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Psyche und Immunsystem Wege aus der Seelenkrise: Warum Stress krank macht – und was hilft

Lange Zeit gingen Wissenschaftler davon aus, dass Körper und Psyche unabhängig voneinander arbeiten. Inzwischen weiß man, dass seelische Belastungen, allen voran Stress, zur Entwicklung einer Vielzahl lebensbedrohlicher Erkrankungen beitragen können. Doch wenn der Geist dem Körper Schaden zufügen kann – vermag er ihn dann auch zu heilen?
Stress
Das Stresshormon Kortisol spielt eine zentrale Rolle bei der Stressregulation: Es verstetigt die Sofortreaktion des Körpers und leitet gleichzeitig erste Schritte ein, damit die Erregung nicht überhand nimmt
© gremlin/Getty Images

Seine Chance, geheilt zu werden, stünde bei 1:500, teilte der Arzt Norman Cousins mit. Der Mediziner hatte bei dem Amerikaner eine chronische Ent­zündung an der Wirbelsäule festgestellt, die zu starken Schmerzen und Bewegungsstörungen führt. Doch Cousins war kein Mensch, der sich leicht entmutigen lässt. Neben seiner Arbeit als politischer Redakteur hatte er sich in der Friedens­bewegung engagiert und kämpfte gegen Atomwaffen. Er wollte es mit seiner Krankheit aufnehmen, wenngleich auf ungewöhnliche Weise. Und dazu setzte er weder auf Medikamente noch auf chirurgische Eingriffe: Seine Waffe war das Lachen.

Denn Cousins glaubte fest daran, dass sich die Stimmung eines Menschen auf seinen Gesundheitszustand auswirkt, dass es einen tiefen Zusammenhang gibt zwischen seelischem und körperlichem Wohlbefinden. Daher stellte er sich eine Art persönliche Glückstherapie zusammen, um die Selbstheilungskräfte seines Körpers anzuregen. Unter anderem las er humorvolle Bücher und sah regel­mäßig Filme der Marx Brothers. Und tatsächlich: Cousins wurde ent­gegen der ärztlichen Prognose wieder gesund, innerhalb von zehn Monaten hatte er keine Schmerzen mehr. Über seine Heilung schrieb er später das Buch „Der Arzt in uns selbst“. Auch von einem Herzinfarkt Jahre später erholte er sich; wieder sah er vor allem in positiven Emotionen die Quelle seiner Heilung.

Dass die Psyche den Körper krank machen könne, hielt man für Aberglauben

Skeptiker freilich wiesen die Theorien des Amerikaners als esoterisch zurück. Manche Experten wandten ein, sein Arzt habe vermutlich eine falsche Diagnose gestellt; der Patient habe in Wahrheit nur an einer bestimmten Art Rheuma gelitten, die mitunter von selbst verschwindet. Die Kritik war wenig verwun­derlich, denn lange Zeit glaubten Forscher, dass das Gehirn (jenes Nervengeflecht, das all unsere Empfindungen und Gedanken hervorruft) und das Immunsystem (die Organe, Zellen und Moleküle der körpereigenen Abwehr) unabhängig von­einander arbeiteten. Dass die Psyche den Körper krank oder gar einen kranken Körper gesund machen könne, hielt man für Aberglauben.

Erschienen in GEO Wissen 63/2019