Mikrobiom Alzheimer: Verstopfung geht offenbar mit geistigem Abbau einher

Illustration Darm und Gehirn
Die Verbindung zwischen dem Darm und dem Gehirn gilt als entscheidender Ansatzpunkt bei der Entstehung und Behandlung von Alzheimer
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Unregelmäßiger Stuhlgang und kognitive Einbußen gehen offenbar Hand in Hand, wie eine neue Studie zeigt. Schuld ist wahrscheinlich das Mikrobiom. Forschende haben bestimmte Bakterienspezies im Verdacht und einen Rat für Betroffene

Wer unter chronischer Verstopfung leidet, hat offenbar ein stark erhöhtes Risiko, geistig abzubauen. Zu diesem Schluss kamen Forschende um die Ernährungswissenschaftlerin Chaoran Ma von der University of Massachusetts Amherst. Die Studie ist noch nicht veröffentlicht, wurde aber am 19. Juli auf der internationalen Konferenz der Alzheimer’s Association in Amsterdam vorgestellt.

Die Forscherin und ihr Team haben die Daten von mehr als 100.000 Erwachsenen aus drei groß angelegten Studien ausgewertet. Die Teilnehmenden hatten darin zwischen 2012 und 2013 unter anderem die Häufigkeit ihres Stuhlgangs aufgezeichnet. Außerdem dokumentierten sie in den folgenden zwei bis vier Jahren Veränderungen bezüglich ihrer Gedächtnisfunktion, ihrer Aufmerksamkeit und anderer kognitiver Marker. Bei einem Teil wurde die Entwicklung der kognitiven Funktionen zusätzlich medizinisch untersucht.

Weniger Stuhlgang, mehr kognitive Einbußen

Das Ergebnis: Menschen, die nur alle drei Tage oder seltener Stuhlgang hatten, schnitten kognitiv schlechter ab als Vergleichspersonen. Und zwar so, als wäre ihr Gehirn drei Jahre länger gealtert. Das Risiko für einen beschleunigten kognitiven Abbau war demnach bei Verstopfung um 73 Prozent erhöht. Das ist insofern besorgniserregend als kognitiver Abbau ein frühes Anzeichen für Alzheimer und andere Demenzerkrankungen sein kann.

Aber auch zu häufiger Stuhlgang erwies sich als unvorteilhaft. Wer mehr als zweimal täglich die Toilette aufsuchte, hatte ein um 37 Prozent erhöhtes Risiko für geistigen Abbau.

Um die Ursache für diesen Zusammenhang zu finden, untersuchten die Forschenden Stuhlproben von 515 Versuchspersonen. Es zeigte sich, dass diejenigen, die sowohl unter Verstopfung als auch unter kognitiven Einbußen litten, weniger Darmbakterien aufwiesen, die Ballaststoffe verdauen und gesunde kurzkettige Fettsäuren (Butyrate) produzieren. Außerdem hatten sie mehr entzündungsfördernde Bakterien im Darm.

Entzündungen beschleunigen womöglich die Alzheimer-Demenz

Dass Entzündungen die Nerven schädigen und bei Alzheimer eine Rolle spielen, wird schon länger vermutet. So könnte die unterschiedliche Zusammensetzung der Darmflora das Ergebnis der Studie erklären, sagte Ma laut dem Wissenszmagazin New Scientist auf der Konferenz. Allerdings zeigten die Ergebnisse lediglich einen Zusammenhang, keine Kausalität.

Der Darm steht seit einiger Zeit im Verdacht, die geistige Gesundheit zu beeinflussen. Erst kürzlich wurde ein Zusammenhang zwischen bestimmten Darmbakterien und der Intelligenz festgestellt. Studien haben auch gezeigt, dass die als gesund und entzündungshemmend geltende Mittelmeerdiät mit viel Gemüse, Nüssen, hochwertigen pflanzlichen Fetten und Fisch das Alzheimer-Risiko senkt.

Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Alzheimer

Wie sich die Zusammensetzung des Darmmikrobioms auf die Alzheimer-Krankheit auswirkt, haben Forschende bereits 2020 an Mäusen untersucht. Demnach wiesen erkrankte Mäuse weniger „gute“ entzündungshemmende und mehr „schlechte“ entzündungsfördernde Darmbakterien auf. Mehr noch: Offenbar steckten sie sogar ihre Käfiggenossen mit krankmachenden Bakterien an.

Verabreichten die Forschenden den Mäusen jedoch ein spezielles Präbiotikum, um die Darmflora positiv zu beeinflussen, passierte etwas Bemerkenswertes: Im Darm der Tiere sammelte sich weniger Beta-Amyloid an. Dieses Eiweiß lagert sich bei Alzheimer-Patienten im Gehirn zu „Plaques“ zusammen. Die Plaques sind ein Hauptmerkmal der Krankheit.

