Luca Lorenz liebt Füchse und Weidenkätzchen. Und dafür lieben alle Luca Lorenz. "Einen der spannendsten Tierfotografen des Landes“ und "einen der besten Tierfotografen seiner Generation“ hat die Presse ihn schon genannt. Dabei ist er gerade einmal 20 Jahre alt und sieht aus wie der ganz normale Junge von nebenan. Zum Beispiel, wenn er die Menschen in seinen Videos auf YouTube mitnimmt: mit dem alten Drahtesel an einen See in der Nähe von Berlin, wo seine Familie auf dem Land lebt. Lorenz' Motive sind geradezu alltäglich. Die Fotos, die dabei herauskommen, dafür umso spektakulärer. Dafür hat er gerade den Wettbewerb zum Europäischen Naturfotografen 2025 gewonnen – nur eine gute Woche, nachdem er beim Wildlife Photographer of the Year zum "Rising Star" gekürt wurde.
Im Interview erzählt Lorenz davon, wie er schon als Achtjähriger allein in der Natur den Amseln zuhörte. Und wie es ist, so früh in der Karriere gefeiert zu werden. So klug, wie er klingt, kann man sich wohl sicher sein: Da kommt noch was!
Du bist wahnsinnig erfolgreich und hast gerade zwei wichtige Fotografie-Preise gewonnen, dabei bist du erst 20. Wie bist du so gut geworden?
Ich bin zwar noch jung, aber ich mache das schon seit acht Jahren, das fühlt sich für mich total lang an. Generell bin ich im Leben super autodidaktisch unterwegs, mit der Fotografie war es genauso. Über die Jahre habe ich einfach spielerisch die Technik kennengelernt und mir alles selbst beigebracht. Einfach aus einer unfassbaren Begeisterung und Motivation heraus.
Wieso fotografierst du ausgerechnet Tiere?
Tiere haben mich erst zur Fotografie gebracht. Ich glaube, das ist bei vielen so. Ich habe schon als Achtjähriger oft allein in der Natur Zeit verbracht und Vögel beobachtet. Ich wollte alles über sie wissen: wie sie rufen, welche Vögel das sind, was ihre Rufe bedeuten. Als ich neun war, haben sich meine Eltern getrennt. Das war eine sehr schwierige und unsichere Zeit für mich. Da war die Natur ein Zufluchtsort, an dem ich mich wohlfühlte. Besonders, wenn ich Tieren begegnet bin. Bis heute gibt es keinen Ort, an dem ich mich wohler und sicherer fühle.
Und wann kam die Kamera dazu?
In meinem Umfeld hat niemand fotografiert, ich habe es also nicht irgendwo aufgegriffen. Ich hatte so viele besondere Erlebnisse in der Natur, nur eben meistens allein. Meinen Freunden oder Familie habe ich begeistert davon erzählt, aber ich konnte es nicht richtig teilen. So kam bei mir der Gedanke auf: Wenn ich das alles fotografieren würde, könnte ich meinen Liebsten viel besser zeigen, was ich sehe. Nur hatte meine Familie finanziell keine Möglichkeit, mir eine Kamera zu kaufen. Ich war so traurig, und der Wunsch wurde immer größer. Also habe ich angefangen, auf Ebay-Kleinanzeigen alle meine Sachen zu verkaufen, die ich nicht mehr brauche. Auf einem Reiterhof habe ich Pferdeäpfel aufgesammelt für ein bisschen Geld. Ich habe alles gemacht, damit ich so schnell wie möglich diese Kamera haben konnte. Zwei, drei Jahre hat es gedauert. Als ich sie dann endlich in den Händen hielt, war die Freude riesig.
In deinen Youtube-Videos kann man spüren, wie sehr du dich an allem freust, und seien es nur Weidenkätzchen. Woher kommt deine Leidenschaft für Dinge, die ganz unspektakulär sind?
