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Wie ein blaugrüner Dom aus Granit steigt Rakiura, englisch Stewart Island, aus der schweren Dünung des Südpazifiks empor. Im Norden der neuseeländischen Insel erheben sich fast 1000 Meter hohe Bergketten, deren Gipfel gewöhnlich in Regenwolken verborgen sind. Das Wetter ist meist feucht, wechselhaft und kühl infolge des klimatischen Einflusses der Antarktis. Das Maori-Wort "Rakiura" bedeutet "Land des glühenden Himmels"- nach der Aurora australis, dem Polarlicht der südlichen Hemisphäre. Neuseelands drittgrößte Insel liegt 30 Kilometer südwestlich der Südinsel, von ihr getrennt durch den stürmischen Meeresarm der Foveaux Strait. Den Norden von Rakiura bedeckt dichter Regenwald vom Typ der gemäßigten südlichen Breiten, den Inselsüden säumen Buschland, Sümpfe und breite Dünengürtel.
Unberührte Wildnis
Im Februar 2002 sind rund 85 Prozent von Rakiura zum Nationalpark erklärt worden: 1570 Quadratkilometer, die doppelte Fläche Hamburgs. Der südlichste Nationalpark der Welt kann nur per Boot oder Kleinflugzeug erreicht und ausschließlich zu Fuß besucht werden. Bis auf einige Pfade und ein Dutzend Schutzhütten ist die Wildnis unerschlossen und besiedelt von einer erstaunlich urwüchsigen Fauna und Flora. Hier stehen Neuseelands Urwaldriesen der vorsintflutlichen Podocarpaceae-Familie in ihrem südlichsten Verbreitungsgebiet; hier erstrecken sich acht verschiedene Ökosysteme, vom windgepeitschten Küstenwald bis hinauf zum alpinen Grasland der Bergketten; und hier lebt Neuseelands Wappentier, der Kiwi, noch massenhaft in freier Wildbahn: 20 000 Vögel nach Schätzung der neuseeländischen Umweltbehörde Department of Conservation (DOC).
Unbehelligtes Wappentier
Der auf dem südpazifischen Archipel endemische Bodenbrüter, ein heimlicher, nachtaktiver Einzelgänger im Unterholz, ist auf den beiden großen Hauptinseln durch eingeführte Wiesel, Frettchen, Hauskatzen und Hunde gefährdet oder schon ausgerottet. Doch die isolierte Lage Rakiuras hat eine eigene Unterart mit abweichenden Verhaltensweisen entstehen lassen. In seiner weitgehend ungestörten Umgebung verhält sich der "Stewart Island Brown Kiwi" (Apteryx australis lawyri) gesellig, geht auch tagsüber auf Futtersuche und fühlt sich sogar an Stränden wohl.
Refugium für todgeweihte Arten
Dank der Isolation von den Hauptinseln hat noch ein weiterer Todgeweihter auf Rakiura überlebt: der Kakapo (Strigops habroptilus). Bis auf drei Exemplare im Fiordland Nationalpark auf der Südinsel schien der grünlichbraune Papagei - eine leichte Beute wegen seiner Flugunfähigkeit und Behäbigkeit - in ganz Neuseeland ausgestorben. Doch dann stießen Suchexpeditionen vor 20 Jahren im weglosen Süden Rakiuras auf elf weitere Tiere. Mit den übrigen drei aus Fiordland siedelte das DOC die weltweit letzten Kakapos auf eine kleine, streng kontrollierte Nachbarinsel um.
Relikt der Erdgeschichte
Rakiuras Regenwald ist ein lebendes Fossil. Seine signifikanten Nadelbäume der Podocarpaceae-Arten Rimu (Dacrydium cupressinum), Hall's Totara (Podocarpus hallii) und Miro (Podocarpus ferrugineus) stammen noch aus dem Erdmittelalter, der Epoche der Saurier. Damals waren sie über den ganzen Planeten verbreitet, heute gibt es die Leviathane fast nur noch auf der Südhalbkugel. Sie weisen auf das gemeinsame Erbe des Superkontinents Gondwanaland hin, von dem am Ende der Saurierzeit auch Ur-Neuseeland abgebrochen war.
Unrentabel - aber schützenswert
Nachdem die Podocarpaceae-Wälder auf den Hauptinseln der Kettensäge zum Opfer gefallen waren, legten Holzfäller auch auf Rakiura Hand an die knorrigen Urwaldriesen. Doch die hohen Transportkosten, das meist schlechte Wetter und das unwegsame Terrain stellten sich schließlich der Abholzung entgegen. Forest & Bird, Neuseelands größter Umweltverband, hat mit dazu beigetragen, Rakiura als Nationalpark einzurichten. Das Kernargument: "Hier kann man Neuseeland noch so erleben, wie es die ersten Siedler sahen."