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Artenvielfalt trotz großer Belastung
Dass die circa 100 beteiligten Experten, allesamt Koryphäen auf ihrem Gebiet, bei ihrer "Volkszählung" in Berlins grüner Mitte nicht noch mehr pflanzliche und tierische Bewohner aufspüren konnten, war wetterbedingt, dass es immerhin nicht weniger als tausend waren, beruhigte sie andererseits. Denn das Terrain, das sich GEO, unterstützt von der Deutschen Umwelthilfe und der Deutschen Wildtier Stiftung, für die diesjährige Stichprobe zum Zustand der Natur ausgesucht hatte, ist ein klassisches Konfliktfeld zwischen Naturschutz und urbanem Nutzungsdruck.
Strapaziertes Refugium
Nach sonnigen Wochenenden sind nicht weniger als 19 Lastwagen-Ladungen Müll zu entsorgen, die hohe "Trittbelastung" der Grünflächen durch Erholungssuchende gibt zarten Pflänzchen, darunter auch vielen Moosen, keine Wachstumschance, und wirklich wild an dem von mehrspurigen Verkehrsmagistralen umgebenen Stadtpark ist in den Augen vieler nur noch die Loveparade, die den Tiergarten mehrmals zum Eventcenter umwidmete.

Ökologische Bestandsaufnahme
Bei der Arteninventur im Tiergarten ging es allerdings nicht um Zahlenrekorde oder möglichst sensationelle Erstnachweise. Außerdem war nicht zu erwarten, dass spektakuläre Arten wie etwa der Eisvogel, der in den 1960er Jahren verschwand, nun plötzlich wieder zu sehen sein würden. Eher schon ging es darum, auch an teils unscheinbaren Indikatoren für Luft- und Wassergüte, etwa parasitären Flechten oder Rotalgen, Belege für schleichende Veränderungen in der Umwelt zu sammeln. Und vor allem: das Bewusstsein der Öffentlichkeit für Veränderungen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld zu wecken.

Ein Event mit Breitenwirkung
Dies gelang dem 7. GEO-Tag der Artenvielfalt in gleich mehrerer Hinsicht:
- durch eine Vernetzung kompetenter Umwelt-Organisationen wie der Deutschen Umwelthilfe und der Deutschen Wildtier-Stiftung, aber auch der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die erstmals in Afrika, in Mali, eine "Journée de la Biodiversité" organisierte, sowie der "Global Biodiversity Information Facility", einem neuen Informationssystem zum internationalen Austausch von Artenfunden;
- durch die Beteiligung wichtiger lokaler Forschungs-Institutionen wie der Humboldt-Universität, dem Botanischen Garten und Botanischen Museum der Freien Universität und dem Berliner Museum für Naturkunde, das unter anderem sein Mikroskopiezentrum für interessierte Laien zur Verfügung stellte;
- durch ein "Gipfeltreffen" der Systematiker in der Biologie, die unter Nachwuchsmangel und Mangel an Fördergeldern leiden, ohne deren Wissen aber die Natur über kurz oder lang zu einem Buch mit sieben Siegeln werden würde;
- durch den Abstrahleffekt, den auch die diesjährige Hauptveranstaltung auf weitere über 350 Nebenaktionen überall in der Bundesrepublik und angrenzenden Ländern hatte;
- durch ein Medieninteresse, das ein "stilles" Langzeitthema wie die Biodiversität gewöhnlich nicht hat, solange es nicht um spektakuläre Natursysteme wie den Regenwald geht (so wird etwa "nano" am Montag, 13. Juni, um 18.30 Uhr auf 3sat berichten).
Bundesumweltminister war Schirmherr
Anderthalb Stunden lang informierte sich Bundesumweltminister Jürgen Trittin, Schirmherr des 7. GEO-Tages der Artenvielfalt, an einigen neuralgischen Punkten des Berliner Tiergartens über dessen aktuelle Verfassung. Bei der Abschlussveranstaltung in der Sony-Europa-Zentrale am Potsdamer Platz - Sony hatte Räume und aufwändige Übertragungstechnik kostenlos zur Verfügung gestellt - wies einer der Begründer der modernen Stadtökologie, Prof. Herbert Sukopp, auf die vier wichtigsten Gründe für die Relevanz von Biodiversität hin: die Funktion des Artenreichtums für die Stabilität ökologischer Systeme, ihre Relevanz für die biochemische und biologische Information, ihr Gewicht für die Grundlagenforschung - und nicht zuletzt für den Erhalt des Erholungswertes von Natur.

Ergebnisse werden erst noch gesichtet
Darum ging es auch bei der Parallelveranstaltung in New York. Von dort wurde ein Interview mit dem Begründer der Soziobiologie und wohl weltweit berühmtesten Biodiversitätsverfechter, Edward O. Wilson, eingespielt. Und in einer Live-Konferenz-Schaltung berichtete ein GEO-Reporter vom Ergebnis der Artenzählung am Bronx River. Dort, so erwies sich, hatten die Spezialisten für Flora und Fauna nach vorläufiger Zählung nur etwa halb so viele Arten kartiert wie ihre Kollegen in Berlin. Aber auch die werden noch nachlegen. Denn vieles, was am 11. Juni in der Bundeshauptstadt außer Waschbären und Elf-Kilo-Hechten, außer 49 Vogelarten und über 300 "Höheren Pflanzen" gefunden wurde, ist so klein und so diffizil, dass es erst noch genauer unter die Lupe genommen werden muss.
