Schon als Jugendlicher ist Stefan Glowacz begeistert von der Verdon-Schlucht und setzt sich in den Kopf, seine eigenen Spuren in der "Gorges du Verdon" zu hinterlassen. Auch wenn Stefan Glowacz als erfolgreichster Wettkampfkletterer Deutschlands gehandelt wird, scheitert seine Erstbegehung der "Golden-Shower-Route" viele Male. Mit ihren vier Seillängen über 150 Meter Länge und einer unglaublichen Steilheit gehört die Route zu einer der schwierigsten Mehrseillängenrouten in der südfranzösischen Verdon-Schlucht.
Warum Stefan Glowacz trotzdem nicht aufgab und wie er nach über acht Jahren endlich sein Ziel erreicht hat, erzählt er im Interview. Aus seiner Begeisterung für die Verdon-Schlucht ist nun ein Film entstanden: "Spielplatz der Extreme - Die Verdon-Schlucht" erzählt Geschichten von verschiedenen Extremsportlern, die in der Schlucht immer wieder auf der Suche nach neuen Herausforderungen sind - und vielleicht auch nach sich selbst.
GEO.de: Seit Ihrer Jugend träumen Sie von einer Erstbegehung in der Verdon-Schlucht. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Stefan Glowacz: Die Verdon-Schlucht ist eines meiner uneingeschränkten Lieblingsgebiete. Jedes Jahr verbringe ich viele Wochen dort und fahre als Profi-Kletterer auch mit anderen Augen die Schlucht entlang. Ich sehe mich nicht als Besucher, sondern als Erschließer. Immer wieder hatte ich dieses Erstbegehungs-Potential der Schlucht vor Augen und habe mögliche Routen in den Felswänden gesehen, die noch unerschlossen sind. Da ergab es sich dann ganz von selbst, dass auch ich dort einmal meine Spuren hinterlassen wollte.
Sie haben viel von der Welt gesehen und doch fasziniert Sie die Verdon-Schlucht besonders. Was zeichnet die Schlucht für Sie und Extremsportler aus?
Stefan Glowacz: Die Verdon-Schlucht hat eine unglaubliche Felsqualität: sehr kompaktes Kalkgestein mit einer hohen Reibung. Es bieten sich sehr schöne Strukturen zum Klettern an. Eine weitere Besonderheit ist, dass man sich zuerst vom Rand der Schlucht zu den meisten Routen abseilen muss. Denn die Routen beginnen irgendwo in der Wand und von dort klettert man wieder hinauf.
Außerdem muss man als Kletterer in der Verdon-Schlucht genau wissen, was man tut. Das Klettererlebnis dort ist eine Art Mischung aus Alpinismus und Sportklettern. Das alles macht sie so einzigartig. Wenn ich die Wahl hätte zwischen Australien und der Verdon-Schlucht, würde ich mich wahrscheinlich immer für die Verdon-Schlucht entscheiden.
Welche besonderen Herausforderungen mussten Sie auf der Golden Shower-Route meistern?
Stefan Glowacz: Die extreme Steilheit und der schwere Zustieg machen die Besonderheit der Route aus. Eine weitere Besonderheit ist ihre Lage, denn sie befindet sich auf der anderen Seite der Schlucht. Da es in diesem Gebiet kaum Infrastruktur gibt, ist es zeitaufwendig und schwierig, dorthin zu gelangen. Zudem lebe ich nicht in dieser Region und habe nicht immer genügend Zeit, in die Verdon-Schlucht zu fahren.
Hinzu kamen noch weitere, verschiedene Faktoren: Beispielsweise kann der Fitnesszustand entscheidend sein, wenn er doch noch nicht ganz ausreicht. Oder die klimatischen Bedingungen waren nicht perfekt, weil es zum Beispiel zu heiß war oder der Regen zu stark. So kommt dann eins zum anderen und das Projekt zieht sich ein paar Jahre hin.
Viele Male scheiterte der Durchstieg. Wie sind Sie mit dem Scheitern umgegangen? Was hat Sie motiviert, es immer wieder erneut zu versuchen?
Stefan Glowacz: Bei diesem Projekt war es für mich eine ganz spielerische Art, zu klettern. Ich wusste immer, dass ich es kann und ich mich nur entsprechend fokussieren muss. Natürlich war ich enttäuscht, wenn es nicht geklappt hat und ich unverrichteter Dinge nach Hause fahren musste. Denn es ist schon sehr mühsam, einen neuen Versuch zu starten. Aber in jedem Scheitern liegt auch immer eine Erkenntnis. Und Erkenntnisse sind wichtig, um sich als Bergsteiger weiterzuentwickeln.
Zudem ist die Verdon-Schlucht ein so attraktives Ziel, dass ich sehr gerne dorthin fahre. Ich wusste, dass ich es so oft versuchen würde, bis ich es schließlich geschafft habe. Diesen Gedanken kann man auch sehr gut auf das allgemeine Leben übertragen: Ein Ziel muss so attraktiv sein, dass es sich lohnt, es immer wieder zu versuchen. Sonst führt es einen nicht zum Erfolg.
Ist diese Attraktivität auch ein Grund, sich immer wieder aufs Neue der Höhe und dem Risiko beim Klettern auszusetzen?
Stefan Glowacz: Ein wirkliches Risiko gibt es meiner Meinung nach nicht. Wir sichern uns ja beim Klettern, und die Golden-Shower-Route ist eine Route, die man zu 99 Prozent gefahrlos begehen kann.
