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Klimawandel Klimaflüchtlinge in den USA: Eine Insel vor Louisiana versinkt im Meer

  • von Charlotte Köhler
Fluttore schützen Louisianas Festland vor dem steigenden Meeresspiegel und vor katastrophalen Stürmen, den Folgen des Klimawandels. Die Isle de Jean Charles aber ist schon verloren – ihre Menschen kommen nur noch zu Besuch in die alte Heimat
Eine Familie angelt in den Gewässern um die Isle de Jean Charles. Der Fisch, verkauft oder selbst gegessen, ist eine wichtige Ergänzung in einer Gegend, in der jeder Fünfte unter der Armutsgrenze lebt
Eine Familie angelt in den Gewässern um die Isle de Jean Charles. Der Fisch, verkauft oder selbst gegessen, ist eine wichtige Ergänzung in einer Gegend, in der jeder Fünfte unter der Armutsgrenze lebt
© Sandra Mehl

An der Küste von Louisiana sieht ein Mann seiner Heimat beim Untergang zu. Seit Jahren tut er das schon, denn wenn das Meer eine Insel verschluckt, ist das ein langsamer und ein leiser Tod.

Die Augen des Mannes sind eisblau, seine Handrücken gezeichnet von 87 Jahren unter einer Sonne, die brennt. Dunkelbraune Flecken breiten sich auf seiner Haut aus; unaufhaltsam wie das Wasser auf dem Land, das er "meine Insel" nennt. Theo Chaisson kam auf der Isle de Jean Charles zur Welt, eröffnete hier, etwa 130 Kilometer südwestlich von New Orleans, als junger Mann eine Marina. Heute hält das dunkelblaue Holzhaus mit großer Veranda und zwei Anlegern das ausgefranste Stück Land am Leben. Ließen früher noch die Inselbewohner über Chaissons Anlage ihre Boote zu Wasser, um Shrimps, Austern und Krebse zu fangen, von deren Verkauf sie ihre Familien ernährten, sind es heute Hobbyfischer von außerhalb, die mit Bier, Keschern und einem Sonnenbrand im Nacken ihr Glück in den Bayous versuchen, den Sümpfen des Mississippi-Deltas.

Isle de Jean-Charles
Seit 1955 hat die Insel 98 Prozent ihrer Fläche verloren, nun ist sie statt acht Kilometer breit nur noch 300 Meter schmal. Das liegt nicht nur am Klimawandel – aber auch die anderen Gründe sind menschengemacht
© Sandra Mehl

Chaisson beobachtet die Männer genau, denen er neun Dollar für die Nutzung seiner Anlage abgenommen hat. Das Geld liegt in losen Scheinen vor ihm, daneben ein rotes Klapphandy und ein paar Scheiben Wurst in Frischhaltefolie. Seit Jahrzehnten wacht er über seine Insel.

Erschienen in GEO 09/2024