Künstliche Intelligenz Ob Katzen Schmerzen haben, ist schwer zu erkennen – eine App soll das ändern

Eine grimmig guckende Katze
Katzen zeigen oft erst spät eindeutige Zeichen von Schmerz. Eine neue KI soll helfen, mögliche Probleme schon früh zu erkennen, um rechtzeitig den Tierarzt aufsuchen zu können
© farbkombinat / Adobe Stock
Wie es dem Stubentiger geht, ist oft gar nicht leicht zu beurteilen. Nun entwickelten Forschende eine neue KI, die anhand bestimmter Merkmale im Katzengesicht erkennen kann, ob das Tier Schmerzen hat

Viele Katzenhalterinnen und -halter haben Angst, dass es ihrem Stubentiger womöglich schlecht gehen könnte – und sie es nicht merken. Katzen jaulen nicht wie Hunde und zeigen wenig Schmerzempfinden. Das könnte an ihrer Herkunft als territoriale Einzelgänger liegen. Vermutlich war es für eine Katze nicht von Vorteil, einem potenziellen Rivalen oder Fressfeind zu zeigen, dass sie verletzt ist.

Wird lange nicht erkannt, dass die Katze Schmerzen hat, können wichtige Behandlungen im schlimmsten Fall zu spät kommen. Zwar will eine Forscherin kürzlich 276, zum Teil mehrdeutige, Gesichtsausdrücke bei Katzen identifiziert haben. Aber die meisten Menschen sind laut Studien nicht besonders gut darin, das Pokerface der Tiere im Alltag zu entschlüsseln und so Schmerzsignale zu erkennen.

Die KI erkennt Schmerzen bei Katzen zu 77 Prozent korrekt

Forschende der israelischen Universität Haifa und der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover haben daher laut einer in "Nature Scientific Reports" veröffentlichten Studie zwei verschiedene Algorithmen entwickelt, die von der Mimik der Tiere ablesen sollen, ob diese Schmerzen haben. In Tests konnte eine künstliche Intelligenz (KI) mit Hilfe eines dieser Algorithmen den Zustand von Katzen zu 77 Prozent richtig erkennen.

Die Algorithmen wurden mit Bildern der Gesichter von 84 Katzen trainiert, deren Besitzer die Klinik in Hannover aufgesucht hatten. Die Katzen wurden bewusst so ausgewählt, dass sie verschiedene Rassen, Altersstufen und Krankheitsgeschichten repräsentierten. Parallel wurden sie von erfahrenen Veterinären mithilfe des "Glasgow Composite Measure Pain Scale" und der Krankengeschichte aufwendig untersucht und beurteilt. Diese Daten flossen in die Algorithmen ein.

Katze mit Messpunkten im Gesicht
Der Algorithmus erkennt Anzeichen für Schmerz vor allem an kleinsten Veränderungen in der Nasen- und Mundregion. Die Stellung der Ohren spielt für die KI dagegen eine geringere Rolle
© Tierärztliche Hochschule Hannover

In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden auf Basis der Algorithmen eine mobile App entwickeln. Die soll es Katzenbesitzerinnen und -besitzern anhand von Fotos der Gesichter ihrer Katzen ermöglichen, zu prüfen, wie es den Tieren geht, um rechtzeitig den Tierarzt aufzusuchen.

Die App "Tably" beruht auf dem "Feline Grimace Scale"

Auch Tierärzten dürfte eine solche App die Arbeit erleichtern. Denn auch für sie ist es oft Detektivarbeit, den Zustand einer Katze zu beurteilen. Sie stützten sich dabei im besten Fall auf reichhaltige Erfahrung und aufwendige Tests wie den "Glasgow Composite Measure Pain Scale", den "UNESP-Botucatu Multidimensional Composite Pain Scale" oder den 2019 an der Universität Montreal entwickelten "Feline Grimace Scale" (FGS). Allerdings kam eine 2004 in Großbritannien durchgeführte Umfrage zu dem Schluss, dass nicht einmal jede zehnte Person, die Haustiere behandelt, solche Tests auch wirklich nutzt.

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Auf Basis des FGS wurde in der Vergangenheit bereits eine App namens "Tably" entwickelt. Diese und andere Apps seien aber nicht von Fachleuten wissenschaftlich evaluiert worden, sagt die Informatikerin und Koautorin der aktuellen Studie, Anna Zamansky, gegenüber dem Magazin "Scientific American". Die Entwickler von "Tably" räumten bei der Veröffentlichung vor rund einem Jahr selbst Einschränkungen ein. So habe die App Probleme bei jungen, kurz- oder langköpfigen und sehr dunklen Katzen.

Auf welche Anzeichen Halterinnen und Halter achten sollten

Wie aber erkennt man auch ohne App, wie es einer Katze geht? Eine grobe Orientierung bietet der FGS. Es gibt hierzu eine offizielle Website und eine App mit Illustrationen und Fotos. Allerdings sind viele Informationen, wie der Test, mit dem sich das Erkennen von Schmerzsignalen im Gesicht von Katzen üben lässt, auf Englisch.

Spätestens wenn Ihre Katze sehr deutliche Zeichen von Schmerzen zeigt, wie zusammengekniffene Augen, hängende Ohren und aufgesperrter Mund sowie Apathie oder Rückzug, ist es höchste Zeit, den Tierarzt aufzusuchen. Auch wenn sich das Verhalten der Katze plötzlich ändert, kann dies ein Warnzeichen sein.

Anwendungen auch für andere Tiere möglich

Was für Katzen funktioniert, lässt sich theoretisch auch bei anderen (Haus-)Tieren anwenden. So werden zeitgleich auch Apps zur Schmerz- und Emotionserkennung bei Hunden entwickelt. Die Trefferquote einer App der University of California San Diego zur Schmerzerkennung bei Hunden liegt etwa bei 86 Prozent. Auch in der industriellen Tierhaltung besteht ein großes wirtschaftliches Interesse daran, kranke Tiere frühzeitig zu erkennen. 

Die Entwicklungen beschränken sich nicht nur auf die Gesichtserkennung. Andere Anwendungen identifizieren beispielsweise Emotionen anhand von Lauten wie Bellen, Winseln oder Miauen. Selbst körpersprachliche Signale wie das Schwanzwedeln von Hunden sollen mithilfe von Wearables erfasst werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis solche Anwendungen auf den Markt kommen. Sollten derartige technische "Übersetzer" sich bewähren, könnten wir unsere Haustiere tatsächlich eines Tage immer besser verstehen – und umsorgen.