Es gibt Skandale, die in so erschreckender Regelmäßigkeit auftreten, dass man sie für Systemfehler halten könnte: Doping bei der Tour de France etwa. Oder Tierquälerei im Reitsport. Erst kürzlich sorgten kompromittierende Videos aus Dänemark und den USA für Aufregung in der Reiterszene. Die britische Star-Reiterin Charlotte Dujardin flog kurz vor Olympia aus dem Team, weil sie, wie in einem Video zu sehen ist, ein Pferd im Training in einer Minute 24-mal schlug. Gegen den deutschen Springreiter Max Kühner läuft ein Verfahren wegen verbotener Trainingsmethoden.
Berichte über Tierquälerei im Training, über Doping, Verletzungen und Todesfälle in Turnieren gibt es inzwischen so viele, dass es kaum noch Sinn ergibt, von "absoluten Ausnahmen" oder "schwarzen Schafen" zu sprechen, wie es in Pferdesportkreisen üblich ist.
Schon der Begriff "Pferdesport": Da wird in ein Wort geprügelt, was im Leben nicht zusammengehört. Pferde brauchen keinen Sport. Und sie treiben auch keinen Sport. Sie springen nicht über meterhohe Hindernisse, wenn nicht eine Meute Wölfe hinter ihnen her ist. Sie gehen nicht auf grazile Art und Weise rück- oder seitwärts oder drehen sich im Kreis. Über ihr Interesse an Medaillen und Platzierungen ist wenig bekannt.
Bei Menschen ist das anders. Menschen treiben Sport. Es braucht Talent und viel Fleiß, aber auch Ehrgeiz und einen großen Wunsch nach Anerkennung, um in Sportwettbewerben, zumal internationalen, ganz oben zu landen. Veranstaltungen wie Olympia bieten dafür die perfekte Struktur: Das Renommee und die öffentliche Aufmerksamkeit sind enorm. Wer hier auf einem der ersten Plätze landet, hat es geschafft, Preisgelder erhöhen den Reiz zusätzlich. Von diesem Anerkennungssystem profitieren nicht nur die Reiterinnen und Reiter selbst, sondern auch ihre Trainerinnen und Trainer – und die ganze Branche.
Und die Pferde? Genau hier liegt das Problem: Es mag immer auch Tierliebe im Spiel sein. Aber menschlicher Ehrgeiz und Leistungsdruck entfalten ihre eigene Dynamik. Sie degradieren das Tier regelmäßig zum Mittel zum Zweck. Zum Sportgerät.
Wenn das Sportgerät nicht funktioniert
Was passiert, wenn das mal nicht funktioniert, war 2021 bei den Olympischen Spielen in Tokio zu beobachten. Unvergesslich, wie Annika Schleu vor den Augen der entsetzten Weltöffentlichkeit ihrem Frust darüber, dass das völlig verängstigte Pferd ihre Chancen auf eine Platzierung pulverisierte, die Zügel schießen ließ. Um die Selbstentblößung komplett zu machen, sekundierte die ebenso hilflose Bundestrainerin mit "Hau mal richtig drauf! Hau drauf!".
Natürlich ist der "Moderne" Fünfkampf ein Sonderfall. Man muss nicht einmal selbst reiten, um zu wissen, dass Pferde sehr sensibel auf Menschen reagieren, die auf ihrem Rücken sitzen. Es hilft, sich zu kennen. Dass in dieser Disziplin das Los entscheidet, wer auf welchem Pferd reitet, ist eine Zumutung für beide, vor allem aber für das Tier. Doch auch in den anderen Disziplinen mit Pferden geht es darum, das Tier menschlichem Willen und Ehrgeiz zu unterwerfen, mit mehr oder weniger Zwang zur Kooperation zu bewegen. Zu schweigen von brutalen und unerlaubten Trainingsmethoden, von den Bedingungen in den Ställen, von Zucht und Handel.
Am Freitag beginnt Olympia 2024. Auch diesmal wird es neben den üblichen Pferdewettbewerben den besonders kritisierten Modernen Fünfkampf geben. Mit Pferden – noch ein letztes Mal, wie die Veranstalter versichern. Auch Annika Schleu ist wieder dabei, die jetzt Annika Zillekens heißt. Vielleicht hat sie diesmal mehr Glück mit dem zugelosten Pferd. Und das Pferd mit ihr.