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Artenschutz Bejubeln oder töten? Was an der Debatte um den Wolf schief läuft

Der Wolf: Bestie oder besonders schützenswertes Wildtier?
Der Wolf: Bestie oder besonders schützenswertes Wildtier?
© Raimund Linke / mauritius images
Die einen können gar nicht genug Wölfe haben, die anderen wollen das streng geschützte Tier inzwischen wieder zurückdrängen – auch mit der Flinte. Doch die Lösung muss im Kompromiss liegen

Kürzlich, so berichtete Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer von den Grünen, habe ihn eine irritierende Botschaft erreicht: "Wenn Wölfe entnommen werden, werden Sie auch entnommen." Meyer erstattete Anzeige. Nun muss man wissen: Mit dem Ausdruck aus dem sterilen Behördendeutsch ist die Tötung eines Wildtieres gemeint, meist durch eine Gewehrkugel. Man findet diesen Begriff inzwischen in fast jeder Berichterstattung über Wölfe in Deutschland.

Während die ersten Tiere noch bejubelt wurden, die um die Jahrtausendwende aus Polen wieder einwanderten, sind sie vielen mittlerweile ein Ärgernis. Vor allem Tierhalter*innen. Der Ton zwischen Wolfs-Fans und Wolfsgegnern wird schärfer. Und Politiker wie Christian Meyer, die zwischen beiden vermitteln wollen, bekommen das zu spüren.

Nun ist es ja verständlich: Bilder von Gemetzeln, die Wölfe unter eingesperrten Schafen anrichten, sind schwer zu ertragen. Man würde den Tieren den Überfall in der Nacht, die Angst, den Schmerz und die Todesfurcht gerne ersparen. Auch wenn die Tierhalter*innen entschädigt werden: Dass sie die Bedrohung für die Tiere fürchten, für die sie schließlich eine Verantwortung tragen, ist auch für Städter gut nachzuvollziehen, die hoch und trocken in ihren Bürohäusern sitzen. Und die Rückkehr der Wölfe als Rückkehr der Wildnis nach Deutschland feiern.

Leider hat die Debatte – verengt auf die Frage "begrüßen oder abschießen?" – großes Potenzial für Bierzelt- oder Stammtisch-Reden. Selbst so besonnene Politiker*innen wie der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und die Bundesumweltministerin Steffi Lemke plädieren nun dafür, den Abschuss von "Problemwölfen" zu erleichtern (die wie alle ihre Artgenossen streng geschützt sind). EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte kürzlich gar vor einer "echten Gefahr" gewarnt, die von Wölfen für Menschen ausgehe. Und will den strengen Schutz, den die Tiere in den Ländern der EU genießen, "überdenken".

In Europa gab es in 20 Jahren keinen tödlichen Wolfsangriff auf Menschen

Da ist gut beraten, wer sich an die Fakten hält: Seit der Jahrtausendwende wurden in Europa mehrere Menschen durch Wildschweine oder Jäger getötet. Aber kein einziger durch einen Wolf. Zurzeit leben etwa 750 Millionen Europäer und Europäerinnen ganz überwiegend friedlich mit 20.000 bis 30.000 Wölfen zusammen.

Die Zahl der getöteten oder verletzten sogenannten Nutztiere – meist sind es Schafe oder Ziegen – stieg in den vergangenen Jahren zwar sprunghaft auf knapp 4400 im Jahr 2022. Man muss sich allerdings vor Augen halten, dass Schafe von Menschen nicht nur als Postkartenmotive und Landschaftspfleger genutzt werden. Ebenfalls im Jahr 2022 wurden mehr als eine Million Schafe und Ziegen in Schlachthöfe gekarrt und getötet – also 3100 täglich.

Der Konflikt mit der Weidetierhaltung dagegen ist real. Und im selben Maß, wie die Wolfspopulation in Deutschland zunimmt, wird es es zu mehr Angriffen kommen. Es muss also eine Lösung her. Dass die sich darin erschöpfen kann, die streng geschützten Wölfe zu töten, oder auch nur die besonders aggressiven oder gewieften von ihnen, darf bezweifelt werden. Es war Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer, der darauf hinwies, dass man in seinem Bundesland mit keiner der sechs "Entnahmen" der vergangenen Jahre die "richtigen" erwischt habe.

Statt in dampfenden Bierzelten, an Stammtischen und in Internetforen Parolen pro oder contra Wolf zu grölen und vermeintliche Patentlösungen für ein emotional aufgeladenes, politisch instrumentalisiertes Problem zu propagieren, wären alle Beteiligten gut beraten, einen vernünftigen Interessenausgleich, einen Kompromiss auszuhandeln.

Dabei geht es nicht um "wir oder die", um "Leben oder Tod". Wenn wir die Tierhaltung nicht abschaffen wollen, müssen die Halter*innen und Schäfer*innen in die Lage versetzt werden, ihre Tiere effektiver zu schützen. Sie brauchen zum Beispiel geeignete Zäune und Herdenschutzhunde nach dem neuesten Stand der Forschung. Sie brauchen nicht nur Beratung, sondern eine ausreichende finanzielle Unterstützung vom Bund und von den Kommunen. Auch dort, wo es noch keine Wölfe gibt. Denn dass sie kommen, ist nur eine Frage der Zeit.

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