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Ein Mythos, der überschätzt wird
Paris, Musée du quai Branly, linkes Seine-Ufer. Täglich stehen hier Menschen mit zurückgelegtem Kopf und starren eine Wand an. Von morgens bis abends klicken Auslöser, zoomen Videokameras. Viele waren noch nie in dem wunderbaren ethnologischen Museum, das der französische Architekt Jean Nouvel entworfen hat. Sie sind gekommen wegen der wuchernden Wand - zurzeit eine der meistfotografierten Fassaden von Paris.
Begrünte Mauern sind nichts Neues unter der Sonne. Efeu kann jeder. Aber hier wächst statt einer grünen Gardine eine blühende Landschaft. Mit Blatt-Kaskaden und moosigen Schluchten, farbigen Oasen und winzigen Dolden unter überhängenden Zweigen.
Erst auf den zweiten Blick sortiert das Auge den exotisch anmutenden Überschwang. Und entdeckt verblüfft viele Vorgarten-Bekannte: Farne und Funkien, Lerchensporn und Lobelien, Bubikopf und Bergenien. Nur hat man ihnen noch nie so Aug in Aug gegenübergestanden oder sogar zu ihnen aufschauen müssen, statt sie von oben herab zu betrachten.

Madrid, Paseo Prado 36. Das neue Museum Caixa Forum haben die Schweizer Architekten Herzog und de Meuron entworfen und sind dafür ebenfalls hoch gelobt worden. Doch viele Schaulustige wallfahren auch hier nicht zur modernen Kunst, sondern zum lebenden Kunstwerk: dem puscheligen 600-Quadratmeter-Pflanzenteppich, der eine sechsstöckige Brandmauer bedeckt; geknüpft aus Abertausenden von Sträuchlein und Stauden mit 300 verschiedenen Namen.
Wie kann man weltberühmten Architekten und Museen so triumphal die Schau stehlen? Man nehme einen Metallrahmen, eine PVC-Platte, zwei Lagen Polyamid-Filz und eine Handskizze voller labyrinthischer Formen und lateinischer Pflanzennamen. Den Rest besorgt ein Gärtnertrupp mit Setzlingen und Samen, Teppichmesser, Tacker und Klebstoff.
Damit das funktioniert, muss man allerdings Patrick Blanc heißen. Der 58-jährige Pariser Botaniker hat weltweit 160 solcher vertikalen Gärten geschaffen, fast alle in Großstädten. Inmitten von Abgasen, Beton und Menschenmassen. Aber auch in Konzerthallen, Hotels und Designer-Boutiquen.
Erde? Ein Mythos, der überschätzt wird
Hausbesuch. Es ist ein fröstelgrauer Pariser Herbsttag, und im Vorort Ivry-sur-Seine beschleicht einen der Verdacht, man habe sich in der Adresse geirrt. Ein ehemaliges Arbeiterviertel mit ruppigem Multikulti-Charme: Karaoke-Café, Spedition, arabischer Schnellimbiss. Zwischen zaghaft sanierten Häusern in der Rue de Châteaudun ein abgewirtschaftetes Gebäude mit vernagelten Fenstern.
Der Mann, der das Hoftor öffnet, trägt laubgrüne Haartolle, Hemd mit grünem Blattmuster, zentimeterlange Fingernägel - Dr. Patrick Blanc ist seine eigene Visitenkarte. Und sein Zuhause seine Versuchsanstalt. Denn hinter dem Hoftor liegt der Dschungel.
Ein Patio, dessen Mauer zum Nachbarhaus verschwunden ist unter den mächtigen Tellerblättern des Riesen-Elefantenohrs, den gezackten Blättern der Fatsia und den zierlich gesägten der Boehmeria. Hoch oben winken die graziösen Riemenblätter der Japanischen Iris, wollen Feigenbäume in den Himmel wachsen.
Die Sinfonie aus Grüntönen und Wuchsformen macht auf den ersten Blick andächtig stumm. Unwillkürlich sucht der Blick auf dem Boden nach dem Ursprung der meterdicken Pflanzenpolster. Vergebens. Nirgendwo ein Krümel Erde oder wenigstens ein Blumentopf. Dieser Urwald scheint zu schweben, nur von Licht, Luft und Wasser zu leben. Patrick Blanc, trotz Herbstkühle in Shorts und Flipflops, erklärt das Prinzip, das all seinen Grünen Wänden zugrunde liegt: "Erde ist ein überschätzter Mythos. Viele Pflanzen brauchen sie gar nicht. Sie wurzeln genauso gut in einem Polyamid-Filz, solange sie jeden Tag fünf Liter Wasser pro Quadratmeter bekommen."
