Ob Single, in einer monogamen, offenen, polyamorösen Beziehung – weltweit leben Menschen in den unterschiedlichsten Beziehungskonzepten. Welche Form des Allein- oder Zusammenlebens die beste ist, sollte dabei jedem selbst überlassen sein. Doch obwohl in Deutschland mittlerweile jeder fünfte Mensch allein lebt, haftet dem Single-Dasein immer noch ein Stigma an. Und eine groß angelegte Studie zeigte kürzlich: Singles leiden häufiger an depressiven Symptomen – und zwar kulturübergreifend. Ist das Alleinsein der Grund dafür?
Ergebnisse der Studie
Mit Daten aus Großbritannien, Mexiko, China, den USA, Irland, Korea und Indonesien führte eine internationale Arbeitsgruppe die erste länderübergreifende Studie zum Zusammenhang zwischen Single-Leben und Depressionsrisiko durch. In all diesen Ländern zeigten Alleinlebende eine höhere Wahrscheinlichkeit, depressive Symptome zu entwickeln. Zu den Singles zählt die Studie auch geschiedene oder verwitwete Menschen.
Der Studie zufolge tranken die Unverheirateten mehr Alkohol und rauchten mehr, dadurch waren sie einem erhöhten Risiko für depressive Symptome ausgesetzt. Das galt vor allem für China und Mexiko. Vollständig begründen lassen sich depressive Symptome allerdings nicht mit den Rauch- und Trinkgewohnheiten der Singles.
Single-Männer haben der Studie zufolge zudem ein höheres Risiko, an Depressionen zu erkranken, als Single-Frauen. Die Autorinnen mutmaßen, dass Frauen häufig ein besseres soziales Netzwerk haben, das sie unterstützt und schützt.
Je nach Land, Bildungsgrad und Geschlecht variierten die Ergebnisse leicht. Dabei war das Risiko für depressive Symptome der Singles in westlichen Ländern höher als das in den östlichen. Grund hierfür könnte der unterschiedliche Umgang mit negativen Emotionen sein, der je nach Kulturkreis variiert.
Single-Stigmata: Wie gesellschaftliche Strukturen Depressionen beeinflussen
Auch das Umfeld spielt eine Rolle. Die Psychologin Tita Gonzalez Avilés erforscht die Zusammenhänge von romantischen Beziehungen und psychischen Krankheiten seit Jahren. Sie sagt: "Unsere Gesellschaft ist auf heteronormative Beziehungen ausgerichtet, was Singles zu einer Minderheit macht. Ältere Singles berichten tatsächlich häufig von depressiven Symptomen."
Leben Singles hingegen an Orten, an denen sie die Mehrheit bilden, sieht es anders aus: "Dort liegt ihre Zufriedenheit und die von Paaren enger beieinander," erklärt Gonzalez Avilés. Deshalb sei es wichtig anzuerkennen, dass das Single-Leben kein Mangelzustand, sondern eine alternative Lebensform ist. "Einige Singles sind glücklich, genießen die Autonomie und haben ein gutes soziales Umfeld außerhalb romantischer Beziehungen."
Depressive Symptome bedeuten noch keine Depression
Eine Depression und depressive Symptome seien nicht das Gleiche, betont Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Die Symptome müssen nicht bedeuten, dass die Krankheit wirklich dahintersteckt. Davon könne man erst sprechen, wenn bestimmte Symptome über mehr als zwei Wochen anhalten, etwa völlige Erschöpfung und Isolation, Gefühllosigkeit und Antriebslosigkeit.
"Auch in einer Beziehung, unter Freunden oder in Gesellschaft anderer fühlen sich depressiv erkrankte Menschen isoliert und einsam", so Ulrich Hegerl. Depressionen seien von außen schwer zu begreifen, weil sie auch dann auftreten, wenn alle Lebensumstände gut erscheinen. Das kann auch eine Beziehung belasten. Die Betroffenen können die Depression selbst als Stigma erfahren. Doch seit einigen Jahren gehen Mediziner offener mit der Krankheit um, so Hegerl. "Ärzte und Ärztinnen erkennen sie öfter, was dazu führt, dass mehr Menschen sich helfen lassen." Die Zahl der Suizidfälle hat sich innerhalb der letzten 40 Jahre fast halbiert.
Es sei deshalb wichtiger, die Krankheit ernst zu nehmen, als auf den Beziehungsstatus zu schauen. Niemand sollte aus Angst, eine Belastung für seinen Partner zu sein, Single bleiben. "Am wichtigsten ist es, sich zu informieren", sagt Hegerl. "Eine Früherkennung senkt das Risiko, in eine tiefe depressive Phase zu rutschen und sich selbst die Schuld an seinem Leid zu geben", erklärt er.
Korrelation und Kausalität
Möglicherweise korrelieren depressive Symptome auch deshalb mit dem Single-Sein, weil es für gesunde Menschen schlicht leichter ist, Bindungen einzugehen und in einer Partnerschaft zu leben. Auch Menschen in Partnerschaften können schließlich an Depressionen erkranken, und viele allein Lebende können mit diesem Zustand glücklich sein und dennoch depressive Symptome erfahren.
Trotzdem schafft die Studie durch ihre weltweite Perspektive und die überall gleiche Korrelation eine wichtige Grundlage, um weiterhin nach dem Grund für den Zusammenhang von Beziehungsstatus und Depression zu suchen.
Für Betroffene und Angehörige, die sich Hilfe suchen möchten, gibt es zahlreiche Anlaufstellen. Unter anderem das kostenfreie und deutschlandweite Info-Telefon Depression mit der Rufnummer 0800 33 44 5 33. Auch der Angehörigenvernd bietet Möglichkeiten zum Austausch und die sozialpsychatrischen Dienste der Gesundheitsämter bieten ebenfalls Beratungstermine an.