Wer anhaltend zu wenig Flüssigkeit zu sich nimmt, kann schlechter mit Stress umgehen als Menschen, die stets genug trinken. Das zeigt eine aktuelle Untersuchung der Liverpool John Moores University in England. Ein Forschungsteam um Dr. Daniel Sean Kashi und Prof. Neil Walsh entdeckte, dass chronische Dehydration die körperliche Stressreaktion erheblich verstärkt und die einhergehende extreme Ausschüttung von Cortisol langfristige Gesundheitsrisiken birgt. Ihre Ergebnisse präsentierten die Forschenden Mitte August in der Fachzeitschrift "Journal of Applied Physiology".
Stresstest für die Wissenschaft
Das Forschungsteam rekrutierte über eine nationale Datenbank 32 gesunde, junge Erwachsene und teilte sie nach ihren Trinkgewohnheiten in zwei Gruppen auf: 16 Personen, die gewohnheitsmäßig weniger als 1,5 Liter täglich tranken, und 16 Personen, die mehr als 2,5 Liter Flüssigkeit zu sich nahmen. Nach einer Woche der Beobachtung ihrer normalen Trinkgewohnheiten wurden alle Teilnehmenden einem standardisierten Stresstest unterzogen – dem Trier Social Stress Test.
Dieser umfasste anspruchsvolle Kopfrechenaufgaben und ein simuliertes Vorstellungsgespräch. Beide Gruppen zeigten erwartungsgemäß Nervosität mit steigenden Herzfrequenzen. Der entscheidende Unterschied lag jedoch in der hormonellen Reaktion: Die Gruppe mit geringer Flüssigkeitszufuhr wies einen deutlich höheren Anstieg des Stresshormons Cortisol im Speichel auf als die gut hydrierten Teilnehmenden.
Physiologische Hintergründe
Die Erklärung für diesen Effekt liegt in den ausgeklügelten Regulationssystemen unseres Körpers. Bei Flüssigkeitsmangel aktiviert das Gehirn ein komplexes Wassermanagement-System: Es schüttet verstärkt das Hormon Vasopressin aus, das die Nieren anweist, Wasser zu sparen und das Blutvolumen aufrechtzuerhalten.
Vasopressin wirkt jedoch nicht isoliert nur auf die Nieren. Das Hormon beeinflusst gleichzeitig das Stressreaktionssystem im Gehirn und kann dort die Cortisol-Ausschüttung verstärken. "Cortisol ist das wichtigste Stresshormon des Körpers und eine übertriebene Cortisol-Reaktivität auf Stress ist mit einem erhöhten Risiko für Herzkrankheiten, Diabetes und Depressionen verbunden", erklärt Studienleiter Professor Neil Walsh in einer Mitteilung der Universität.
Urinfarbe als Selbsttest
Ein besonders wichtiger Befund der Studie: Durst ist kein zuverlässiger Indikator für Flüssigkeitsmangel. Die Teilnehmenden mit geringer Flüssigkeitszufuhr gaben nicht an, durstiger zu sein als die anderen Probanden. Dies zeigt, dass der Körper seine Dehydration nicht immer durch Durstgefühl signalisiert – ein wichtiger Erkenntnisgewinn für die Praxis.
Stattdessen erwies sich die Urinfarbe als verlässlicher Selbsttest: Hellgelb deutet auf ausreichende Hydration hin, während dunklere Gelbtöne einen Flüssigkeitsmangel signalisieren. Personen mit einer morgendlichen Urinfarbe von vier oder höher auf der standardisierten Acht-Punkte-Skala zeigten etwa doppelt so starke Cortisolanstiege wie jene mit hellerem Urin.
Teufelskreis der Dehydration
Die Studie offenbart einen problematischen Mechanismus: Bei chronischem Flüssigkeitsmangel entsteht eine Doppelbelastung im Körper. Das zur Wasserregulation ausgeschüttete Vasopressin verstärkt gleichzeitig die Stressreaktion, wodurch noch mehr Cortisol freigesetzt wird. Hält dieser Zustand langfristig an, werden Betroffene nicht nur stressanfälliger, sondern setzen auch ihre Gesundheit aufs Spiel.
Dauerhaft erhöhte Cortisolspiegel können zu geschwächter Immunabwehr, verstärkten Entzündungen und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Stoffwechselstörungen führen.
Praktische Empfehlungen
Die Forschenden empfehlen die etablierten Richtwerte: etwa 2 Liter täglich für Frauen und 2,5 Liter für Männer. Dabei zählen nicht nur Wasser, sondern auch Kaffee, Tee und wasserreiche Lebensmittel. Die benötigte Menge variiert individuell je nach Alter, Aktivitätsniveau und Umgebungstemperatur.
Entscheidend ist dabei nicht das perfekte Abmessen, sondern Beständigkeit statt Perfektion beim Aufrechterhalten des Flüssigkeitshaushalts. Das hastige Hinunterstürzen großer Mengen bringt weniger als kontinuierliches Trinken über den Tag verteilt.
Hydration als Stress-Management-Tool
Daniel Sean Kashi betont die praktische Relevanz: "Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr kann dem Körper helfen, Stress besser zu bewältigen. Wenn Sie beispielsweise wissen, dass Sie einen stressigen Terminplan haben, vielleicht eine Deadline bevorsteht oder Sie eine Rede halten müssen, kann es eine gute Angewohnheit sein, eine Wasserflasche in der Nähe zu haben."
Hydration reiht sich damit als neuer, wichtiger Faktor in die Liste der Lebensstilfaktoren ein, die unsere Stressresistenz beeinflussen – neben Schlaf, Bewegung, sozialen Kontakten und Ernährung. Während ausreichend Trinken kein Allheilmittel gegen Stress darstellt, könnte es ein unterschätzter Verbündeter im täglichen Stressmanagement sein und sich positiv auf die langfristige Gesundheit auswirken.