Beta-Amyloid gelangt vom Darm ins Gehirn

Auch im Darm von verstorbenen Alzheimer-Kranken ist oft Beta-Amyloid zu finden. Könnte es also sein, dass die Moleküle vom Darm ins Gehirn gelangen? Ein Forschungsteam um John Rudd von der Chinese University of Hong Kong hat genau das ebenfalls im Jahr 2020 in einer Studie untersucht.

Rudd und sein Team versahen Beta-Amyloid-Moleküle mit einem Fluoreszenzmarker und injizierten sie in den Magen-Darm-Trakt von Mäusen. Tatsächlich konnten sie beobachten, dass Nerven im Darm das Protein aufnahmen und über den Vagusnerv, der Verdauungstrakt und Denkorgan miteinander verbindet, bis ins Gehirn transportierten. Die Mäuse entwickelten daraufhin typische Alzheimer-Symptome. Möglich, dass dies so ähnlich auch beim Menschen geschieht.

Dazu passt, dass laut einer ebenfalls auf der Konferenz vorgestellten Studie die Menge an Tau-Proteinen, die ebenso als möglicher Auslöser der Alzheimer-Krankheit gelten, und Beta-Amyloid im Gehirn mit bestimmten Bakterienarten im Darm korreliert. Die schädlichen Proteinansammlungen wurden dabei mittels Hirnscans gemessen. Je höher die Werte bei den 140 untersuchten Probandinnen und Probanden waren, desto weniger Bakterien der Gattungen Butyricicoccus und Ruminococcus und desto mehr Cytophaga and Alistipes fanden sich im Darm.

Können bestimmte Bakterien das Hirn schützen?

Die Autor*innen vermuten deshalb, dass Butyricicoccus und Ruminococcus einen schützenden Effekt auf das Gehirn haben. Koautor Yannick Wadop vom Glenn Biggs Institute for Alzheimer’s and Neurodegenerative Diseases at UT Health San Antonio spekuliert laut einer Pressemitteilung der Konferenz, dass das Fehlen schützender Bakterien die Darmdurchlässigkeit erhöht, so dass Giftstoffe aus dem Darm vermehrt ins Gehirn gelangen können. Dort förderten sie die Anhäufung von Amyloid-Beta und Tau-Proteinen. Als Nächstes wollen sie testen, inwieweit sich die Zusammensetzung der Darmmikroben und damit die Proteinansammlung im Gehirn von außen beeinflussen lässt.

Zwar gelten Beta-Amyloid-Plaques nicht als alleiniger Auslöser der Alzheimer-Demenz. Aber mehrere neue Antikörper, die helfen, die Plaques aufzulösen, setzen genau hier an. So auch Donanemab, das jüngesten Medienberichten zufolge noch besser wirken soll als zunächst angenommen. Demnach hatten Patientinnen und Patienten, die das Medikament erhielten, nach 18 Monaten weniger Beschwerden als eine Vergleichsgruppe.

Fachleute teilen die Euphorie des Herstellers allerdings nicht uneingeschränkt. So weisen die Alzheimerforscherinnen Jennifer Manly und Kacie Deters in einem Gastbeitrag für die Zeitschrift JAMA auf schwere Nebenwirkungen des Medikaments wie Hirnschwellungen und -blutungen hin. Drei Menschen starben sogar während der Behandlung.

Heilung über den Darm? Viele Fragen sind noch unbeantwortet

Möglicherweise könnte der Darm ein alternativer Ansatzpunkt für eine Behandlung sein. Doch: "Es gibt noch viele unbeantwortete Fragen über den Zusammenhang zwischen der Gesundheit unseres Verdauungssystems und unserer langfristigen kognitiven Funktion", sagt Heather M. Snyder, Ph.D., von der Alzheimer’s Association in der Pressemitteilung der Konferenz. "Die Beantwortung dieser Fragen könnte neue therapeutische und risikomindernde Ansätze für Alzheimer und andere Demenzerkrankungen zutage fördern."

Um genauer zu untersuchen, wie der Lebensstil das Mikrobiom und die Gesundheit des Gehirns beeinflussen kann, hat die Alzheimer’s Association die „U.S. Study to Protect Brain Health Through Lifestyle Intervention to Reduce Risk (U.S. POINTER)“ ins Leben gerufen. Sie wird vom US-Gesundheitsministerium unterstützt und soll in den nächsten Jahren mehr Klarheit bringen.

Illustration von Darm und Gehirn
Über die Blutbahn und den Vagusnerv, der Darm und Denkorgan verbindet, können Stoffe aus dem Verdauungssystem bis ins Gehirn gelangen
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Bis die Ergebnisse vorliegen, empfiehlt Dong Wang, die Koautorin der Verstopfungsstudie ist, laut der Pressemitteilung Ärztinnen und Ärzten, gerade mit älteren Betroffenen zu besprechen, wie sie ihre Darmgesundheit verbessern können. Verstopfung könne man beispielsweise durch viel Bewegung, eine ballaststoffreichere Ernährung und viel Trinken entgegenwirken. Auch Polyphenole aus Obst, Gemüse und Vollkorn regten die Darmtätigkeit an, so Wang.