Das kann ich nicht genau sagen. Mir fällt ein Moment ein, der eigentlich gar nicht so spannend ist. An einem tristen Wintertag war ich in der Natur unterwegs, mir ging es nicht so supergut. Ich hatte auch lange keinen Erfolg mehr gehabt. Und plötzlich läuft vor mir ein Fuchs. Ich hatte wochen- oder monatelang keinen mehr gesehen, dabei liebe ich Füchse besonders. Der Fuchs blieb stehen und wir schauten uns in die Augen, vielleicht zehn Sekunden lang. Das war so intensiv und hat mich so berührt – und sofort war ich für diesen Tag wieder glücklich. Solche Dinge erlebe ich einfach immer wieder mit Tieren.
Seien wir ehrlich: Ein Vogel-Nerd zu sein, ist nicht unbedingt das coolste Hobby. Wie haben Gleichaltrige darauf reagiert?
Im Waldkindergarten und danach in der Naturschule hatten wir einen großen Bezug zur Natur. Aber als ich nach der sechsten Klasse auf eine neue Schule kam, war ich damit ziemlich allein. Ich hatte wenige Freunde. Die Leute haben sich für ganz andere Sachen interessiert, für die ich mich wiederherum nicht sehr interessiert habe. Ich war außerdem super schüchtern. Die meisten wussten gar nicht, was ich mache. Ich war einfach der leise Typ, der mit niemandem redet. Heute verfolge ich die Fotografie so intensiv, dass es alle mitbekommen. Und die meisten finden es cool.
In deinen Videos sieht man, wie viel Ausrüstung du nutzt: schwimmende Tarnzelte, Drohne, verschiedene Kameras. Wie wichtig ist Technik für die Fotografie?
Je länger ich fotografiere, umso mehr merke ich, dass sie nicht so wichtig ist. Als ich anfing, habe ich die teuersten Objektive und Kameras angehimmelt. Ich dachte: Wenn ich die irgendwann mal besitze, das wäre das Krasseste! Und jetzt, wo ich zum Beispiel mit Nikon in so gutem Kontakt stehe, dass ich diese Sachen auch haben könnte, merke ich: Ich will das gar nicht mehr, ich brauche das nicht unbedingt. Besonders für meine Fotos, die ja oft sehr künstlerisch sind. Die kann man auch mit Kameraequipment im Wert von 300 Euro gut machen.
Wildtiere gelten als unberechenbares Motiv, für das man viel Geduld braucht. Empfindest du das als schwierig?
Ich habe nie etwas anderes fotografiert, deswegen ich kenne das nur so. Dass es so unsicher ist, ob etwas klappt oder nicht – ich liebe das. Man wird immer wieder überrascht. Vielleicht möchte ich Sterntaucher fotografieren, und dann sitzt da stattdessen ein Ziegenmelker. Ein Tag in der Natur ist nie verschwendet, egal ob ich erfolgreich bin oder nicht.
Was war dein liebstes Erlebnis beim Fotografieren?
Spektakulär ist es nicht, aber ich denke an einen See in Schweden, an dem ich Sterntaucher fotografiert habe. Die Morgen dort gehören zu den schönsten meines Lebens. Einfach diese schwedische Landschaft, Sonnenaufgangsstimmung im Nebel, und dann die Sterntaucher, die ich so unfassbar doll liebe. Wie süß ihre Rufe sind und wie sie beim Balzen nebeneinander über das Wasser paddeln.
Gab es auch herausfordernde Situationen?
Jedes Jahr in den Schweizer Alpen im Winter. Dort bin ich oft, um zwei Freunde zu besuchen, zuletzt im Februar. Ich habe das Gefühl, weil die beiden mindestens einmal die Woche in den Bergen sind, haben sie ein bisschen den natürlichen Respekt vor der Gefährlichkeit der Berge verloren. Dann gibt es Momente, da entdecken wir durchs Fernglas Gämsen, weit oben im Hang. Mit perfekten Bedingungen, tollem Licht und Schnee. Und wir denken: Es wäre einfach genial, jetzt dort oben zu sein. Die beiden sind weniger ängstlich und klettern da einfach hoch. Aber allein will ich dann auch nicht unten bleiben. Also überwinde ich meine Angst. Dabei ist es gefährlich, Schneehänge sind unberechenbar. Man weiß nicht, ob sie absacken, man kann ausrutschen und abstürzen.
