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Motivationstrainer: Die Missionare des Erfolgs

Positives Denken kann ein wichtiger Baustein sein für ein glückliches Leben. Manche Motivationstrainer vereinfachen diese Botschaft radikal - und verwandeln sie in ein einträgliches Geschäft

"Ein bisschen klopfen", ruft Jürgen Höller den Menschen zu, die in den Stuhlreihen aufgestanden sind, sich nach links gewendet haben und nun einander den Rücken massieren. "Ein bisschen schrubben! Ein bisschen patschen!" Hurtig gleiten die Hände über den Sitznachbarn. Dann dröhnt Musik, es wird getanzt, mal verhalten, mal ausgelassen, mal geradezu ekstatisch.

Höller lässt die rechte Hand immer wieder klatschend in die weit vorgereckte Linke schnellen, stampft und zuckt; schließlich rennt er mit einem Wassergewehr durch die Halle, spritzt und johlt. Auf einer Leinwand über der Bühne sieht sich das Publikum selbst, im Rhythmus der Bässe flackert das Wort "POWER" über den Köpfen.

Jürgen Höller versucht, Menschen zu motivieren. Seine Vorträge locken Erfolgswillige und Unzufriedene, etwa in das Kongresszentrum von Basel
Jürgen Höller versucht, Menschen zu motivieren. Seine Vorträge locken Erfolgswillige und Unzufriedene, etwa in das Kongresszentrum von Basel
© Christian Nilson

"Energy-Break" nennt Jürgen Höller den kollektiven Taumel, zu dem er die Gäste gerade im Kongresszentrum von Basel aufpeitscht, ehe sie wieder für Stunden verharren, um den Geschichten und Ratschlägen, Witzen und Appellen des Motivators zu folgen. Manche haben sich Butterbrote und Getränke mitgebracht.

Hochkonzentriert soll das Publikum sein, hat Jürgen Höller gleich zu Beginn gefordert. Nicht müde werden: Das ist die "erste Regel" der "Power-Days", die Höller auch in vielen anderen Städten im deutschsprachigen Raum veranstaltet.

Es ist ein Wochenende voller Überredung und Gutgläubigkeit, zotiger Späße, rührseliger Musik - und gewaltiger Sehnsucht nach dem Leben in Zufriedenheit. Rund 1500 Menschen sind gekommen, darunter Selbstständige und Kleinunternehmer, Handwerker, Vertriebsagenten, Sparkassenangestellte und Finanzberater: die Mittelschicht, erfolgreich und doch nicht erfolgreich genug.

Viele träumen davon, ihrem Dasein eine neue Richtung zu geben. Sie fühlen: Es könnte so viel beglückender sein. Es sind Verzagte und Hoffnungsvolle, Karrierewillige, Arbeitsmüde - und einfach Neugierige. Von Höller haben schon viele gehört. Wer so begehrt ist wie er, muss etwas zu bieten haben.

Sportlich und geschmeidig wirkt der Mann auf der Bühne, dunkler, passgenauer Anzug, makellos weißes Manschettenhemd, Krawatte in Signalrot. Nur selten macht Höller ein ernstes Gesicht. Er weiß, wie einnehmend er wirkt. Rund 40 Mitarbeiter beschäftigt er mit seinem Beratungsunternehmen. Zwölf Seminare, sagt er, hat die Firma neben den Power-Days im Angebot.

Im Kurs "Lifing" werden Teilnehmer "in die universellen, geheimen Lebensgesetze eingeweiht". In "Life Ener- gy" lernen sie, "im Überfluss an Energie, Kraft, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden" zu leben. In "Durchbruch zum finanziellen Erfolg" erfahren sie, wie sie "eine Geldmaschine schaffen, die für Sie arbeitet".

