen. Das hängt nach Ansicht der Forschenden hauptsächlich mit Verlagerung einer Tiefdruckzone zusammen, die nach Süden gezogen ist. Dieses als innertropische Konvergenzzone bekannte Gebiet beeinflusst, wie sich Tropenstürme und Hurrikans bewegen.

In den vergangenen sechs Jahrtausenden brandeten pro Jahrhundert zwischen vier und sechzehn tropische Stürme und Hurrikans über das Great Blue Hole hinweg. Seit dem Jahr 2000 kam es hingegen schon zu neun Sturmlagen, extremen Wetterereignissen, die mit Stürmen und Hurrikans einhergehen. Was darauf hindeutet, dass sie in dieser Region im 21. Jahrhundert deutlich häufiger auftreten werden. "Aus unseren Ergebnissen lässt sich schlussfolgern, dass allein in unserem Jahrhundert etwa 45 tropische Stürme und Hurrikans über diese Region hinwegziehen könnten", sagt Gischler.

Bohrplattform im Schlepptau
Nur bei gutem Wetter war der Transport der Bohrplattform von der Küste Belizes bis zum Blue Hole möglich – und dauerte neun Stunden
© Eberhard Gischler, Goethe University

Dies würde die natürliche Schwankung der vergangenen Jahrtausende bei Weitem übersteigen. Nicht menschengemachte Veränderungen des Klimas können diesen jüngsten Anstieg nicht erklären, sagen die Forschenden und verweisen stattdessen auf die Erwärmung während des Industriezeitalters, die unter anderem mit steigenden Meerestemperaturen und stärkeren globalen La-Niña-Ereignissen einhergeht – und damit ideale Bedingungen für extremes Wetter schafft.

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