Abends höre ich oft ein wenig Musik. Dieser Satz ist ebenso wahr wie komplett irreführend, denn er trifft das, wovon hier die Rede sein soll, nicht einmal annähernd. Erstens: Ich höre nie nur "ein wenig" Musik. Zweitens: Ich höre niemals nebenbei. Und schon gar nicht irgendwie. Wenn ich Musik genieße, tue ich dies ausschließlich und sehr bewusst. Ich setze mich auf den Hörplatz in meinem Musikzimmer und schalte die Welt um mich herum aus. Ich gehe nicht mehr ans Telefon, und die einzige Form des Lesens, die ich mir dann erlaube, ist das leise Blättern im Begleitheft der Schallplatte.
Es ist möglich, dass Sie mich nach dem Lesen dieses Artikels für verrückt halten. Ich kann dem wenig entgegensetzen. Aber erstens vermag ich damit recht gut umzugehen (ich denke ganz ähnlich über mich). Und zweitens geht es ja um die Sache: Musikhören ist für mich, wie Sie schon ahnen, eine ernste Angelegenheit. Und deshalb behandle ich es auch so.
Ich bin kein Musiker, ich kann keine Partituren lesen, und von Harmonielehre verstehe ich wenig. Und doch höre ich, wenn ich mich auf Musik einlasse, mit Leib und Seele. Bevor ich so weit bin, sind natürlich ein paar Vorarbeiten erforderlich. Wer eine Fernreise macht (und die meiste Musik ist genau das), muss sich ja schließlich ein wenig mit dem Reiseziel auseinandersetzen: Er wird darauf achten, wogegen er sich impfen sollte und was in seinem Gepäck keinesfalls fehlen darf.