Gestern hatten wir einen Workshop in Shandia. FLOAGRI und meine Wenigkeit waren die Veranstalter. Dabei sollte ausgelotet werden, in welchem Bereich die Leute von Shandia Hilfe von FLOAGRI bekommen sollten. Meine Arbeit der Kartographie des Gebietes ist eine willkommene Ergänzung und eine Hilfe für die spätere Arbeit von FLOAGRI.
Das Problem ist stets, dass die Leute nicht wissen, wie sie ihre Kakaobäume zu beschneiden haben, damit sie einen höheren Ertrag abwerfen. Zumeist pflanzen sie nur ihre Kakaobäume an und warten auf die erste Ernte in etwa vier Jahren. Über die Jahre verbuscht die Fläche zunehmend. Natürlich ist auf solchen Flächen nur ein geringer Ertrag zu erwarten. Also muss bis zu einer guten Ernte erst einmal eine ganze Menge Arbeit in der Fläche investiert werden, bis sich das auszahlt. Diese langzeitliche Perspektive ist den Leuten aber nicht klar. Die Kichwa sind gewohnt, von einem Tag auf den nächsten zu leben. Wenn sie einen Tag viel Geld haben, geben sie es alles auf einmal aus, ohne einen Gedanken an die nächsten Tage zu verschwenden. So ist das in vielen Bereichen. Bei der Jagd ist es ähnlich.
Vorausschauendes Denken? Fehlanzeige!
Sie jagen rücksichtslos alles, was kreucht und fleucht und beklagen sich dann, dass es keine Tiere mehr gibt und man für die Jagd in weit entfernte Gebiete gehen muss. Ein weiteres Problem ist, dass sie täglich nur bis Mittag arbeiten und den Rest des Tages Fußball spielen. In ihrer Tradition sind sie Jäger und Sammler und dies nimmt im Normalfall eben nur einen halben Tag in Anspruch. Sie wollen in ihrer Tradition leben und gleichzeitig alle "westlichen" Annehmlichkeiten besitzen. So reden sie davon, dass sie gern ein Auto hätten. Jedes Mal, wenn ein "Gringo" (womit nicht nur Amerikaner gemeint sind, sondern auch ihre eigenen Landsleute, die im "westlichen" Stil in der Großstadt leben) zu ihnen in die Comunidad kommt, gehen sie davon aus, dass dieser Mensch ein Auto aus dem Ärmel schütteln kann. Mich haben sie gar gefragt, ob ich ein Flugzeug hätte. Dass ich, als Europäer ein Auto besitzen würde, haben sie glatt vorausgesetzt. Sie staunten nicht schlecht, als ich ihnen sagte, dass ich weder das eine noch das andere hätte und ich mich zumeist mit dem Fahrrad fortbewege.
Clash of the cultures
Die vermeintliche Realität, die über die TV-Bildschirme in ihre Hütten übertragen wird, nehmen sie für bare Münze. Also hatte ich einige Mühe, ihnen von der Realität zu erzählen. Ich fürchte, dass sie leider nicht verstehen, was sie für einen Reichtum. Selten habe ich glücklichere Kinder gesehen, die mehr lachten und mehr Freiheiten besaßen. Selten sah ich arme Leute mit weniger Problemen. Der Wald gibt ihnen alles. Sie müssen nur hineingehen und innerhalb kürzester Zeit ist ein Korb mit Früchten und Gemüse gesammelt. Jeder hat eine eigene Behausung und muss sich nicht über die Bezahlung der Miete den Kopf zerbrechen. Das bedeutet ein Leben mit viel weniger Zwängen. Diesen Lebensstil wollen sie auch nicht aufgeben, wollen aber gleichzeitig Kredite haben, um sich Luxusgüter zu kaufen, wobei sie keine Ahnung haben, wann und wie sie diese wieder zurückzahlen können.
Nie sah ich eine Grenze zwischen zwei Kulturen deutlicher als hier. Aber eben auch hier wirbt die "westliche" Kultur mit ihren Vorzügen und verblendet die Leute. Denn für den schnellen Dollar wird der Wald abgeholzt. So auch in Shandia. Sie verstehen ihre Chance nicht, den Kakao stärker zu nutzen, wofür die Arbeit von Kallari steht. Im Gegenteil. Viele sehen in Kallari nur einen weiteren Zwischenhändler, der nur auf Profit aus ist. Dabei soll der Profit, der Kallari irgendwann vielleicht machen wird, ihnen zu Gute kommen. Da ist aber wieder die nicht verstandene Langzeitperspektive das Problem. Es ist also noch sehr, sehr viel Arbeit in den Comunidades notwendig, damit dafür ein Verständnis entsteht.
Abschied von Shandia
Das Abenteuer "Shandia" geht nun zu Ende und ich freue mich, dass ich ab dem 13. August mit der nächsten Comunidad "Río Blanco" anfangen kann. Die Leute seien sind hoch motiviert und freuen sich mit mir zusammenarbeiten zu können. Dies versicherte mir deren Präsident. Das hört sich nach einer schönen Abwechslung zu Shandia an. (wie Alex so vortrefflich formulierte: die grüne "Wir-machen-das-später-Hölle") Río Blanco liegt im Gegensatz zu Shandia dermaßen ab vom Schuss, dass dort weder ein Bus hin verkehrt, noch eine Straße existiert. Demnach muss der geneigte Besucher dieser Comunidad zunächst mit dem Kanu den Río Napo befahren und dann einen eineinhalbstündigen Fußmarsch in Kauf nehmen. Aber was tut man nicht alles für die Wissenschaft?! Viel laufen bin ich ja schon von Shandia gewohnt.
Das Gute ist, dass der Strom in Río Blanco nicht ausfallen kann, denn vorsorglich gibt es dort keinen. Als man mir das ankündigte, war das fast ein Ausschlusskriterium, denn ich muss ja alle 2 Tage die Akkus des GPS aufladen. Man konnte mich aber dahingehend beruhigen, dass dann und wann von den Jugendlichen ein Film gesehen wird und dazu das Stromaggregat angeworfen wird.
Weil der Weg nach Río Blanco derart aufwändig ist, werde ich dort mein Quartier für mehrere Tage (Wochen?) aufschlagen und hoffe mal, dass ich dort etwas günstiger als in Shandia unterkommen werde. Vamos a ver!