"Ich mache deinen Kopf auf und halte einen Mixer rein": Miko Dierssen war selbst Schüler bei Jürgen Höller. Heute ist er "Cheftrainer" der "Jürgen Höller Academy"
"Ich mache deinen Kopf auf und halte einen Mixer rein": Miko Dierssen war selbst Schüler bei Jürgen Höller. Heute ist er "Cheftrainer" der "Jürgen Höller Academy"
© Christian Nilson

Schon in den 1990er Jahren trat Höller in Fernsehshows auf, führte ein florierendes Beratungsunternehmen. Tausende zog es zu ihm in Hallen. Doch dann folgte der jähe Sturz.

Während Höller den Börsengang seines "Weiterbildungsunternehmens" Inline Motivation AG vorbereitete, geriet er ins Visier der Staatsanwaltschaft. 2003 wurde er zu drei Jahren Haft verurteilt: Untreue, vorsätzlicher Bankrott, falsche eidesstattliche Versicherung. Aus der Haft ließ Höller damals bekunden: "Gib nie, nie, nie, nie - gib niemals auf."

Die Zeit im Gefängnis habe ihm die Möglichkeit geschenkt, sich in das "Urwissen" der Menschheit zu vertiefen, sagt Höller heute. In seiner Zelle habe er Pythagoras und Sokrates gelesen, aber auch die Bibel. Vorzeitig entlassen, begann er ab 2004 erneut als Trainer zu wirken.

Mehr als eine Million Menschen hat er nach eigenen Angaben schon persönlich unterrichtet, mehr als fünf Millionen Mal sind angeblich seine Bücher, Filme und Audioprogramme verkauft worden, in denen er den Menschen erklärt, wie sie zu Erfolg finden – selbst wenn sie wie er einmal scheitern sollten. Das ist Jürgen Höllers Gewerbe.

Im deutschsprachigen Raum beherrscht Höller das Geschäft mit der Unzufriedenheit, doch er ist nicht allein. Ungezählte Anbieter werben für exklusive Seminare, treten bei Unternehmen auf, empfehlen sich gegenseitig und nehmen einander unter Vertrag, und manchmal mieten sie Messehallen, um mehrere Tausend Verdrossene gleichzeitig in Aufregung zu versetzen.

Meist predigen diese Motivationstrainer den bedingungslosen Glauben an die wahrhaft unbegrenzten Möglichkeiten eines jeden Menschen. Eine Botschaft, die gehört wird - weil sich nach ihr Millionen sehnen.

Wie viele Erfolgstrainer beschwört Höller die Kraft der Autosuggestion: Bloße Zuversicht soll dabei helfen, Eigenstangen zu verbiegen
Wie viele Erfolgstrainer beschwört Höller die Kraft der Autosuggestion: Bloße Zuversicht soll dabei helfen, Eigenstangen zu verbiegen
© Christian Nilson

Höllers Rezepte dafür sind einfach, bisweilen betörend einfach. In seinen Worten wird die Welt überschaubar, ordentlich wie eine Schrebergarten-Kolonie. "Eine US-Studie hat ergeben, dass jeder Mensch im Leben etwa 20 große Chancen hat", erklärt er beispielsweise seinen Adepten. "Der Erfolgreiche nimmt jede zweite wahr und setzt sie auch um, der Erfolglose ergreift dagegen nur eine einzige."

Wie die meisten Zuchtmeister des Erfolgs ist Höller ein begabter Redner, er spricht ohne Zögern, laut und klangvoll. Meist doziert er an der Bühnenrampe von einem erhöht stehenden Sessel aus, linke Hand in der Hüfte, die rechte mahnend erhoben. Seine Sätze sind simpel. Jeder soll ihn verstehen.

Kehlig fränkelnd sucht er sich zum Verbündeten seiner Zuhörer zu machen, will zu einem von ihnen werden. "Meine lieben Freunde", nennt er sie. Doch zugleich gibt er sich als versierter Experte, der seinen Aussagen den Anschein wissenschaftlicher Seriosität zu geben vermag. Er spricht von "metaphysischen Lebensgesetzen", von einem "Gesetz der Resonanz", dem "Gesetz des Unterbewusstseins", dem "Gesetz der Gewohnheit".

