Politikwissenschaft Der Code der Staatsstreiche: Wann Putsche gelingen – und wann sie scheitern

Boliviens Regierungssitz La Paz im Juni 2024: Hochrangige Militärs hatten versucht, die demokratisch gewählte Regierung zu stürzen, Soldaten besetzten zwischenzeitlich den Platz vor dem Regierungspalast. Der Putschversuch scheiterte – auch weil Präsident Luis Arce die Bevölkerung zum Widerstand aufrief
Boliviens Regierungssitz La Paz im Juni 2024: Hochrangige Militärs hatten versucht, die demokratisch gewählte Regierung zu stürzen, Soldaten besetzten zwischenzeitlich den Platz vor dem Regierungspalast. Der Putschversuch scheiterte – auch weil Präsident Luis Arce die Bevölkerung zum Widerstand aufrief
© Picture Alliance / dpa
Rund 500 Putschversuche gab es weltweit in den letzten 70 Jahren. Der Politikwissenschaftler David Kühn erklärt, warum es immer komplexer wird, Staatsstreiche durchzuführen

GEO: In den vergangenen Monaten und Jahren gab es weltweit immer wieder Staatsstreiche, zuletzt in Bolivien und Niger. Nehmen Putschversuche zu? 

Dr. David Kühn: Zunächst einmal sind Putschversuche in der internationalen Politik ein häufiges Phänomen. Seit 1950 gab es weltweit rund 500 Anläufe, in denen Akteure des offiziellen Staatsapparats illegal versucht haben, die Regierung zu entmachten – nicht etwa durch verdeckte Handlungen wie Attentate, sondern durch offene, organisierte Aktionen. Dazu kommt eine unbekannte Anzahl solcher Staatsstreiche, die geplant, aber wegen unsicherer Erfolgsaussichten nie realisiert wurden. Seit den 1980er-Jahren ist die Zahl der Putschversuche pro Dekade kontinuierlich zurückgegangen, in den 2020er-Jahren könnte sie aber erstmals wieder steigen.

Wie lässt sich diese Entwicklung erklären?

Besonders viele Putschversuche fanden in den 60er- und 70er-Jahren statt, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, und der Zeit, in der in Lateinamerika und im subsaharischen Afrika viele Bürgerkriege eskalierten. Nach dem Ende der Sowjetunion kam es zu deutlich weniger anti-kommunistischen Staatsstreichen und zudem etablierte sich eine Anti-Putsch-Norm: Überstaatliche Organisationen wie die Afrikanische Union oder die Union Südamerikanischer Nationen drohten damit, Regierungen auszuschließen, die durch einen Putsch an die Macht gekommen sind. Auch Vertreter insbesondere demokratischer Staaten erklärten immer wieder ihre Ablehnung gegenüber Putschisten. Auf internationaler Bühne wurden Staatsstreiche quasi geächtet.

Und das ändert sich derzeit?