Sommer 2024: Ein 47-jähriger Pilot unternimmt mit Frau und Kindern einen Campingausflug. Nach einem langen Tag im Freien bereitet die Familie abends ein Barbecue zu – zur Feier des Tages gibt es Rindersteak.
Um zwei Uhr nachts erwacht der Mann mit starken Bauchschmerzen. Durchfall und Erbrechen schütteln seinen Körper, er dachte, er müsse sterben, erzählt er hinterher seinen Söhnen. Nach zwei Stunden lassen die Symptome nach. Erschöpft schläft der Mann wieder ein.
Zwei Wochen später, ein weiteres Barbecue, diesmal ein Hamburger, diesmal in New Jersey. Gestärkt mäht er den Rasen. Als er vier Stunden später auf die Toilette geht, überkommt ihn jedoch die Schwäche. Um 19.30 Uhr ruft sein Sohn die Mutter an: "Papa wird wieder krank." Zurück im Badezimmer, findet er seinen Vater bewusstlos auf dem Boden, umgeben von Erbrochenem. Um 19.37 Uhr wendet er sich an den Notruf.
Die Rettungskräfte versuchen zwei Stunden lang, den Mann zu reanimieren – auch während des Transports ins Krankenhaus. Um 22.22 Uhr erklären die Ärzte den Familienvater für tot.
Forschende lösen das Rätsel mit einer Blutprobe: Fleischallergie
Die Obduktion bringt keine Klarheit: Herz, Lunge und Bauchorgane wirken unauffällig, auch unter dem Mikroskop gibt es keine Auffälligkeiten. "Plötzlicher, unerklärter Tod”, lautet das Fazit.
Damit will sich seine Frau jedoch nicht abfinden. Sie lässt eine Blutprobe ihres Mannes an ein Forschungsteam der University of Virginia School of Medicine schicken. Die Untersuchungen zeigen, dass der Mann Antikörper im Blut hatte, die auf eine starke Allergie gegen rotes Fleisch hinweisen. Außerdem ist ein bestimmter Laborwert – die Tryptase – extrem hoch, typisch bei schweren allergischen Reaktionen.
Die Frau erinnert sich, dass ihr Mann im Sommer viele juckende Stiche am Knöchel gehabt hat – vermutlich von Larven der Lone-Star-Zecke, die für die Sensibilisierung gegen Alpha-Gal verantwortlich sein können.
Zuckermoleküle aus dem Fleisch alarmieren das Immunsystem
Wenn die Lone-Star-Zecke einen Menschen sticht, gelangen beim Biss winzige Mengen eines Zuckermoleküls namens Alpha-Gal aus ihrem Speichel in die Haut. Das Immunsystem reagiert auf den Zucker und bildet Antikörper – der Körper wird also sensibilisiert.
Isst die betroffene Person später rotes Fleisch, gelangt erneut Alpha-Gal in den Körper. Die zuvor beim Stich gebildeten Antikörper schlagen Alarm und lösen eine Immunreaktion aus. Diese kann verschiedene Schweregerade haben. Die Symptome reichen von Juckreiz, Atemnot und Ausschlag bis zum allergischen Schock, wie im Fall des 47-Jährigen. Er gilt als der erste dokumentierte Todesfall durch das Alpha-Gal-Syndrom.
Die Forschenden veröffentlichten den Fallbericht in der Fachzeitschrift "Journal of Allergy and Clinical Immunology: In Practice". Faktoren wie das Bier zum Hamburger, Pollenbelastung oder körperliche Aktivität könnten die Reaktion des Familienvaters verschlimmert haben.
Eine halbe Million Amerikaner könnte betroffen sein
Der Fall zeigt, wie relevant das Thema geworden ist: Seit den 1950er-Jahren haben sich die Weißwedelhirsche – Hauptwirte der Lone-Star-Zecke – in vielen südöstlichen US-Bundesstaaten stark vermehrt, was die Ausbreitung der Zecke weiter nach Norden beschleunigt und damit auch die der Allergie. Laut Schätzungen könnte fast eine halbe Million US-Amerikaner unter der Fleischallergie leiden. Auch in Deutschland wurden bereits Fälle behandelt.
Besonders gefährlich: Frühe Anzeichen werden oft nicht als allergische Reaktion erkannt. Vor allem nicht, wenn den Betroffenen das Syndrom nicht bewusst ist. Die Forschenden betonen: "Schwere Bauchschmerzen ohne weitere allergische Symptome können eine isolierte, aber lebensbedrohliche Form der Anaphylaxie sein." Dass der Pilot und seine Frau diesen Zusammenhang beim ersten Vorfall nicht erkannt haben, wurde ihm womöglich zum Verhängnis.
Das Fazit der Forschenden lautet deshalb: "Es besteht ein erheblicher Bedarf an besserer Aufklärung sowohl der Fachkräfte als auch der Öffentlichkeit, insbesondere in Regionen mit wachsenden Zeckenpopulationen."