Du fotografierst nicht nur vor der Haustür, du bist auch viel unterwegs. Wie finanzierst du das?
Seit einem Jahr etwa finanziere ich mich durch die Fotografie. Ich gebe Workshops und verkaufe hochwertige Drucke. Am Ende des Jahres mache ich immer einen großen Kalenderverkauf, was ziemlich gut klappt. Und in den letzten zwei Jahren hatte ich die einzigartige Situation, dass ich durch Wettbewerbspreise viel verdiene. Es ist verrückt und komisch, dass ich gerade so einen Erfolg habe.
Wie würdest du am liebsten weitermachen mit deiner Fotografen-Karriere?
Im Moment lege ich den Fokus mehr darauf, mich künstlerisch weiterzuentwickeln und nicht so sehr, ein Business aufzubauen. Ich kann auf einem niedrigen Level erstmal ganz gut davon leben. Ich würde mich gern trauen, Vorträge zu halten, dafür bekomme ich nach den Preisen gerade viele Anfragen. Und ein größeres Projekt für mich finden. Ich kann mir auch vorstellen, in Richtung Naturschutz und Ökologie zu gehen. Ich weiß aber noch nicht, wie ich das mit meiner Kunstfotografie verbinden kann. Conservation- oder Storytelling-Fotografie sind meistens eher dokumentarisch.
Würdest du sagen, du hast deine eigene Sprache als Fotograf gefunden?
Ich habe kurz vor dem Interview darüber nachgedacht, was einen guten Fotografen ausmacht. Und das ist für mich schon, wenn er oder sie eine eigene Bildsprache hat. Aber habe ich selbst eine? Ich weiß nicht. Ich weiß, dass andere Leute das über meine Fotos sagen, was mich immer sehr freut. Ich arbeite auch nicht aktiv an einer Bildsprache. Meine Bilder entstehen immer aus einem Gefühl heraus. Deswegen fällt es mir manchmal auch schwer, den Leuten in einem Workshop zu erklären, was genau ich mache.
Deine Bilder sind sehr künstlerisch, manche grafisch, manche fast surrealistisch. Wie entstehen sie?
Viele meiner Fotos entstehen mit einer ähnlichen Technik: Ich stelle die Belichtungszeit auf lang ein, zum Beispiel eine halbe Sekunde. Ich versuche, am Anfang der Belichtungszeit so still wie möglich das Tier zu belichten, damit es möglichst scharf wird. In den restlichen Millisekunden bewege ich die Kamera durch Orte, die im besonderen Kontrast zu dem Bereich stehen, den ich vorher belichtet habe. So entstehen Schatten, Schlieren, Strukturen. Das ist richtig schwierig zu lernen; am Anfang ist man einfach nur frustriert, weil es immer blöd aussieht. Aber ich liebe es, mich mit dieser Technik auszutoben. Ich mag den verträumten Stil, der dabei herauskommt.
Hast du ein Lieblingsbild?
Eins meiner absoluten Lieblingsfotos ist das mit der Amsel und den Damtieren. Das war absolut ungeplant. Ich bin morgens vor Sonnenaufgang bei mir zu Hause am Rand von Berlin nur so mit der Kamera in der Hand spazieren gegangen. Dabei habe ich die Amsel entdeckt, mich hingelegt und ein bisschen fotografiert. Und dann kamen auf einmal diese vier Damtiere und haben sich perfekt dahinter hingestellt. Das war auch noch so eingerahmt, durch einen kleinen Pfad, an dem außen Apfelbäume wuchsen. Durch den Nebel scheint der Hintergrund hell auf. Das Bild ist so perfekt, das kann ich nie mehr machen.
