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Pestizide Acht von zehn Bächen in Deutschland zu stark mit Ackergiften belastet

Gülle, Dünger, Pestizide: Bäche, die an landwirtschaftlich genutzte Flächen grenzen, weisen oft zu hohe Schadstoffbelastungen auf
Gülle, Dünger, Pestizide: Bäche, die an landwirtschaftlich genutzte Flächen grenzen, weisen oft zu hohe Schadstoffbelastungen auf
© imageBROKER/NorbertxProbst
Pestizide vom Acker landen in großen Mengen in Bächen – und dezimieren dort die Artenvielfalt. Das zeigt ein groß angelegtes Gewässermonitoring

Die Bäche in landwirtschaftlich genutzten Regionen sind überwiegend zu hoch mit Pestiziden belastet. Das ist das Ergebnis einer Studie unter der Leitung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ). Zwei Jahre lang untersuchten die Forscherinnen und Forscher an insgesamt mehr als 100 Messtellen in Deutschland die Belastung von Bächen und Gräben mit Pflanzen- und Insektengiften.

Das Ergebnis ist alarmierend: In 81 Prozent der Gewässer wurden die Grenzwerte überschritten. In fast jedem fünften Bach registrierten die Expertinnen und Experten Grenzwertüberschreitungen für zehn oder mehr Pestizide – und zwar teilweise um das Dutzendfache.

Das Insektizid Thiacloprid, ein Wirkstoff aus der Klasse der Neonicotinoide, überschritt die gesetzlich zulässige Konzentration in drei Gewässern sogar um mehr als das Hundertfache. Insektizide wie Clothianidin, Methiocarb und Fipronil und Herbizide wie Terbuthylazin, Nicosulfuron und Lenacil toppten in 27 Gewässern den geltenden Grenzwert um das Zehn- bis Hundertfache.

Bundesweit habe das Team eine "deutlich höhere Belastung" nachgewiesen, als ursprünglich vermutet, sagt Matthias Liess, Ökotoxikologe am UFZ und Koordinator des Projekts, in einer Mitteilung.

Grenzwert bis zu 1000-fach zu hoch angesetzt

Doch damit nicht genug: Die Expertinnen und Experten kommen in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die geltenden Grenzwerte selbst problematisch sind. Weil sie um ein Vielfaches zu hoch angesetzt sind – teilweise um den Faktor 1000. Das Problem ist laut der Forschenden, dass bei der Festlegung der Grenzwerte die Empfindlichkeit von bestimmten Arten, etwa Köcherfliegen- oder Libellenlarven, bei weitem unterschätzt wird.

Zwei Jahre lang haben Forscher*innen die Pestizidbelastung von Bächen in Agrarlandschaften untersucht
Zwei Jahre lang haben Forscher*innen die Pestizidbelastung von Bächen in Agrarlandschaften untersucht
© André Künzelmann / UFZ

Zudem würden Grenzwerte nach gängiger Praxis in Laborstudien, künstlichen Ökosystemen oder Simulationen ermittelt. Das spiegele aber nicht die Realität wieder, kritisiert Matthias Liess. "Im Ökosystem wirken neben Pestiziden noch zahlreiche weitere Stressoren auf die Organismen, sodass diese auf Pestizide deutlich empfindlicher reagieren. Natürliche Stressoren wie der Räuberdruck oder die Konkurrenz der Arten werden im Zulassungsverfahren nicht ausreichend berücksichtigt", sagt Liess.

Die Art der Probenentnahme verharmlost das Problem

Auch die behördlich vorgeschriebene Art der Probenentnahme trägt offenbar dazu bei, dass das Problem systematisch unterschätzt wird. Während die sogenannte Schöpfprobe in regelmäßigen Abständen vorgenommen wird, liefern Proben, die direkt nach einem Wolkenbruch entnommen werden, das realistischere Ergebnis. Denn oberflächlich abfließendes Wasser transportiert große Mengen Pestizide in die angrenzenden Gewässer. Die Belastung in solchen Proben ist den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zufolge 10-fach höher.

Das Fazit des Forschungsteams: Nicht Begradigung, Sauerstoffmangel oder zu hoher Nährstoffgehalt sind das größte Problem für viele Insekten im Wasser – sondern Pestizide.

Liess fordert ein regelmäßiges behördliches Umweltmonitoring, um die tatsächlichen Auswirkungen der Pestizide auf die Artenvielfalt abschätzen zu können. Und er kritisiert, dass heute noch Wirkstoffe eingesetzt werden, deren Risikobewertung und Zulassung oft Jahre alt ist – und damit überholt.

Der politische Handlungsbedarf ist ohnehin enorm: Laut Umweltbundesamt befinden sich 92 Prozent aller deutschen Fließgewässer in keinem guten ökologischen Zustand - seit Jahrzehnten. Verantwortlich dafür ist in erster Linie die konventionelle Landwirtschaft.

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