Auf Wasser steht, geht und sitzt man in Blancs Hinterhaus. Vor zwei Jahren hat er zusammen mit seinem Freund den Gewerbehof gekauft, "und als Erstes haben wir den Boden einen halben Meter tief ausschachten lassen und in ein 20.000-Liter-Wasserbecken verwandelt; ich hatte schon immer von einem begehbaren Aquarium geträumt." Jetzt können rund 1000 Fische im temperierten Wasser zwischen Büro und Patio hin und her schwimmen. Außen ist das Mega-Aquarium teilweise mit Holz abgedeckt, innen mit Sicherheitsglas - so kann Blanc am Computer sitzend die flitzenden Schwärme der Fischlein in tollkühnen Farben unter seinen Füßen beobachten.
Hinter dem Schreibtisch wuchert der Innen-Dschungel. Komponiert aus tropischen Blattschönheiten, die zum Teil schon seit 30 Jahren ein üppiges Mauerblümchendasein im Hause Blanc führen. In diesem lebenden Gemälde - als wär’s ein naives Urwald-Bild von Henri Rousseau - schwirren und picken Dutzendschaften kleiner bunter Vögel. Die Prachtfinken und Brillenvögelchen, erklärt Blanc, sind leidenschaftliche Schädlingsfresser und ersetzen auf anmutige Weise das Insektenspray. Und das Aquarium liefert naturgedüngtes Wasser für die Ernährung seiner Pflanzen.
Urwald auf Kunstfaser
Patrick Blanc hat sich an einem unwahrscheinlichen Ort in der Pariser Vorstadt sein Paradies erschaffen - und damit meint der Botaniker kein Deko- Klischee, sondern eine Methode. "Der Garten Eden hat mich bereits als Kind fasziniert, weil er ganz ohne menschliches Zutun gedieh. Das Paradies war, genau wie der Urwald, ein sich selbst regulierendes System von Pflanzen und Tieren. Die biblische Geschichte nach dem Sündenfall, wo der Mensch plötzlich im Schweiße seines Angesichts ackern musste, gefiel mir schon viel weniger ..."
Wenn ihn jemand einen Gärtner nennt, rollt Blanc die Augen. Er ist ein bekennender Garten-Verächter, und mit Landidyllen - "Pseudonatur" - kann er genauso wenig anfangen. "Gärten und Parks langweilen mich, weil ich mich darin bevormundet fühle durch die Wege und Blickachsen, die ein wohlmeinender Mensch angelegt hat. Außerdem haben Millionen moderner Großstädter gar keine Zeit, sich eigens dorthin zu begeben. Viel zeitgemäßer ist es, wenn sie aus dem U-Bahn-Schacht kommend von einer Grünen Wand begrüßt werden."

Es sind nicht nur Meisterwerke namhafter Architekten, sondern auch viele eher missratene Alltagsbauten, die Blanc mit einer grünen Schmuckverpackung zur Sehenswürdigkeit erhoben hat: eine Metro-Station in Tiflis oder eine Betonbrücke bei Aix-en-Provence. Einkaufszentren, Parkhäuser, Behörden. Die vordem schäbige Markthalle von Avignon oder die einstige Schmuddelstraße Rue d’Alsace im Pariser Bahnhofsviertel.
Apéro-Zeit, Blanc schenkt sich ein Gläschen Weißwein ein. Eine Handvoll gefriergetrockneter Krabben verteilt er an die flink herbeizoomenden Fische. Mit diesen genügsamsten aller Haustiere, sagt Blanc, habe vor über 40 Jahren alles angefangen. Wie viele Franzosen steht er mit Fremdsprachen auf dem Kriegsfuß, aber den deutschen Namen "Die Aquarien- und Terrarienzeitschrift" kann er heute noch perfekt hersagen.
Als Kind widmete er sein gesamtes Taschengeld seinem Lieblingsspielzeug, dem Aquarium. Mit Philippe Vallette, einem Jungen aus der Nachbarschaft, tauschte er Fischbabys; gemeinsam buchstabierten sie ausländische Fachzeitschriften durch. "Mit 15 Jahren las ich in der DATZ etwas über die Reinhaltung des Aquarienwassers durch die Wurzeln von Zimmerpflanzen. Zwar wusste ich längst vieles über die Filterwirkung von Wasserpflanzen, hätte aber nie gedacht, dass das auch mit sogenannten normalen Pflanzen geht." Also schnitt er Stecklinge vom Philodendron seiner Mutter und setzte sie in die Filterkartusche. Schon bald entwickelten sie prachtvolle Wurzeln; die Fische spielten darin Versteck.
