Die Versuchung ist groß: Kaum stakst im Herbst ein Igel durch den Garten, zücke ich die Wildtierkamera und installiere sie dort, wo ich seine nächtlichen Routen vermute. Am nächsten Morgen ist der erste Kaffee kaum durchgelaufen, da prüfe ich bereits die App: Hat der Bewegungsmelder ausgelöst? Meistens nicht. Oder eine Maus huscht durchs Bild. Auch süß.
Kürzlich legte ich vor der Kamera ein wenig Futter aus. Und siehe da: Der Igel kam. Wer naturnah gärtnert, findet in solchen flüchtigen Begegnungen eine gewisse Bestätigung. In meinem Fall umso mehr, da der Igel gesund und wohlgenährt aussah. Grund genug, die Fütterung wieder einzustellen. Denn so gut die Unterstützung gemeint ist, oft schadet sie dem Tier eher.
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Igel füttern: falsches Futter, falsches Timing
Igel ernähren sich naturgemäß von Käfern, Ohrwürmern, Raupen, Larven, Regenwürmern und anderen Kleinlebewesen. Damit ist ihre Ernährung protein- und fettreich, aber kohlenhydratarm. Wer zufüttern möchte, sollte deshalb Katzenfutter mit hohem Fleischanteil (mindestens 70 Prozent) und ohne Getreide wählen, alternativ ungewürztes Rührei oder gegartes Hackfleisch, keinesfalls jedoch Speisereste, Obst oder Milchprodukte.
Aber: Für die dauerhafte Aufnahme von künstlichem Futter ist der Igelmagen nicht ausgelegt. Bei ungünstiger Zusammensetzung kommt es zu Verdauungsstörungen, die den Organismus schwächen. Auch Übergewicht, Nierenschäden, Lebererkrankungen, Probleme mit der Bauchspeicheldrüse oder die Bildung von Zahnstein, der zu Zahnverlust und schließlich zum Verhungern des Igels führen kann, sind mögliche Folgen falscher Zufütterung. Spezielles Igelfutter bildet dabei keine Ausnahme: Selbst wenn Zusammensetzung und Nährstoffbilanz stimmen, was bei vielen Futtermischungen aus dem Handel nicht der Fall ist, sind diese Mittel nicht als Hauptnahrung geeignet.
Hinzu kommt: Ein permanentes Futterangebot konditioniert die Tiere derart, dass sie nachts die bekannten Routen entlang der Futterstellen ablaufen. Sie verlernen, in ihrer natürlichen Umgebung selbstständig nach Nahrung zu suchen. Vor allem für Jungtiere, die diese Fähigkeit erst erlernen müssen, kann das fatal sein.
Auch der Biorhythmus gerät möglicherweise durcheinander. Igel halten Winterschlaf. Dazu fressen sie sich im Herbst Fettreserven an. Sobald es kälter wird und die natürliche Nahrung schwindet, ziehen Igel sich in ihre Winterquartiere zurück. In der Regel ist das zwischen Ende Oktober und Mitte November der Fall, wenn die Temperaturen länger unter sechs Grad liegen. Jungigel, die erst im September geboren wurden, und Igelweibchen, die von der Jungenaufzucht noch geschwächt sind, bleiben meist länger aktiv, zum Teil bis in den Dezember. Werden Futterstellen darüber hinaus weiter beschickt, gehen die Tiere unter Umständen nicht in den Winterschlaf. Spätestens beim ersten Frost muss die Fütterung darum vollständig eingestellt werden.
Wann darf man Igel im Garten füttern?
Klimawandel und Artenschwund stellen den Igel vor einige Herausforderungen. Eine Zufütterung kann im Notfall Leben retten, ist aber nur dann erforderlich, wenn die Tiere unterernährt oder schwach erscheinen. Das kann zum Beispiel bei Weibchen oder Jungtieren im Spätherbst der Fall sein, oder im zeitigen Frühling, wenn der Boden noch gefroren und das Nahrungsangebot spärlich ist. Wenn Igel tagsüber unterwegs sind, ist das fast immer ein schlechtes Zeichen. Auch Gewicht und Körperform helfen bei der Beurteilung: Ein untergewichtiger Igel hat eine längliche, schmale Form, die breiteste Stelle befindet sich im Schulterbereich, und manchmal gibt es eine Einbuchtung im Nacken, die man als Hungerknick bezeichnet. Wohlgenährte Igel sind von rundlicher Statur, die an eine Birne erinnert: hinten dicker als vorne. Das Igelzentrum Niedersachsen stellt hier Fotos im Vergleich zur Verfügung.
Im Zweifel setzt man das Tier im Garten auf eine Waage und lässt es, sofern es nicht untergewichtig ist, sogleich wieder seiner Wege gehen. Um den Winterschlaf zu überstehen, sollten Jungigel im Herbst 500 bis 600 Gramm und ausgewachsene Tiere mindestens 1000 Gramm auf die Waage bringen. Ist der Igel untergewichtig, aber ansonsten gesund, kann man ihn vorübergehend füttern.
Futterstellen nur punktuell und zeitlich begrenzt einrichten
An offen zugänglichen Futterstellen steigt der Konkurrenzdruck, wenn mehrere Igel aufeinandertreffen, die sich normalerweise aus dem Weg gehen würden. Zudem wird die Übertragung von Krankheiten gefördert. Eine Futterstelle sollte deshalb nur für das Tier zugänglich sein, welches man als hilfsbedürftig identifiziert hat. Dazu bietet sich eine dezente Markierung der Stacheln mit Nagellack an.
