Ab der kommenden Woche will die Letzte Generation die Hauptstadt mit ungehorsamen Aktionen lahmlegen. Bislang fast 800 angemeldete Aktivist*innen wollen erst das Regierungsviertel, dann die ganze Metropole "zum Stillstand" bringen. Das ist irgendwie folgerichtig; schließlich lebt die Gruppe von aufmerksamkeitsstarken Stör-Aktionen, und zuletzt wurde es doch etwas stiller. Man braucht allerdings nicht viel Fantasie, um sich den Erfolg der Aktion vorzustellen: Das anfängliche wohlwollende Interesse vieler Menschen wird ins Gegenteil umschlagen. Was im Kleinen schon nicht funktioniert hat, das soll nun also im Großen scheitern.
Fridays for Future und die Grünen, zuerst natürliche Verbündete, haben sich schon im Vorfeld von der Berlin-Blockade – und der Gruppe als solcher – distanziert.
Es wird weitere hysterische Debatten geben, weitere Rufe nach einem härteren Vorgehen gegen die Aktivist*innen, bis hin zu Forderungen, sie als Terroristen einzustufen und die Organisation gleich ganz zu verbieten. Das mag dem Hang zur Selbstheroisierung der Letzten Generation schmeicheln ("Wir stehen auf der richtigen Seite der Geschichte" heißt es auf der Homepage). Doch eines wird die Aktion nicht erreichen: Sie wird die Regierung nicht zu zusätzlichem Klimaschutz motivieren.
Dass die sich nicht zu einer entschlossenen Klimapolitik durchringen kann, die mit dem 1,5-Grad-Limit vereinbar ist, ist ohne Frage skandalös. Die Regierung darf sich aber – auch und gerade, weil sie demokratisch gewählt ist – nicht als erpressbar präsentieren. 800 Menschen oder auch mehr mögen überzeugt sein, den Willen von 99 Prozent der deutschen Bevölkerung zu repräsentieren. Sie dürfen aber keine Politik erzwingen.
Will "die Bevölkerung" mehr Klimaschutz?
Der Irrtum der Letzten Generation besteht nicht in der Faktenlage zur Klimakrise; die Bedrohungen durch das Ansteigen der durchschnittlichen Temperaturen um mehr als 1,5 Grad (das nach Einschätzung des IPCC schon heute unausweichlich ist), das Erreichen von Kipppunkten im Klimasystem wird für Hunderte Millionen Menschen und ungezählte Tiere weit reichende, katastrophale Auswirkungen haben.
Der Irrtum der Letzten Generation besteht darin, dass sie sich für den Tat gewordenen Willen der Gesamtbevölkerung hält. Die will zwar Klimaschutz – aber nur, so lange er nichts kostet. Nur, so lange er keine Abstriche beim eigenen Komfort abverlangt, wie vor kurzem übrigens auch die "private" Flugreise von Mitgliedern der Letzten Generation gezeigt hat. Aus diesem Grund ist es naiv zu glauben, dass ein Gesellschaftsrat, wie ihn die Letzte Generation fordert, gewissermaßen für die Regierung die Notbremse zieht, weil die es eben nicht hinbekommt.
Nichts gegen die Idee der Bürgerräte. Doch wie zufällig gewählte Laien mit sich gegenseitig ausschließenden Interessen eine gesellschaftliche Mammutaufgabe wie Klimaneutralität bis 2030 ins Werk setzten sollen, bleibt schleierhaft. Dass die Regierung sich auch noch verpflichten soll, die Beschlüsse des Gesellschaftsrats umzusetzen, steht zudem im Konflikt mit der Grundidee der parlamentarischen Demokratie.
Statt auf kryptische Aktionen zu setzen und Pseudoregierungen zu fordern, wäre die Letzte Generation gut beraten, gesellschaftskritisch aufzurüsten. Sie könnte den Abgrund zwischen wissenschaftlich fundiertem Wissen und gesellschaftlichem, aber auch individuellem Handeln diskursiv ausleuchten. Sie könnte sich mit den Paradigmen von Wohlstand, Wachstum und Konsum kritisch auseinandersetzen, das Bild einer Gesellschaft entwerfen, die die Grenzen des Naturverbrauchs respektiert und, was sie hat, gerecht verteilt. Sie würde sich damit allerdings in gesellschaftliche Bewegungen einreihen, die dieses Feld teils schon seit Jahrzehnten beackern.
Das mag vielen Aktivist*innen unattraktiv erscheinen. Doch was ist die Alternative? Ein Feuerwerk aus Medienspektakel, Widerstandspathos und Selbstheroisierung, letzten Endes der Gang in den Untergrund? Der gesellschaftliche Kipppunkt der Letzten Generation als Bewegung wäre sehr bald überschritten. Gedient wäre damit niemandem, schon gar nicht dem Klima.