Lernen Weshalb Schreiben mit der Hand klug macht

Ein Mädchen schreibt mit einem Bleisitft
Auch abstraktes Denken und Lesefertigkeiten profitieren, zeigt eine neue Untersuchung
© Catherine Falls Commercial / Getty Images
So sehr haben wir uns an das Tippen von Notizen und Nachrichten gewöhnt, dass viele von uns bereits Mühe haben, ein paar Zeilen zu Papier zu bringen. Dabei zeigt eine neue Untersuchung, dass Schreiben mit der Hand verblüffende Vorteile hat

E-Mail, WhatsApp und digitale Steuererklärung: Viele schreiben nur noch den Einkaufszettel und ihre Unterschrift per Hand. Selbst in Schulen und Universitäten ersetzen Tablets, Smartphones und Laptops zunehmend handschriftliche Notizen – nicht zuletzt, weil das Tippen auf einer Tastatur meist schneller geht und Informationen im Nu in digitalen Ordnern abgelegt werden können. 

Sie scheinen sich aber, und das ist die Crux, weniger gut im eigenen Gedächtnis zu verankern. So fanden Forschende der Universitäten Princeton und Los Angeles schon vor einigen Jahren heraus, dass etwa Studierende den Stoff aus einer Vorlesung besser lernten, wenn sie sich während des Zuhörens Notizen auf Papier machten, als wenn sie Mitschriften auf dem Laptop anfertigten. Bei den handschriftlichen Notizen hätten die Teilnehmer zwar insgesamt weniger notiert, dafür aber die Informationen sogleich gewichtet und unwichtige Aspekte schneller aussortiert.

Im Gehirn steigt die Konnektivität

Ein Team der Norwegian University of Science and Technology um die Hirnforscherin Audrey van der Meer konnte nun zeigen, was auf neuronaler Ebene geschieht, wenn wir zum Stift greifen oder die Finger über eine Tastatur fliegen lassen. Dazu sammelten die Fachleute Daten von 36 Universitätsstudenten, die wiederholt aufgefordert wurden, ein Wort, das auf einem Bildschirm erschien, entweder mit der Hand zu schreiben oder zu tippen.

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Währenddessen trugen sie eine Haube, die die elektrische Aktivität des Gehirns anhand von Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche mithilfe hunderter kleiner, in ein Netz eingenähter Sensoren misst (Elektroenzephalografie, kurz: EEG). Das Ergebnis: Beim Schreiben mit der Hand war die Konnektivität im Gehirn der Teilnehmenden – anders als beim Tippen – deutlich erhöht. Mit anderen Worten: Verschiedene Hirnregionen vernetzten sich stärker, das Muster neuronaler Aktivität war plastischer. 

Motorik fördert Lernen

Das liegt nach Ansicht der Experten vor allem daran, dass die Bewegung der Finger beim Formen der Buchstaben mehr Aktivität in weitläufigeren neuronalen Netzen erfordert – was wiederum entscheidend für das Abspeichern von Informationen ist. Denn je mehr Hirnareale etwa beim Pauken von Vokabeln oder beim Einüben einer neuen Fertigkeit beteiligt sind, desto leichter fällt es uns, das Gelernte wieder abzurufen.

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Gerade wenn Neuronen-Ensembles beteiligt sind, die für motorische Fähigkeiten zuständig sind, scheinen sich Erinnerungsspuren besonders gut zu verfestigen. Nicht zufällig heißt es, dass "Greifen und Begreifen" Hand in Hand gehen. Dazu passt, dass sich das Erlernen einer Handschrift auch positiv auf die Lese- und Abstraktionsfähigkeit auswirken kann. So erkennen Kinder anhand ihrer ersten, oft krakelig geschriebenen Wörter, dass Buchstaben unterschiedlich aussehen und doch gleich sein können. 

Mehr Sinne beteiligt

Schülerinnen und Schüler, die das Schreiben und Lesen auf einem Tablet gelernt haben, tun sich wiederum mitunter schwer, Buchstaben zu unterscheiden, die spiegelbildlich zueinanderstehen, wie etwa "b" und "d", so Studienautorin Van der Meer. Den Heranwachsenden fehle die körperliche Erfahrung, diese Buchstaben sinnlich zu erzeugen.

Angesichts ihrer Ergebnisse betonen die norwegischen Wissenschaftler, wie wichtig es ist, dass in Klassenzimmern nicht nur Wert auf das Erlernen neuer Medien gelegt wird. Sondern auch weiterhin Stifte zum Einsatz kommen. Ob dafür Richtlinien nötig sind, bleibt zu diskutieren. In vielen US-Bundesstaaten wurde jedenfalls zu Beginn des Schuljahres das Schreibschrifttraining wieder eingeführt.

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