Wer in höheren Schulklassen oder gar im Erwachsenenalter auf seine Hände schaut, um zwei und zwei zusammenzuzählen, gilt wohl zu Recht als eher minderbegabt. Tatsächlich kann das Rechnen mit der Hand auf kognitive Beeinträchtigungen oder pathologische Schwierigkeiten in Mathematik hinweisen.
Nur verständlich, dass viele Lehrkräfte der Ansicht sind, man sollte diese Strategie spätestens Erstklässlern möglichst schnell abgewöhnen. Auch in der Vorschule deuten einige Pädagoginnen und Pädagogen das Fingerrechnen bereits als Zeichen, dass sich Kinder mit numerischen Kenntnissen schwertun.
Schlaue Kinder zählen mit den Fingern
Doch die Forschung kommt zu differenzierteren Ergebnissen. Demnach sind es offenbar gerade die intelligenteren Mädchen und Jungen, die anfänglich Daumen, Zeigefinger und Co. beim Addieren und Subtrahieren zu Hilfe nehmen. Jedenfalls konnte die Psychologieprofessorin Catherine Thevenot von der Universität Lausanne in einer 2017 veröffentlichten Untersuchung zeigen, dass jene Kinder etwa in Gedächtnistests besser abschneiden.
So gesehen lässt sich das Benutzen der Finger bei Vier- bis Sechsjährigen nicht als Notbehelf, sondern als Leistung verstehen: Sie begreifen bereits, dass eine Zahlenmenge durch verschiedene Mittel dargestellt werden kann – wozu ein gewisses Maß an Abstraktionsvermögen nötig ist. Erst ab dem Alter von acht Jahren, so die Einschätzung von Expertinnen und Experten, könne das Zählen mit den Fingern zur Lösung einfacher Aufgaben auf Rechenschwierigkeiten hinweisen.
Gezieltes Training verbessert Leistungen
Wäre es also sinnvoll, allen Kindern methodisch beizubringen, wie sie das zunächst komplizierte Addieren und Subtrahieren mittels Fingergesten vereinfachen können? Zu diesem Schluss kommt das Team um Catherine Thevenot in einer jüngst publizierten Studie. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten, ob sich auf diese Weise die mathematischen Fähigkeiten von fünf- bis sechsjährigen Kindergartenkindern verbessern, die bislang ohne Unterstützung ihrer Hände rechnen.
Ergebnis: Bei jenen, die gezielt angeleitet wurden, ihre Finger einzusetzen, stieg der Anteil korrekter Antworten bei Additionsübungen im Versuchszeitraum von 37 auf 77 Prozent. In der Kontrollgruppe ohne gezielte Anleitung lediglich von 40 auf 48 Prozent. Folglich sehen die Autorinnen und Autoren der Studie im expliziten Unterrichten einer Fingerzählstrategie einen Weg, Kinder mit leichten Defiziten im Rechnen zu unterstützen – und so Unterschiede zu Altersgenossen auszugleichen.