Da dämmerte ihm, dass alles, was man ihm in der Schule und der Kirche über die nährende Erde eingehämmert hatte, mal neu untersucht werden müsste. "Ich sagte dem Wasser Adieu und vertiefte mich ins geheimnisvolle Leben der Pflanzen." Der Jugendfreund dagegen blieb den Fischen treu: Philippe Vallette leitet heute das nationale Meeresaquarium Nausicaá in Boulogne-sur-Mer.
Zwischen dem Aha-Erlebnis im Kinderzimmer und der Konstruktion der ersten Grünen Wände liegen viele Lehrjahre - und ungezählte Bastelstunden. Patrick Blanc studiert Biologie. Mit 19 unternimmt er seine erste Forschungsreise in den Regenwald des Nationalparks Khao Yai in Thailand. Die Flora überwältigt ihn. Wobei sein besonderes Interesse nicht den Baumriesen
gilt, sondern den Epiphyten und der filigranen Vielfalt der Unterholz-Vegetation.
Fortan bereist er in allen Semesterferien Primärwälder. Das kostet. Um sein Budget aufzubessern, verkauft der Student samstags Zierfische im Kaufhaus Samaritaine - und trägt den Verdienst oft noch am selben Abend ins legendäre Cabaret Alcazar. In den Nachtclubs und Bars des Großstadtdschungels fühlt er sich bis heute so geborgen wie im Dämmer der Urwälder: "Genauso feuchtheiß und geschützt, von seltsamen und talentierten Kreaturen bevölkert."
Blanc promoviert mit 25 Jahren, seine Doktorarbeit schreibt er über Urwaldpflanzen des Unterholzes, die mit rund einem Prozent des Sonnenlichts auskommen. Diese Recherchen nützen ihm noch heute: wenn er Mauern begrünt, deren Fuß im grottendunklen Schatten liegt.
Urwald auf Kunstfaser - auf Wunsch auch frostfest
In Blancs Studentenbude bekommen die Philodendron-Ableger Gesellschaft; bald wurzelt ein Mini-Dschungel an einem zwei Meter hohen Holzbrett hochkant über dem Aquarium. Die Anfänge der Grünen Wände sind mühselig. Mal kracht die morsche Holzkonstruktion zusammen, mal sorgt ein defekter Berieselungsschlauch für Überschwemmung. Blanc tüftelt mit Kokosfasern, Steinwolle, Moosen, Baumwoll-Putzlappen - doch all diese Materialien verrotten zu schnell, um seine wachsende grüne Gesellschaft in Form halten zu können. "Erst 1977 löste ich mich endlich von der Idee, der Pflanzenträger müsse 'bio' sein. Das fiel mir als Botaniker nicht leicht. Aber es erwies sich als Ei des Kolumbus."
Er pflanzt jetzt auf Synthetik-Vlies, wie es in Gärtnereien zum Abdecken verwendet wird. Setzt die nackten Wurzeln zwischen zwei Filzlagen ohne einen Krümel Substrat. Auf Forschungsreisen hat er gesehen, dass Tausende von Pflanzen auf Felsen, Klippen und Karst nur Wasser und eine wenige Millimeter dicke Humusschicht benötigen.
Blancs senkrechter Urwald auf Kunstfaser gedeiht strotzend und pflegeleicht; vorsichtshalber meldet er seine Erfindung zum Patent an. 1988 wird es ihm erteilt. Doch noch denkt er nicht daran, dass seine Feierabendbeschäftigung einmal weltweit Furore machen könnte.
1989 habilitiert er sich. Bis dahin hat er sich ausschließlich tropischen Pflanzen gewidmet. "Aber eines Tages, beim Neubau einer scheußlichen Betonfassade vor meinem Wohnzimmer, wurde mir klar, dass ich mir Gedanken machen müsste über eine frostfeste immergrüne Wand." Er beginnt, sich in die Flora der gemäßigten Breiten zu vertiefen.
Die Wüste blüht
Die erste Grüne Wand im Freien entsteht 1991. Die besieht sich zwei Jahre später ein befreundeter Gartenarchitekt. Eric Ossart, einer der Organisatoren des Internationalen Gartenfestivals in Chaumont- sur-Loire, drängt Blanc, für die Schau 1994 einen vertikalen Garten anzulegen. Das anspruchsvollste Gartenfestival des Kontinents befasst sich weniger mit Geblümel als mit grünen Visionen. Chaumont verändert Blancs Leben. Architekten, Museumsdirektoren, Stadtplaner beauftragen den erfindungsreichen Botaniker mit der künstlerischen Ader; die Medien finden den Pflanzen-Guru mit grünen Haaren fabelhaft fotogen.