Die Fütterung ist zeitlich so stark einzugrenzen wie möglich. Am besten konditioniert man den Igel auf einen Zeitpunkt am Abend nach der Dämmerung. Hat er gefressen, entfernt man mögliche Futterreste, um keine anderen Igel, Katzen, Marder, Waschbären oder Füchse anzulocken – zum Teil natürliche Fressfeinde des Igels. Um die Verlockung für diese Tiere so gering wie möglich zu halten, nutzt man ein spezielles Igel-Futterhaus und beschwert es mit Steinen oder gefüllten Gießkannen. Eine Bauanleitung für ein selbstgemachtes Futterhaus finden Sie hier.
Sowohl abgemagerte Igel als auch solche, die gerade aus dem Winterschlaf erwacht sind, sollten zunächst nur kleine Mengen Futter (etwa 20 bis 30 Gramm) erhalten, um den Verdauungstrakt nicht zu überfordern. Die Portionsgröße wird langsam gesteigert, sodass der Igel an Gewicht zulegen kann. Grundsätzlich sollten die Tiere nie zu viel Futter auf einmal erhalten. In der Natur stöbern sie eher ziellos umher, finden hier einen Käfer, ziehen da einen Regenwurm aus der Erde. Ideal ist eine Gewichtszunahme von etwa zehn bis 20 Gramm pro Tag. Sobald das Tier ein gesundes Gewicht erreicht hat, wird die Fütterung eingestellt. Wer sich unsicher ist, lässt sich bei einem Igelzentrum oder einer Auffangstation über Sinn und Dauer der Igelfütterung beraten.
Igel gehören nicht in menschliche Obhut
Manche Igel sind derart unterernährt, krank oder geschwächt, dass sie in einer Pflegestelle versorgt und dort gegebenenfalls überwintern müssen. Bevor ein Igel aus der Natur entnommen wird, ist Rücksprache mit Fachpersonen zu halten.
Igelfreunde können sich zudem ehrenamtlich engagieren. Manchmal suchen Auffangstationen nach Privatpersonen, die einen aufgepäppelten Igel über den Winter aufnehmen und im Frühling im Garten auswildern. Eine Übersicht über Vereine und Auffangstationen finden Sie hier.
Die Igelfütterung im Überwinterungsgehege unterscheidet sich in ihrer Komplexität von der zeitlich begrenzten Notfallfütterung freilebender Igel im Garten. Hier sollte man sich über Zusammensetzung, Nährstoffgehalt und Futtermenge von Fachleuten beraten lassen. Die Auswilderung findet im Frühling statt, wenn der Boden frostfrei und die ersten Sträucher ergrünt sind. Bis dahin sind am Boden lebende Nahrungstiere des Igels wieder aktiv. An den ersten Tagen nach der Auswilderung bietet man frisches Wasser und kleine Mengen Futter an, doch der Igel ist nicht zwingend auf eine Futterstelle angewiesen. "Igel sind Wildtiere und stellen sich sehr schnell wieder auf natürliche Gegebenheiten ein. Wenn das Umfeld igelfreundlich angelegt ist, kommen Auswilderungsigel sehr schnell bis sofort wieder alleine zurecht", erklärt Heike Philipps, Vorsitzende von Pro Igel e.V.
Um den Tieren langfristig zu helfen, braucht es Laubbäume, immergrüne Sträucher, dichte Hecken, gern mit Dornen und Stacheln besetzt und wild verzweigt, insektenfreundliche Pflanzen, Totholzhaufen, zugängliche Wasserstellen, kleine Durchgänge (10 x 10 Zentimeter) zum Nachbargarten, artenreiche Wiesen statt kahler Rasenflächen sowie Insekten aller Art.
Statt eines prall gefüllten Futternapfs empfiehlt Heike Philipps den Käferkeller: Dabei handelt es sich um eine künstlich angelegte Grube (mindestens 40 Zentimeter tief), die mit unbehandeltem Totholz gefüllt wird. Sie imitiert den im Boden verbleibenden Wurzelstock eines abgestorbenen Baums und dient zahlreichen Insekten als Unterschlupf – und dem Igel als Buffet. Vor allem Käfer legen hier bevorzugt ihre Eier ab.
Wer die Gartenarbeit scheut, kann beruhigt sein: Im Grunde ist die naturnahe Gestaltung ein Prozess, der damit beginnt, dass wir weniger tun. Eine Igelecke, in der es Unterschlupf und Nahrung gibt, richtet sich fast von selbst ein: In meinem Garten befindet sich der Komposthaufen am Grundstücksrand hinter zwei großen Büschen. Man sieht ihn nur, wenn man um die Sträucher herumgeht. Der Hund hat Zutrittsverbot. Jeglicher Grünschnitt aus dem Garten landet hier. Darüber ragt die ausladende Krone eines Haselnussbaums. Im Herbst rieselt dem Igel das Material für sein Nest einfach auf den Kopf. Futter findet er auch: Es wimmelt vor Regenwürmern, seiner Hauptnahrungsquelle im Herbst.
Tierliebe heißt eben auch, Wildtiere wild sein zu lassen. Damit ihnen das möglich ist, brauchen sie Natur – oder im Fall unserer Gärten die beste Nachahmung von Natur, die uns gelingt. Und Zurückhaltung. Die Wildtierkamera installiere ich als Nächstes vor einem neu angelegten Laubhaufen. Vielleicht befindet sich noch ein unerfahrener Jungigel auf Wohnungssuche. Und das Katzenfutter bleibt bis auf Weiteres der Katze vorbehalten – für den Hausfrieden ist das ohnehin sicherer.