Ob beim ausgelassenen Spiel, beim Streit unter Artgenossen oder in Momenten der Aufmerksamkeit – Pferde nutzen ein erstaunlich reiches Repertoire an Gesichtsausdrücken zur Kommunikation, wie neue Forschungsergebnisse der britischen Universität Portsmouth zeigen. Ein Team um Dr. Kate Lewis, Erstautorin der Ende Mai veröffentlichten Forschungsarbeit, dokumentierte erstmals systematisch, wie Pferde gezielt ihre Gesichtsmuskeln einsetzen, um Stimmungen und Absichten auszudrücken. Die Ergebnisse liefern nicht nur faszinierende Einblicke in das Sozialleben von Pferden, sondern könnten auch den Umgang mit ihnen revolutionieren, meint Dr. Leanne Proops, außerordentliche Professorin für Tierverhalten an der Universität von Portsmouth.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Großbrtiannien analysierten Videomaterial von 36 Pferden in unterschiedlichen sozialen Situationen – von freundlichen Kontakten über spielerische Interaktionen bis hin zu Konflikten. Mithilfe des Equine Facial Action Coding Systems (EquiFACS), das einzelne Muskelbewegungen im Pferdegesicht exakt beschreibt, katalogisierten die Forschenden insgesamt 805 verschiedene mimische Ausdrücke, die 22 unterschiedlichen Verhaltensweisen zugeordnet werden konnten.
Pferdegesichter unter der Lupe
Die Gesichtsausdrücke sind oft subtiler, als viele Pferdehalterinnen vermuten würden. So dürfe man sich beispielsweise nicht nur auf einen Aspekt im Gesichtsausdruck des Pferdes verlassen und etwa nur die Ohren betrachten, um das Tier zu verstehen, so Dr. Kate Lewis in einer Mitteilung der Universität. "Wir haben herausgefunden, dass Pferde in verschiedenen Kontexten oft dieselben Gesichtsbewegungen verwenden, aber Kombinationen und Intensität variieren. Das unterstreicht, wie wichtig es ist, den gesamten Körper und den Kontext zu berücksichtigen, wenn man das Verhalten von Pferden interpretieren möchte."
Die Forschenden stellten fest, dass Pferde je nach Situation eine Vielzahl von Gesichtsausdrücken anwenden:
- Aggressives Verhalten: Hier sind die Signale klar: Die Ohren werden nach hinten gedreht und flach angelegt, die inneren Augenbrauen heben und die Nüstern weiten sich, der Kopf wird gesenkt. Diese Mimik warnt Artgenossen und Menschen vor möglicher Gefahr.
- Neugierde und hohe Aufmerksamkeit: Bei erhöhter Wachsamkeit richten sich die Ohren nach vorn und werden zusammengeführt, die Pferde blinzeln häufiger und passen ihre Kopfhaltung an, um Reize besser wahrzunehmen.
- Freundliche Interaktionen: Überraschend: In entspannten, freundlichen Situationen zeigen Pferde oft ein "neutrales" Gesicht – die Ohren müssen dabei nicht zwingend nach vorne zeigen. Die Forscher betonen, dass das Fehlen auffälliger Mimik ein Zeichen für Wohlbefinden sein kann. Die Interpretation sollte aber immer im Gesamtverhalten und Kontext erfolgen.
- Spielerische Situationen: Beim Spielen zeigen Pferde eine besonders ausdrucksstarke Mimik: Das Maul ist weit geöffnet, das Kinn wird angehoben, die Ohren drehen sich nach hinten und liegen flach an, oft ist viel Augenweiß sichtbar. Diese "Spielgesichter" ähneln auffällig den offenen Spielmündern von Primaten und Fleischfressern – ein Hinweis, dass solche Signale tief in der Evolution der Säugetiere verwurzelt sind.
Neue Entdeckung: Ein Muskel macht den Unterschied
Im Rahmen der Studie identifizierte das Team um Dr. Kate Lewis zudem eine bislang unbekannte Muskelbewegung im Gesicht der Pferde, die als AUH21 bezeichnet wird. Dabei spannt sich die seitliche Gesichtsmuskulatur (Platysma) an, was die darunterliegenden Strukturen hervorhebt. Dieses Signal könnte künftig helfen, Emotionen oder sogar Schmerzen bei Pferden noch genauer zu erkennen.
Die Muskelbewegungen im Gesicht wurden bislang nur bei Menschen und Primaten beobachtet. Die Entdeckung dieses Phänomens bei Pferden könnte artübergreifende Vergleiche erleichtern und bei der Bewertung von Gefühlszuständen und Schmerzen bei den Tieren hilfreich sein. So könnten Menschen einen besseren Einblick in das Wohlbefinden und Verhalten von Haustieren gewinnen, um etwa die Pflege von Pferden zu verbessern.