Um zu erfahren, wie die Gesetze funktionieren, ist freilich der Besuch eines seiner weiterführenden Seminare erforderlich. Und für die muss man tief in die Tasche greifen. Etwa für das Lifing-Seminar. Heute, hier in Basel, zum "Sonderpreis" von nur 1497 Euro zu erstehen. Sonst kostet es 2500 Euro.

Für diesen Preis erhält man zusätzlich weitere Höller-Produkte wie etwa ein Arbeitsbuch und Audioprogramme sowie Tickets für weitere Power-Days. Es geht zu wie auf dem Wochenmarkt. "Es sind keine Kosten für dich, es ist eine Investition", brüllt Höller mit gellender Stimme: "Bist du endlich bereit, Taten folgen zu lassen?" 15 Minuten preist er sein Lifing-Seminar an.

Nur so viel verrät er jetzt schon: Die "universellen" Lebensgesetze seien unverrückbare Wahrheiten, die ein jeder für sich zu nutzen wissen sollte. Sie seien so fundamental wie die Gesetze der Physik. Und doch so geheimnisvoll wie mystische Kräfte. Mit weit hochgereckter Faust tritt Höller so auf, als empfange er seine Erkenntnisse geradewegs aus himmlischen Sphären. Nelson Mandela, Arnold Schwarzenegger, Muhammad Ali: All diese Männer bezeichnet Höller als seine Vorbilder. Und ja, auch Jesus Christus. "Alles ist möglich dem, der glaubt", lehrte der Messias einst. Das ist auch Höllers ewig wiederholtes Mantra.

Jürgen Höller schwört, wie viele Erfolgstrainer, auf die Kraft der Autosuggestion: Bloße Zuversicht soll dabei helfen, Holzpfeile zu zerbrechen
Jürgen Höller schwört, wie viele Erfolgstrainer, auf die Kraft der Autosuggestion: Bloße Zuversicht soll dabei helfen, Holzpfeile zu zerbrechen
© Christian Nilson

Wo in früheren Zeiten religiöse Gemeinschaften oder politische Ideologien vielen Menschen halfen, das verwirrende Dasein zu ordnen, da stehen heute die Missionare des Erfolgs und der Selbstverbesserung bereit. Denn für die Suche nach Vollendung brauchen die Menschen ein Vorbild: jemanden, der den ersehnten Zustand bereits erreicht hat – oder ihm zumindest ein wenig näher ist als man selbst. Es gab in der Menschheitsgeschichte schon viele Namen für diese Rolle: Meister, Guru, Heiler, Lehrer, Priester. Heute heißen sie "Trainer" oder "Coach". Sie sind die Entertainer und Tröster der Erfolgsgesellschaft.

Iden vergangenen Jahrzehnten ist die unaufhörliche Selbstoptimierung immer stärker ins Zentrum des kulturellen Bewusstseins vorgedrungen und hat sich, so wirkt es mitunter, zu einer Art kollektiver Besessenheit gesteigert. Ob als Buch, Audioprogramm, Seminar oder Coaching: In immer neuen Variationen werden die Utopien einer steten Verbesserung, einer fortwährenden Arbeit an sich selbst, einem Millionenpublikum verkauft.

Und längst ist diese Form der Ratgeberliteratur nicht mehr nur bei esoterisch anmutenden Verlagen zu finden. Kaum ein Großverlag kommt heute noch ohne Titel aus, die Rezepte für eine glückliche Zukunft verheißen. In den USA erwirtschaften Unternehmen mit dem Versprechen, den Menschen zu einem beglückenden Leben verhelfen zu können, jährlich rund vier Milliarden Dollar, in Deutschland ist der Wert nicht genau zu beziffern. Doch allein die "Jürgen Höller Academy", so sagt ihr Inhaber, werde in diesem Jahr einen "zweistelligen Millionenbetrag" umsetzen.