Dabei hatten die grünen Haare ursprünglich nichts mit Botanik zu tun. Und auch nichts mit dem Dichter Baudelaire, der sich aus Liebe zum Absinth die Haare grün färbte. Mit Liebe aber schon: "Als ich vor 25 Jahren den Mann meines Lebens traf, beschlossen wir aus Daffke, uns die Haare zu färben. Pascal nahm Blau, ich Grün. Pascal hatte es nach vier Wochen satt, ich bin dabei geblieben." Seine Fingernägel trägt Blanc übrigens schon seit dem zwölften Lebensjahr fünf Zentimeter lang. "Es ist eine Hommage an Edith Piaf", erklärt er, "und es gefällt mir zu entscheiden, wen oder was ich wirklich mit der Hand berühren will und wozu ich lieber Distanz halte."
Pascal Héni ist Musiker und als "Pascal of Bollywood", wie Blanc ihn vorstellt, "der wohl bekannteste Franzose in Indien". Denn Héni ist in Hindi und Bengali so perfekt, dass er eine rauschende Tournee durch Indien absolviert hat und sogar "La vie en rose" auf Hindi singen kann. Blanc wiederum gibt auf YouTube sein Lieblingslied "Nur nicht aus Liebe weinen" von Zarah Leander zum Besten.
Zwei Paradiesvögel, charmant, entwaffnend, symbiotisch: Der Troubadour begleitet den Wissenschaftler auf fast allen Reisen, der Botaniker schreibt dem Sänger Chansontexte: "Un peu de botanique" oder "Idylle chlorophyllienne".
Die Wüste blüht - mit Wasser aus der Klimaanlage
Wiedersehen in Singapur. Seit einigen Jahren sitzt Blanc auf einem sich immer schneller drehenden Kongress-Karussell. "Ökologie ist das Ornament des 21. Jahrhunderts", hat der Architekt Rem Koolhaas gesagt, und Stadtbegrünung ist eine Boombranche, die zwischen "bio" und Kunst am Bau oszilliert.
Zum Kongress "Skyrise Greenery" in Singapur sind 400 Teilnehmer aus 25 Nationen gekommen. Es geht um die
Lage der zu schnell gewachsenen Millionenstädte, in denen kein Platz
mehr ist für Parks. Die Bepflanzung von Hochhausdächern und
Wolkenkratzer Fassaden scheint eine Lösung zu sein.
Die deutschen Tagungsteilnehmer, Ingenieure, Professoren, Koryphäen
der Dachbegrünung, tragen mehrheitlich graue Kinnbärte zu grauen
Anzügen und ökologisch bedingte Sorgenfalten im Gesicht. Blanc dagegen
spurtet auf die Bühne wie ein Popstar; enge Jeans, spitze grüne
Stiefel, Markenzeichen Hemd mit Blattmuster. Das Kontrastprogramm.
Anders als viele seiner Zunft wirft Doktor Blanc nicht mit Vokabeln
wie Nachhaltigkeit, Ökologie, Klimaschutz um sich. Er öffnet per
Diavortrag die Wundertüte seiner Kreationen. Führt das Publikum um die
Welt - vom Einkaufszentrum in Bangkok bis zum Brüsseler Parlament.
Erklärt, weshalb er höher hinauskann als die Konkurrenz: Bei seinem
Patent wiegt ein Quadratmeter Pflanzmedium auch feucht nur drei Kilo;
bei anderen Verfahren sind es mindestens 20.
Längst ist Blanc nicht mehr bloß der Mann für die Grüne Wand. Für
seine beiden jüngsten Mammutprojekte - am Miami Art Museum von Herzog
und de Meuron sowie in einem 65.000 Quadratmeter großen
Einkaufszentrum in Dubai - geht er in die Horizontale: Die
Entwurfsskizzen zeigen riesige hängende Gärten wie Pflanzenhimmel über
den Fußgängerzonen. Skeptischen Ökologen erklärt Blanc, dass die
blühenden Wolken in der Wüste ausschließlich mit recyceltem Wasser aus
den Klimaanlagen beregnet werden. Er schließt mit den Worten: "Wenn
Sie’s richtig machen, können Sie Natur überall einsetzen."
