Klima Meere aus dem Gleichgewicht: Die Hitze im Atlantik treibt die Hurrikans an

Hurrikan über dem Meer mit dunklen Wolken
Nur über sehr warmen Meeresoberflächen bilden sich Hurrikans. Wasserdampf ist der Treibstoff, aus dem sie Energie ziehen
© BY / mauritius images
Die Wasseroberfläche des Nordatlantiks ist warm wie nie. Das bringt nicht nur Ökosysteme durcheinander, sondern heizt auch Hurrikans an, macht ihre Winde heftiger und zerstörerisch. Der Klimaphysiker Helge Gößling erklärt, warum das so ist. Und warnt: "Hurrikans werden wahrscheinlich stärker, größer und nasser." Welche Folgen hat das für Europa?

Am Mittwochabend soll der Hurrikan "Milton" in Florida auf die US-Küste getroffen. "Milton" ist selbst unter den Hurrikane der höchsten Kategorie 5 auffallend stark. Ebenso ungewöhnlich: Am Donnerstag werden in Europa die Ausläufer des Hurrikan "Kirk" ankommen. Abgeschwächt zu einem Orkan könnte er durch Süddeutschland ziehen. 

Nur selten beeinflusst ein Hurrikan Europa so direkt. Zwar biegen die nordatlantischen Wirbelwinde ab und zu in Richtung Osten ab, aber selten sind sie so stark, dass die Stürme bei der Ankunft noch solch eine Kraft besitzen. Damit sind "Milton" und "Kirk" Botschafter eines langfristigen Trends: Aufgrund des Klimawandels werden Hurrikane stärker. Wie genau Wärme Tropenstürme in Wirbelwinde verwandelt und warum der Klimawandel sie verändert, beantwortet der Klimaphysiker Helge Gößling vom Alfred-Wegener-Institut.

GEO: Warum wärmen sich die Meere grundsätzlich auf?

Helge Gößling: Dahinter steckt der verstärkte Treibhauseffekt. Eigentlich sollten sich die Meere im thermischen Gleichgewicht befinden, also gleich viel Wärme abgeben wie sie aufnehmen. Doch durch die zusätzlichen Treibhausgase strahlt die Atmosphäre vermehrt Wärme zurück zur Erdoberfläche und eben auch auf die Ozeane. Bislang haben sich die Meeresoberflächen um rund ein Grad erwärmt.

Wie verändern sich die Temperaturen in den Tiefen der Ozeane?

Die Meereserwärmung findet zunächst vor allem in den oberen 50 bis 100 Metern statt, in der Mischungsschicht, die durch Wind und Wellen gut durchgerührt wird. Dort breitet sich die hinzugekommene Wärme innerhalb weniger Jahre aus. Alles, was deutlich darunter liegt, hat sich noch nicht so stark erwärmt, da dort keine direkte Durchmischung stattfindet. In den tieferen Ozean wird Wärme erst ganz allmählich transportiert, unter anderem durch das Absinken von Wassermassen im nördlichen Nordatlantik. Bis sich die Wärme dort ausgebreitet hat, können sogar ein paar Jahrtausende vergehen.

Ein Grad mehr klingt nicht viel. Doch die Energiemenge, die die Meere nun zusätzlich speichern, ist gewaltig. Allein in den letzten Jahren kam laut der Ozeanographin Sarah Purkey so viel Energie hinzu wie aus Hunderten Millionen Hiroshima-Atombomben.

Der Vergleich ist nicht falsch, aber ich halte ihn nicht für hilfreich. Was die tiefen Ozeane alles an riesigen Energiemengen schlucken, sagt ja nicht wirklich viel über das Klimageschehen an der Oberfläche aus. Und es ist das Geschehen an der Oberfläche, das entscheidet, wie sich etwa die Temperaturen an Land entwickeln und wie hoch die Luftfeuchtigkeit steigt.

Helge Gössling/AWI
Der Klimaphysiker Helge Gößling forscht am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven unter anderem zu Extremwetterereignissen
© Kerstin Rolfes/Alfred-Wegener-Institut

Zum Oberflächengeschehen zählen auch die Hurrikane. Sie entstehen vor der Küste Afrikas als tropische Stürme. Erst auf ihrem Weg über den Atlantik Richtung Amerika wachsen sie zu gewaltigen und gefährlichen Wirbelwinden heran. Was passiert da unterwegs? Und welche Rolle spielt die Meerestemperatur?

Dort, wo die Hurrikane entstehen, lassen hohe Wassertemperaturen von über 25 Grad Celsius viel Wasser verdunsten. In den Tropenstürmen kondensiert der Wasserdampf zu Tropfen – Wolken bilden sich, Regen fällt. Dadurch werden Aufwinde angefacht, da die Kondensation Wärme freisetzt.

Das müssen Sie erklären.

Sie kennen mit Sicherheit den gegenläufigen Effekt: die Verdunstungskühlung. Schweißtropfen entziehen der Umgebung bei der Verdunstung Wärme, zurück bleibt kühlere Haut. In den Hurrikane passiert das Umgekehrte: Aus Dampf werden Tropfen. Dabei wird die zuvor latent in der Luftfeuchte steckende Energie wieder freigesetzt.

Je höher die Luftfeuchtigkeit ist, umso mehr Energie kann ein Hurrikan freisetzen. Kühlere Meeresregionen hingegen können keinen Hurrikan generieren, da die Luftfeuchte nicht ausreicht.

