In Stadt und Wald Wie man sich bei einer Begegnung mit einem Wildschwein richtig verhält

Wenn man ihnen nicht zu nahe kommt, sind Wildschweine völlig friedlich, scheu sogar. Doch fühlen sie sich angegriffen, setzen sie zur Verteidigung an – das bekommen hin und wieder Hunde und ihre Besitzerinnen zu spüren
Wenn man ihnen nicht zu nahe kommt, sind Wildschweine völlig friedlich, scheu sogar. Doch fühlen sie sich angegriffen, setzen sie zur Verteidigung an das bekommen hin und wieder Hunde und ihre Besitzerinnen zu spüren
© Gert Bosman / 500px
In Deutschland gibt es mehr und mehr Wildschweine – die immer weiter in die Städte vordringen. Was tun, wenn man solch einem imposanten Wildtier plötzlich gegenübersteht? 

Plötzlich steht sie da, mitten auf dem Fußgängerweg. Mit einem Rascheln hat sie ihren massigen Körper durch das Dickicht am Wegesrand gezwängt und blickt den verdutzten Spaziergängerinnen nun direkt in die Augen. Und die Bache mit den graubraunen Borsten und den wachen Augen ist nicht allein. Ihre Frischlinge graben nur wenige Meter entfernt in der noch feuchten Erde eines ausgetrockneten Bachbetts nach Wurzeln. Als nähmen sie die aufgeregten Menschen um sich herum gar nicht wahr.

Vielleicht tun sie das auch nicht; die Wildschweine haben die Parkanlagen hier in Berlin-Spandau längst in Beschlag genommen, sie gehören zur Hauptstadt wie Spätis und die Schlange vor dem Berghain. Doch auch anderswo in Deutschland vermehren sich Wildschweine prächtig und breiten sich aus. Und weil die Allesfresser auf der Suche nach Nahrung immer weiter in die Städte und Siedlungen vordringen, werden Begegnungen mit den bis zu 130 Kilogramm schweren Tieren immer häufiger. Ein überrumpelndes Zusammentreffen – für den Menschen ebenso wie für das Schwein.

Dabei geht von gesunden Wildschweinen erst einmal keine Gefahr aus, sagt Derk Ehlert. "Sie sind groß, sie sind stark, und wie alle Wildtiere sind sie unberechenbar – aber sie sind nicht angriffslustig oder aggressiv", sagt der Wildtierreferent der Berliner Senatsverwaltung, der die Wildschweine in der Hauptstadt seit Jahrzehnten beobachtet. Wenn überhaupt, dann verteidigen sich die Tiere: Wenn man ihnen zu nahe kommt, sie in Panik geraten oder das Gefühl haben, ihr Revier oder ihren Nachwuchs verteidigen zu müssen. Besonders im Frühling, wenn die Bache Frischlinge hat, sollte man sich den Tieren deshalb nicht nähern.

Steht man doch plötzlich einem Wildschwein gegenüber, gilt es, Ruhe zu bewahren. So aufregend die Begegnung auch ist – hektische Bewegungen oder laute Geräusche könnten das möglicherweise ebenfalls verängstigte und verunsicherte Tier erschrecken. Stattdessen sollte man ruhig stehen bleiben und einen Augenblick abwarten, bis sich das Wildschwein verzogen hat. Damit das überhaupt möglich ist, sagt Ehlert: "Drängen Sie das Wildschwein niemals in die Enge oder eine Ecke, und geben Sie dem Tier immer eine Fluchtmöglichkeit." Dann nämlich zieht sich das Wildschwein in der Regel freiwillig zurück.

Niemals einem verletzten Wildschwein nähern

Dazu brauchen die Tiere ihre Rückzugsgebiete im Dickicht von Parks und Wäldern. Dass Spaziergehende auf den Wegen durch diese hindurchflanieren, sind die Tiere gewohnt. Doch wenn ein Mensch den Weg verlässt und in ihren Ruheraum eindringt, kann es sich für die Wildschweine anfühlen, als stünde ein Eindringling im heimischen Wohnzimmer. Derk Ehlert empfiehlt deshalb: immer auf den Wegen bleiben. 