Der Deutsche Bundesverband Coaching, eine von rund 20 Organisationen für Training und Coaching bundesweit, schätzt, dass sich hierzulande rund 35 000 Menschen "Coach" nennen. Mit Zertifikaten, Referenzen oder Publikationen versuchen diese Lebenstrainer, sich mit einer vertrauensvollen Aura zu umgeben. Doch die Grenze zwischen Seriosität und Scharlatanerie ist schwierig auszumachen. So haben sich mindestens 1800 Trainer dem "Neurolinguistischen Programmieren" verschrieben, einer dubiosen Methode zur Persönlichkeitsveränderung, für deren positive Wirksamkeit aus wissenschaftlicher Sicht nur wenig spricht.

Wer viel Geld bezahlt, erhält bei den Power-Days einen Sitzplatz in der Nähe der Bühne - und kann eine der begehrten Tüten mit "Lernmaterialien" nach Hause tragen
Wer viel Geld bezahlt, erhält bei den Power-Days einen Sitzplatz in der Nähe der Bühne - und kann eine der begehrten Tüten mit "Lernmaterialien" nach Hause tragen
© Christian Nilson

Viele Experten verfolgen diese Entwicklung mit Misstrauen: "Big Psycho Business" nennt etwa der Psychotherapeut Günter Scheich den Markt der Trainer und Coaches. Scharf kritisiert er vor allem jene Erfolgsmissionare, die permanent Optimismus propagieren. "Es ist eine totalitäre Methode, die den Menschen verkrampft, statt ihn zu befreien. Er soll sich einem Motto unterwerfen, das nicht zu realisieren ist."

Für Barbara Ehrenreich, Autorin des US-Bestsellers "Smile Or Die", in dem sie die Branche der Superoptimisten kritisch beleuchtet, ist die Erfolgs-Ideologie gar zur "kulturellen Glaubenswahrheit" geworden. Mit zunehmend "zwanghaften Zügen".

Natürlich ist es ungemein hilfreich, seinem Leben eine positive Grundnote zu geben und seiner Einstellung die richtige Dosis Optimismus. Doch in den letzten Jahren ist immer deutlicher geworden, dass wir inzwischen geradezu darauf angewiesen sind, uns in ein Kontinuum stetigen Übens zu begeben, wie der Philosoph Peter Sloterdijk in seinem Buch "Du musst dein Leben ändern" erklärt.

Denn nicht das Resultat allein steht mehr wie zu Zeiten der Industrialisierung im Fokus, also das Produkt der Arbeit – sondern die Performance: die stetig zu verbessernde Leistung. Stillstand ist heutzutage Rückschritt. Der Drang zur Perfektionierung, die Jagd nach einem imaginierten Optimum, führt den Menschen in einen dauerhaften Zustand der Unzufriedenheit, ja mitunter der Verängstigung. Der Sog der übersteigerten Selbstverbesserung gilt manchen Forschern gar als Symptom einer tief greifenden Angst in der Gesellschaft: der Furcht davor, nicht genug zu haben, zu können, zu sein.

Casting-, Talk- und Realityshows, in denen nicht nur Prominente um Aufwertung ringen, ein exzessiver Kult um jugendliche Schönheit und ein aggressiver Wettbewerb um Aufmerksamkeit auf Internet-Plattformen wie Youtube und Facebook: All das verbreitet seit einigen Jahren das Verlangen nach dem Immermehr, nach dem Schöneren, Besseren, tief hinein in alle Schichten.

Und es befeuert das Geschäft der Motivationstrainer und Erfolgsprediger. In ihren Händen wirkt der Weg zum ersehnten Ziel häufig geradezu banal: Man muss nur alles richtig machen, alles Negative von sich fern halten. Dann stellt sich das Gute schon von selbst ein.

Den ganzen Artikel lesen Sie in der neuen Ausgabe von GEO WISSEN "Zuversicht - Die Kraft des positiven Denkens".

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GEO WISSEN Nr. 55 - 05/15 - Zuversicht: Die Kraft des positiven Denkens

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