Wo immer möglich, verbindet der botanische Jetsetter die Arbeit auf
Konferenzen mit seinem größten Vergnügen: Abstechern in den Dschungel.
Im Stadtstaat Singapur gibt es den Sumpfwald Nee Soon im Naturreservat
Bukit Timah, wo man Makaken, "fliegenden" Echsen und Baumschlangen
begegnet.
Die Botanisiertrommel des modernen Biologen ist der Fotoapparat. Blanc
klettert behende jenseits der Trampelpfade, watet ohne Bange vor
Blutegeln bis zum Knie im Schlamm. Zupft hier ein kriechendes
Pfeffergewächs vors Objektiv; dort einen anmutigen Drachenbaum,
dessen Wildform nichts gemein hat mit der stocksteif gezüchteten
Allerwelts-Topfpflanze. Verkündet mit Finderstolz Zungenbrecher:
"Scindapsus pictus! Raphidophora korthalsii! Tacca integrifolia!"
Blancs Augenmerk gilt besonders den Pflanzen, die überhängend am
Steilhang und auf kargem Grund wachsen - Idealbesetzung für seine
Grünen Wände. Kürzlich hat er auf den Philippinen eine blaublättrige
Begonienart gefunden, die nun als Begonia blancii in die
Wissenschaftsliteratur eingegangen ist.
Wer durch Blancs prächtige Website browst und sieht, dass er fast
jeden Monat irgendwo auf der Welt ein Pflanzen-Tableau erschafft,
vermutet dahinter ein Großbüro. Doch der Mann ist Solist. Jeden
Pflanzplan zeichnet er liebevoll von Hand. Zuvor hat er das
verschönerungsbedürftige Objekt besichtigt und das Klima vor
Ort geprüft. Dann geht er in seine Archive. Das eine besteht aus über
10.000 Bildern, die er auf Expeditionen gemacht hat. Das andere sitzt
in seinem Kopf und kann wie auf Knopfdruck Tausende lateinischer
Pflanzennamen für sonnige, frostige und tropische Lagen
herunterrattern.
Mit diesen Daten fertigt er seine Skizzen. Charakteristisch für viele
Entwürfe sind die dynamischen Diagonalen; nach zwei, drei Jahren sieht
das Pflanz-Werk aus, als ob von rechts oben ein Füllhorn voller Blüten
und Blätter ausgeschüttet worden wäre. Sogar kleinere Arbeiten
zeigen 100 verschiedene Arten - auch, weil diese Biodiversität
Pflanzenkrank heiten und Schädlinge in Schach hält.
Keine Arbeit ähnelt der anderen. Denn Blanc stellt stets einen engen
Bezug zum Gebäude her: Der vertikale Garten am Museum Caixa Forum in
Madrid reflektiert mit seinen rostroten Driften den modernen Würfel
aus rostigem Metall.
In Kanazawa hat er in der Nähe des Museums für zeitgenössische Kunst
Samen von Wildkräutern gesammelt und als Gegenpol zur importierten
Flora gepflanzt - so edel präsentiert, erkannten die Japaner ihre
eigenen Unkräuter nicht wieder. Und für eine Kochbuch Autorin in der
Bretagne tackerte Blanc einen Garten aus Küchenkräutern an die Wand.
In Deutschland hat Blanc erst in kleinem Stil gearbeitet - am Berliner
Kaufhaus Galeries Lafayette und in der Hypovereinsbank München. Das
ändert sich gerade. Matthias Jenny, der Direktor des Palmengartens in
Frankfurt am Main, hat Gewaltiges vor mit Blanc: Er möchte ihn den
längsten vertikalen Garten der Welt anlegen lassen. Eine 600 Meter
lange Einfriedung um den Palmengarten, innen und außen begrünt mit
Pflanzenbildern. Das erste Stück, eine geschwungene, drei bis fünf
Meter hohe Mauer an der Miquelallee, soll in diesem Sommer entstehen.
Ein Leuchtturm Projekt für Frankfurts Bewerbung als "Grüne Hauptstadt
Europas" im Jahr 2015.
Warum ist man sich in Frankfurt einig, dass nur Patrick Blanc für das
botanische Jahrhundertwerk infrage kommt? Warum nicht einer aus der
ins Kraut schießenden Konkurrenz, die inzwischen überall Pflanzenwände
für Büros und Bausünden errichtet? Matthias Jenny, selber Botaniker,
sagt: "Weil man bei Blanc spürt, dass er Pflanzen nicht als Dekoration
benutzt. Sondern sie versteht."