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Klimakrise "Alle Wissenschaftler untertreiben": Geologe warnt vor drastischem Anstieg des Meeresspiegels

"Das Eis schmilzt immer schneller": Peter C. Ward warnt davor, den Meeresspiegelanstieg zu unterschätzen
"Das Eis schmilzt immer schneller": Peter C. Ward warnt davor, den Meeresspiegelanstieg zu unterschätzen
© Bernhard Staehli/Shutterstock
Der renommierte US-Geologe Peter D. Ward hält die Prognosen zum Anstieg des Meeresspiegels für unterschätzt. Im Interview erklärt er, warum. Und welche Folgen das für uns hat

In seinem Buch "Die große Flut", soeben auf deutsch erschienen, erneuert der renommierte US-Geologe und Paläontologe Peter D. Ward eine Warnung vor einem bislang unterschätzten Problem: Der Anstieg des Meeresspiegels, so Ward, sei das Gefährlichste, was der menschlichen Zivilisation zustoßen könne. Das Meer werde uns vieles nehmen: Nahrung, Arbeitsplätze, Straßen, Wohnraum – und einen Großteil der Artenvielfalt auf unserem Planeten.

Bei seinen Szenarien stützt sich Ward – im Unterschied zu vielen anderen Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern – auf Daten aus der Erdgeschichte. Und kommt dabei zu alarmierenden Ergebnissen: Der Meeresspiegelanstieg wird bislang nicht nur in seinen Dimensionen, sondern auch in seinen Auswirkungen unterschätzt. Das Ansteigen der Pegel könnte in den kommenden Jahrzehnten zum sechsten Massenaussterben auf der Erde führen.

GEO.de: Professor Ward, der Weltklimarat IPCC schätzt, dass die Ozeane bis zum Ende dieses Jahrhunderts um bis zu 110 Zentimeter ansteigen könnten. Klingt das für Sie plausibel?

Peter D. Ward: Ich bezweifle, dass es so wenig sein wird. Ich gehe eher von 1,5 Metern aus. Sehen Sie sich nur an, was sich gerade in Grönland abspielt oder in der Antarktis. Auch was gerade in Deutschland passiert ist, hat zwar nicht direkt mit dem Meeresspiegelanstieg zu tun, aber die Ursache, die Erderwärmung, ist dieselbe. In meiner Heimatstadt Seattle und im benachbarten British Columbia starben Hunderte Menschen bei weit über 40 Grad Celsius. Und das Eis schmilzt immer schneller.

Peter D. Ward lehrt als Professor für Earth and Space Science an der University of Washington in Seattle. Sein Buch "Die große Flut" ist im Oekom-Verlag erschienen
Peter D. Ward lehrt als Professor für Earth and Space Science an der University of Washington in Seattle. Sein Buch "Die große Flut" ist im Oekom-Verlag erschienen
© TANIA/Contrasto/laif

Warum, glauben Sie, unterschätzen die Forscher das Problem?

Alle Wissenschaftler untertreiben, damit ihnen im Nachhinein keine Fehler nachgewiesen werden können. Anders gesagt: Zurückhaltende, konservative Schätzungen sind ein Charakteristikum der Forschung.

Auf welche Fakten stützen Sie sich?

Mein wichtigster Einwand: Die gängigen Modelle berücksichtigen nicht die Effekte der Wolkenbildung. Sie unterschätzen die Rolle der oberen Atmosphärenschichten – und die Mengen von extrem klimaschädlichem Methan, das durch die Klimaerwärmung aus den arktischen Böden entweicht.

Warum glauben Sie, dass der Meeresspiegelanstieg die größte Gefahr für die Menschheit ist?

Was allgemein unterschätzt wird, das sind die Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs auf die Landwirtschaft. Das ertragreichste Getreide der Welt ist Reis, der in Reisfeldern in den Tropen angebaut wird. Fast alle diese Felder sind auf derselben Höhe wie der Meeresspiegel – oder sogar darunter. Ein Ergebnis des Meeresspielanstiegs wird also Hunger sein.

Sie haben vor einigen Jahren mit der "Medea-Hypothese" für Aufsehen gesorgt, derzufolge das höhere Leben auf der Erde von Zeit zu Zeit den Reset-Knopf drückt. Gemeint sind damit die großen Massenaussterben der Erdgeschichte. Ist die Menschheit dabei, diesen Knopf zu drücken?

Ich halte es zumindest für möglich. In einer Studie kommt ein enger Freund von mir, der MIT-Geophysiker Daniel Rothman, zu dem Ergebnis, dass wir um das Jahr 2100 unumkehrbar in ein Szenario eintreten, das in der Erdgeschichte zu den bekannten Massenaussterben geführt hat. Kurz gesagt ist das Problem der schnelle Anstieg der CO2-Konzentration in den Ozeanen.

Was entgegnen Sie Leuten, die Sie einen "Alarmisten" nennen?

Ich bin Paläontologe und habe mein wissenschaftliches Leben damit zugebracht, Körper von Lebewesen auszugraben, die vor Millionen Jahren starben. Ich weiß, was "Massenaussterben" bedeutet.

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