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© Bild: VezzaniPhotography, Mikolaj Niemczewski / Adobe Stock
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Hält man sich an diese Regeln, hat man von den imposanten Waldbewohnern nichts zu befürchten. Dem Wildtierexperten ist in über 30 Jahre kein Fall aus Berlin bekannt, in dem ein gesundes Wildschwein von sich aus einen Menschen angegriffen hätte. Trotzdem gibt es jedes Jahr Wildunfälle und verletzte Personen: "Die gehen aber von verletzten Tieren aus, die einen Verkehrsunfall hatten oder angeschossen wurden und dann zum Angriff übergehen oder in Panik einen Menschen zu Fall bringen." Auch dann gilt: Stehen bleiben, langsam zurückziehen oder hinter einen Baum stellen. Und am allerwichtigsten: sich von verletzten Wildschweinen fernhalten. Wer ein angefahrenes oder verletztes Wildschwein sieht, sollte stattdessen aus sicherer Entfernung die Polizei oder einen Jäger rufen. Dann, sagt Ehlert, kommt es praktisch nie vor, dass das Tier angreift.

Hund und Wildschwein – eine gefährliche Kombination

Es sei denn, die Schweine werden von einem bellenden Vierbeiner angegriffen und versuchen, sich zu verteidigen. "Hund und Wildschwein, das geht gar nicht", sagt Ehlert. In die zweite Kategorie der Zusammenstöße zwischen Mensch und Wildschwein fallen deshalb Hundebesitzerinnen und -besitzer, die sich zwischen ihr Tier und ein Wildschwein stellen, das der Hund provoziert hat. Das kann durchaus gefährlich werden. "Halten Sie Ihren Hund deshalb auf den Wegen und verhindern Sie, dass er Wildschweine jagt oder aufscheucht", sagt Ehlert. Im Zweifelsfall gilt: Der Hund muss an die Leine.

Wenn wir aufmerksam durch den Wald oder Park gehen, können wir die Anwesenheit von Wildschweinen übrigens oft schon spüren, bevor wir sie sehen. Ein frisch aufgewühlter Boden zeigt, dass Wildschweine nach Nahrung gebuddelt haben. Und auch ihr starker Eigengeruch verrät die Tiere oft, bevor sie sich zeigen. Sie duften intensiv nach Maggi.  

Die gute Nachricht: Je weiter die Tiere ins Stadtgebiet vordringen, desto entspannter sind sie bei einer Begegnung mit Menschen. "Stadtwildschweine haben eine kürzere Fluchtdistanz als Wildschweine außerhalb von Siedlungsräumen", sagt Ehlert. "Sie nähern sich uns eher, sind weniger scheu und mit uns Menschen vertrauter." In manchen Städten scheuen sich die Tiere nicht einmal, Gärten oder Vorgärten auf der Suche nach Nahrung zu durchwühlen. Wildschweine auf dem Land dagegen sind sehr scheu. Sie flüchten in der Regel sofort, wenn sie einen Menschen bemerken – Begegnungen mit einem Wildschwein sind hier deshalb äußerst selten. 

Trockene Sommer mit einem mageren Nahrungsangebot im Wald locken allerdings immer mehr Wildschweine in die Städte, wo sich in Gärten und Parks ein wahres Festmahl vor den Tieren ausbreitet. Zu sehr an die Siedlungsgebiete sollten sich die Wildschweine aber nicht gewöhnen, sagt Ehlert – wir sollten sie deshalb keinesfalls zusätzlich anlocken: "Wildschweine sollten auf keinen Fall gefüttert werden. Das gilt auch für Gartenabfälle, die immer wieder illegal am Waldrand abgekippt werden und die Wildschweine aus dem Wald locken." Denn wenn sich die Wildschweine erst einmal an das Füttern gewöhnen, können sie ihre natürliche Scheu vor uns Menschen verlieren. 

Das kann gefährlich werden, wenn die Tiere auf der Suche nach Futter auf Menschen zugehen, die die Kontaktaufnahme der Tiere missverstehen und versuchen, sie zu streicheln. Oder wenn Kinder, die die Lage nicht richtig einschätzen können, mit zutraulichen Frischlingen spielen wollen. Dann nämlich geben die Wildschweine, aller Kompromissbereitschaft im Zusammenleben zum Trotz, unmissverständlich zu verstehen: Sie sind und bleiben wilde Tiere.