Es ist die Nacht ihrer Hochzeit, und Padmini tanzt. Die nackten Füße des Mädchens stampfen im Takt des Tamburins, das der Bräutigam schlägt; bei jedem Schritt klingeln die Glöckchen an ihren Knöcheln. Und während sich die Braut im Rhythmus dreht, singen und klatschen um sie unzählige Verwandte, Freunde, Nachbarn, die auf Matten auf der Erde sitzen. Die Stimmung ist ausgelassen in dieser Nacht zum 3. Dezember 1984, auf dem zentralen Platz von Oriya Basti, einem der drei Elendsviertel der indischen Stadt Bhopal.
Vor einem hinduistischen Götterbild hat sich das Paar hier vor dem Tanz das Jawort gegeben, der 18 Jahre alte Dilip und seine noch jüngere Braut. Eine Schule hat sie nie besucht; geheiratet wird früh.
Für die zur Dekoration aufgehängte Lichterkette hat ihr Vater eigens ein Stromaggregat ausgeliehen. Denn Elektrizität und auch fließendes Wasser gibt es in den einfachen Hütten aus Bambus und Lehm im Viertel nicht.
Bhopal ist eine boomende Großstadt im Herzen Indiens mit rund 800 000 Einwohnern, berühmt für die größte Moschee des Landes und riesige künstlich angelegte Seen. Doch in den Slums wohnen vor allem Bauern, die vor Insektenplagen und Missernten geflohen sind, in der Hoffnung auf ein besseres Leben in der Stadt. Viele suchen Arbeit am nahe gelegenen Bahnhof von Bhopal, einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt, etwa als Kofferträger wie Padminis Vater.
Oder in der großen Chemiefabrik des amerikanischen Konzerns Union Carbide. Deren stählerne Türme und Aufbauten ragen in Sichtweite der ärmlichen Hütten empor, bloß drei Kilometer von der Hochzeitsgesellschaft entfernt.