Kiruna ist eine Winterstadt: Sie liegt 140 Kilometer nördlich des Polarkreises, Schnee fällt hier von Oktober bis Mai, und etwa 20 Tage im Jahr steigt die Sonne überhaupt nicht über den Horizont. Besondere Eigenschaften, mit denen die Verwaltung gern Touristen und Touristinnen anlockt – die ihr bei der Stadtplanung aber offenbar zum Verhängnis geworden sind.
Denn bekannt ist Kiruna vor allem durch eins: Die Stadt muss umziehen, weil neue Erzminen entstehen und sich der Boden senkt. 2012 öffnete die neue Bahntrasse, 2015 wurden die ersten Wohnhäuser abgerissen. Und diesen Sommer wurde die Kirche im Ganzen mittels eines riesigen Trägers an ihren neuen Standort fünf Kilometer entfernt versetzt.
    Nur: Die bei der Planung des neuen Kiruna haben sich die Behörden und Baufirmen zwar von modernen Prinzipien leiten lassen – aber das Mikroklima nicht genug mit beachtet. Eine Studie, die gerade in der Fachzeitschrift "Urban Design International" veröffentlicht wurde, zeigt: Die Stadt ist heute viel kälter als am alten Standort, im Winter im Schnitt sogar um zehn Grad.
Das hat mit dem neuen Standort und mit dem Layout der Stadt zu tun. Das neue Zentrum liegt in einer tieferen, weniger geschützten Gegend. Statt gewundenen Gassen gibt es nun gerade Straßen, die den Wind kanalisieren. Wo sich früher kleine Gemeinde- und Grünflächen zwischen den Häusern verteilten, reihen sich nun Einkaufszentren um große, offene Plätze. Mehr Schatten durch dichtere und höhere Bebauung verhindert außerdem, dass Sonnenstrahlen die Stadt aufwärmen.
"Als die Entscheidungsträger die Stadt planten, haben sie ihr Design nicht für das Stadtklima optimiert", sagt Studienleiterin Jennie Sjöholm von der Universität Göteborg. "Sie haben mit dem kommerziellen Zentrum mit drei Shopping-Malls, einem öffentlichen Platz und einem neuen Rathaus und Gemeindezentrum zwar auch Wert geschaffen", so Sjöholm. "Aber sie haben auch einen "verdammten Windtunnel" kreiert, wie es ein Anwohner ausgedrückt hat."
Man könnte annehmen, das moderne Stadtlayout sei dazu gedacht, neue Arbeitskräfte für die Minen aus Schwedens Süden anzulocken, wo die Städte ähnlich gebaut sind. Sjöholm vermutet eher, dass dabei andere Gründe zusammenkamen: einerseits die Bauindustrie, die vor allem auf Standardisierung und Kosteneinsparungen setzt und deshalb wenig auf lokale Gegebenheiten achtet. Und andererseits die Architekten und Planerinnen, die selten selbst aus arktischen Gebieten stammen.
Dabei war Kiruna einst auch baulich eine Winterstadt: Kiruna, gegründet um 1900 rund um das Eisenerzbergwerk, war ein Experimentierfeld für Stadtplanung im extremen Klima. In den 1950er- und 1980er-Jahren diente es als Modellstadt, wie sich die Lebensqualität im hohen Norden durch angepasste Architektur verbessern lässt. Bei der Umsiedlung ist Kiruna nun kälter und unkomfortabler geworden. Dabei müssen die Bewohner und Bewohnerinnen im Klimawandel sogar mit neuen, beschwerlichen Bedingungen rechnen: mehr Regen und damit mehr überfrorene, spiegelglatte Flächen zum Beispiel.