Was machst du lieber: Videos für Soziale Medien oder Fotos?
Auf jeden Fall Fotos. Mit den YouTube-Videos hätte ich nicht aus mir selbst heraus begonnen. Ich mag es überhaupt nicht, wenn mir jemand eine Kamera ins Gesicht hält. Aber es ist sehr gut, um den Menschen die Möglichkeit haben, mich ein bisschen kennenzulernen. Dadurch buchen sie auch eher einen Workshop mit mir. Und natürlich finde ich es schön, den Menschen so zeigen, wie schön die Natur ist.
Glaubst du, dass Fotografen eine starke Präsenz in den Sozialen Medien haben müssen, um erfolgreich zu sein?
Vielleicht nicht unbedingt mit Videos. Aber es wird bestimmt wichtiger, den Fotografen hinter den Bildern kennenzulernen. Gerade jetzt, wo KI-Bilder häufiger werden. Als ich angefangen habe, gab es die noch gar nicht. Wenn Leute heute ein perfektes Bild sehen, denken sie ganz schnell: Das ist ein KI-Foto, das kann gar nicht echt sein. Das verletzt mich und macht mich auch unsicher. Aber wenn die Leute dann die Möglichkeit haben zu sehen: Das ist echt, da steckt ein Mensch dahinter, eine Geschichte – dann erkennen sie auch den Wert eines Fotos. Das kann keine KI ersetzen.
Hast du einen Plan B, falls es mit der Fotografie nicht klappt?
Tatsächlich nicht. Aber ich habe auch überhaupt nicht fest für mich, dass bis an mein Lebensende so weitermache oder auch nur die nächsten zehn Jahre. Ich habe nach der zehnten Klasse mit der Schule aufgehört, um mich komplett auf die Naturfotografie konzentrieren zu können. Ich war richtig unsicher mit der Entscheidung. Ich dachte: Oh, alle meine Klassenkameraden machen jetzt weiter Schule, vielleicht verbaue ich mir mein ganzes Leben. Weil ich mich selbst gut beobachte und kenne, wusste ich aber auch: Jetzt würde mir Abitur schwerfallen, weil ich gar nicht weiß, was ich studieren möchte. Ich kann nur schlecht etwas machen, hinter dem ich keinen Sinn sehe. Wenn ich in den nächsten Jahren merke, ein Studium würde mir weiterhelfen, zum Beispiel im Bereich Naturschutz oder Storytelling, werde ich das Abi nachholen.
Was bedeutet es für dich, gerade so gefeiert zu werden?
Die Erfolge der letzten Zeit geben mir das Gefühl, dass mein Weg richtig ist. Das fühlt sich schön an. Es ist aber auch eine echte Herausforderung. Du kannst dir nicht vorstellen, wie aufgeregt ich war, dass ich in London bei der Preisverleihung des Wildlife Photographer of the Year auf die Bühne musste! Schon Monate vorher habe ich geschwitzt! Ich muss immer ein bisschen darüber lachen: Durch meine Unsicherheit und Schüchternheit bin ich in die Natur geflohen – und jetzt bringt mich genau das in all diese Situationen, die für mich die herausforderndsten sind.
Unter einem deiner Videos hat jemand kommentiert: "Was soll da eigentlich zukünftig noch kommen?“ Erzeugt es Druck, so früh so erfolgreich zu sein?
Der ist auf jeden Fall da. Aber ich versuche, mich davon so gut wie möglich zu lösen, so wird man ja nicht glücklich. Der Rising-Star-Preis in London und jetzt eine Woche später der Europäische Naturfotograf des Jahres – ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wie das passieren konnte. Das war wahnsinniges Glück. Ich glaube, dass mir sowas nie mehr in meinem Leben passieren wird.