Wie fühlt es sich an, als Erster die Golden-Shower-Route bezwungen zu haben?
Stefan Glowacz: Es ist natürlich immer eine große Erleichterung, aber es schwingt auch eine große Portion Wehmut mit. Denn für mich fällt ein sportlicher Lebensinhalt weg, wenn ein Projekt abgeschlossen ist. Je härter ich um ein Ziel kämpfen musste und je mehr Energie es von mir selbst gefordert hat, umso resignierter bin ich erstmal im Anschluss. Diesen sportlichen Lebensinhalt muss ich mir dann mit einem neuen Ziel wieder aufbauen.
Und diese Enttäuschung überwiegt dann tatsächlich die Freude und den Stolz?
Stefan Glowacz: Die Freude kommt auch, aber erst später. Nämlich dann, wenn ich den Fokus wieder auf etwas Neues gerichtet habe und dann zurückblickend sagen kann: Mensch, das war eine tolle Sache und ich habe viel aus dem Projekt gelernt!
Warum haben Sie Christian Schlesener als Partner für das Projekt Verdonschlucht gewählt?
Stefan Glowacz: Christian ist ein sehr guter Freund und er ist genauso ehrgeizig und ambitioniert wie ich. Das ist wichtig, denn Kletterpartner müssen ähnliche Charaktere und Sichtweisen mitbringen. Die Motivation muss bei beiden die Gleiche sein, sonst funktioniert es nicht. Außerdem können Christian und ich uns 100-prozentig aufeinander verlassen. Und natürlich ist es toll, wenn man ein solches Erlebnis mit jemandem teilen kann, den man auch als Menschen sehr schätzt.
Wie hat Sie die Schlucht menschlich verändert?
Stefan Glowacz: Die Verdon-Schlucht hat mich besonders eines gelehrt: Demut zu haben. Denn als ich das erste Mal in der Schlucht war, habe ich mich und meine Fähigkeiten als Kletterer komplett selbst überschätzt. In solch einem Moment wird man wieder von seinem hohen Ross der Arroganz und Überheblichkeit heruntergestoßen. Das sind natürlich Erfahrungswerte, die mich in gewisser Weise verändert haben. Denn solche Erfahrungen nehme ich auch mit in meinen Alltag und sie haben mich sicherlich auch als Mensch verändert.
In der Dokumentation "Spielplatz der Extreme: Die Verdon-Schlucht" entführen Sie die Zuschauer in dieses Naturgebiet. Können auch Hobby-Kletterer in der Schlucht Routen klettern oder ist sie nur für Profis geeignet?
Stefan Glowacz: Es können auch Hobby-Kletterer in der Verdon-Schlucht klettern! Aber: Man sollte stets mit einer fachkundigen Anleitung die ersten Schritte machen. Darum empfiehlt es sich, mit einem Bergführer in die Schlucht zu fahren, damit er die Spezialitäten und Kniffe des Gebiets erklären kann. Man kann immer viel von anderen Kletterern lernen und muss anfangs nicht die gleichen Fehler machen.
Sie sagen, dass Sie an der Verdon-Schlucht ihre Ursprünglichkeit sehr schätzen. Befürchten Sie nicht einen Run von Kletterern, die nun in dieses Gebiet reisen möchten?
Stefan Glowacz: Nein, überhaupt nicht. Denn die Verdon-Region ist generell ein Touristenspot, zu dem auch normale Provence-Touristen reisen. In den Sommermonaten ist der nächste Ort, La Palud, in einem totalen Ausnahmezustand. Aber im Herbst und Frühjahr ist es dort teilweise wie ausgestorben.
Außerdem herrschen in der Verdon-Schlucht eigene Gesetze und das Klettern erfordert einiges an Zeit und Aufwand. Da bleiben nur die Kletterer, die diese Art zu Klettern auch zu schätzen wissen. Ich freue mich immer, wenn ich Leute in der Verdon-Schlucht treffe, die diese Begeisterung mit mir teilen.
Die Golden Shower-Route haben Sie geschafft! Welches Abenteuer ist nun geplant?
Stefan Glowacz: Momentan arbeite ich an einem Erstbegehungsprojekt im Wettersteingebirge, genauer im Höllental. Nächstes Jahr ist wieder eine größere Expedition in die Arktis geplant, die einen größeren Planungsaufwand erfordert.
Wohin geht es denn für Sie in die Ferien? Halten Sie einen Strandurlaub mit der Familie eigentlich aus, wenn es so gar keine Berge gibt?
Stefan Glowacz: Ich brauche schon Action und ich muss ehrlich sagen, dass ich nach drei Tagen Strandurlaub echt nervös werde. Auf Inseln mit Steilküste kann ich zwar ein bisschen über dem Wasser klettern, aber stürze dann ins Wasser, weil kein Sicherungspartner dabei ist.
Oder ich baue meinen Trainingsparkour auf und mache mein Trockentraining. Aber nach ein paar Tagen kann ich es einfach nicht mehr genießen, weil dann das schlechte Gewissen kommt. Eine richtige Auszeit nehme ich mir nur rund um Weihnachten und Neujahr. Dann fährt die ganze Familie gemeinsam nach Brasilien zum Surfen.
Aber Sport muss immer sein?
Stefan Glowacz: Ja! Sport muss immer sein. Sonst dreh ich durch! (lacht)

Infos zu Stefan Glowacz
Alle Informationen rund um die Person Stefan Glowacz und seine Projekte finden Sie auf seiner Webseite www.glowacz.de.