Wie entwickelt sich der Hurrikan weiter?

Die aufgeheizte und entfeuchtetete Luft steigt stark nach oben, weil sie leichter ist als die sie umgebende. Die Luftmassen beginnen zu zirkulieren. Oben kühlt die Luft ab, sie sinkt in und neben dem Hurrikan wieder hinunter und kommt abermals in Kontakt mit der Meeresoberfläche. Da die Luftmasse nun trocken ist, kann sie besonders viel Wasser aufnehmen. Der Ozean verdunstet verstärkt, die Luft saugt das Wasser regelrecht auf. Der Prozess beginnt von vorne: Das Wasser kondensiert zu Regen, die freigesetzte Kondensationswärme lässt die kinetische Energie des Hurrikans weiter steigen.

So ein Hurrikan ist sehr effektiv darin, Wasser und Energie aus dem Ozean zu saugen. Satellitenbilder der Meerestemperaturen zeigen, dass Hurrikane hinter sich eine Spur deutlich kälterer Meeresoberfläche zurücklassen – einerseits, weil die Meere viel Wasser verdunsten und abkühlen, andererseits, weil die starken Winde des Wirbelsturms den Ozean bis in tiefere kühlere Wasserschichten hinein durchmischt.

Wie Hurrikans massiv Wärme aus dem Ozean ziehen, zeigte sich exemplarisch am 3. September 2023, als der Nordatlantik vor der Ostküste der USA einen gigantischen Streifen kalter Meeresoberfläche besaß (grün-gelber Bereich). Hier waren kurz zuvor die Hurrikans "Franklin" und "Idalia" vorbeigezogen
Wie Hurrikans massiv Wärme aus dem Ozean ziehen, zeigte sich exemplarisch am 3. September 2023, als der Nordatlantik vor der Ostküste der USA einen gigantischen Streifen kalter Meeresoberfläche besaß (grün-gelber Bereich). Hier waren kurz zuvor die Hurrikans "Franklin" und "Idalia" vorbeigezogen
© Climate Reanalyzer

Der Hurrikan endet erst in Meeresregionen mit niedrigerer Oberflächentemperatur. Auch das Windgeschehen in seiner Umgebung kann ihn bremsen. Und natürlich kollabiert er, wenn er auf die Küste trifft: Selbst wenn die Landesoberfläche sehr warm ist, versiegt schlagartig seine Quelle an Luftfeuchte. Die Kondensation im Hurrikan ebbt ab und damit die Energiezufuhr.

Werden Hurrikane durch den Klimawandel häufiger?

Durch die höheren Meerestemperaturen werden die Hurrikane wahrscheinlich stärker, größer und nasser. Doch es besteht kein Konsens darüber, ob sie auch häufiger werden.

Der Nordatlantik hatte sich im vergangenen Jahr besonders aufgeheizt. Die Ursache war wohl eine ungewöhnliche Kombination aus Tief- und Hochdruckgebieten. Aber auch in diesem Jahr waren die Temperaturen auffallend hoch. Erwarten Sie, dass die Temperatur im Atlantik sinken wird?

Ja. Die Lage im Nordatlantik wird sich vermutlich zunächst wieder ein Stück weit normalisieren – irgendwo um das Niveau der langfristigen Temperaturerhöhung. Aber der langfristige Trend geht natürlich weiter. Wenn wir in einigen Jahren wieder solch eine ungewöhnliche Situation haben werden, werden die Temperaturen noch höher ausfallen, weil sie auf eine höhere Durchschnittstemperatur aufsetzen.

Die grauen Linien zeigen die Temperaturen im Nordatlantik für jedes Jahr von 1981 bis 2022. Das vergangene Jahr 2023 (gelbe Linie) hat extreme Rekorde aufgestellt: In der Mitte des Jahres überragte die Temperatur den höchsten zuvor gemessenen Wert um 0,7 Grad. Auch die Temperaturen in 2024 (rot) liegen weit über den Werten der Vergleichsdekaden
Die grauen Linien zeigen die Temperaturen im Nordatlantik für jedes Jahr von 1981 bis 2022. Das vergangene Jahr 2023 (gelbe Linie) hat extreme Rekorde aufgestellt: In der Mitte des Jahres überragte die Temperatur den höchsten zuvor gemessenen Wert um 0,7 Grad. Auch die Temperaturen in 2024 (rot) liegen weit über den Werten der Vergleichsdekaden
© Climate Reanalyzer

In Europa bleiben wir vor Hurrikane zum Glück verschont, aber Ausläufer wie "Kirk" können uns dennoch treffen. Welchen Einfluss hat die zunehmend wärmere Meeresoberfläche auf unser Wetter?

Durch sie werden einerseits wärmere Luftmassen übers Land getragen, zudem landet mehr Wasserdampf in der Atmosphäre. Eine Faustregel besagt: Ein Grad höhere Temperatur liefert rund 7 Prozent mehr Luftfeuchte. Bei normalem Regen merkt man das nicht so sehr. Aber Starkregen fallen heute und zukünftig tendenziell intensiver aus. Dies kann die heutigen Infrastrukturen wie Dämme überfordern.

Das Interview erschien erstmals im September 2023. Es wurde im Oktober 2024 aktualisiert.