Frank Press CO2-Alarm im Weißen Haus: Der Forscher, der die USA 1977 vor dem Klimawandel warnte

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Schwarz-weiß Fotografie: Frank Press zeigt mit einem Bleistift auf eine Karte
Der Geophysiker Frank Press sagt in seinem Bericht "CO2-Ausstoß und die Möglichkeit eines katastrophalen Klimawandels" 1977 die Erderwärmung und deren grundstürzende Folgen voraus. Die Ölkonzerne reagieren später mit Desinformationskampagnen auf diese Erkenntnis
© Courtesy MIT Museum
1977 drängte Forscher Frank Press US-Präsident Jimmy Carter, Umweltschutzmaßnahmen zu ergreifen. Doch allen voran die Ölindustrie schürte Zweifel am menschengemachten Klimawandel

Im Sommer 1977 beschließt ein Wissenschaftler, die Vereinigten Staaten von Amerika wachzurütteln. Am 7. Juli legt Frank Press, Berater des US-Präsidenten Jimmy Carter, im Weißen Haus einen Bericht über den "CO2-Ausstoß und die Möglichkeit eines katastrophalen Klimawandels" vor. Die Temperatur auf der Erde steige in Zukunft um bis zu fünf Grad an, schreibt der Geophysiker unter dieser Überschrift. 

Es drohten "große Ernteausfälle", die Situation könne "außer Kontrolle geraten". Bald nach dem Jahr 2000, prognostiziert er, werde man die Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen. Der Staatschef der weltgrößten Volkswirtschaft ist nun offiziell im Bilde darüber, dass sich der Planet gefährlich erwärmen wird. Doch Jahrzehnte später werden weder sein Land noch die Konzerne daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen haben.

Jimmy Carter lässt Solarpaneele am Weißen Haus anbringen

Als Frank Press Alarm schlägt, haben Experten seit Langem Kenntnis von dem menschengemachten Klimawandel. Bereits 1896 thematisiert der schwedische Physiker und Chemiker Svante Arrhenius, dass bei der Verbrennung fossiler Rohstoffe freigesetztes Kohlendioxid die Erde erwärmen könnte. 60 Jahre später misst der US-Geochemiker Charles David Keeling die CO2-Konzentration auf einem hawaiianischen Vulkan in 3400 Meter Höhe. Sein über Jahre zusammengetragenes Diagramm, die "Keeling-Kurve", beweist: Der Anteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre steigt rasant an.

Ab den 1960er Jahren weiß die US-Politik davon, reagiert jedoch kaum – bis der Demokrat Jimmy Carter im Januar 1977 ins Weiße Haus einzieht. Der ehemalige Erdnussfarmer ist aufgeschlossen für die noch junge Umweltschutzbewegung. Zu seinem wissenschaftlichen Berater macht er den 52-jährigen Frank Press: Der Sohn jüdischer Einwanderer aus dem heutigen Belarus lehrt an der Elite-Universität MIT Geophysik und Geologie, beschäftigt sich vor allem mit Erdbeben. Doch auch in der Politik kennt er sich aus, arbeitete bereits in Beratergremien für verschiedene US-Regierungen und die NASA.

In seinem Memo zum Klimawandel für Carter schreibt Press, die Evidenz sei erdrückend und erfordere eine politische Antwort – weder zu "zögerlich" noch zu "panisch". Er rät dem Präsidenten, langfristig verstärkt auf Atomkraft und Sonnenenergie oder andere erneuerbare Energiequellen zu setzen. Zwei Jahre später lässt Carter auf dem Dach des Weißen Hauses Solarpaneele installieren – eine gute Werbung für die neue Technologie, die weiterentwickelt werden soll. Zudem gibt er 1980 eine große Studie zum Klimawandel in Auftrag.

Carter will die Energiepolitik umgestalten, und ein neues Gesetz betrifft auch die US-Autoindustrie. Ein Siebtel des weltweiten Erdöls verschlingen Fahrzeuge in den USA – und diese sollen sparsamer werden. Allerdings nicht nur aus Klimaschutzgründen: Der Präsident möchte das Land unabhängiger von Rohstoffimporten aus dem Nahen Osten machen, ein Dauerthema seit der Ölpreiskrise 1973.

Präsident Reagan hält nichts von Umweltauflagen

Als sich Ende 1980 bei den Präsidentschaftswahlen der Republikaner Ronald Reagan gegen Carter durchsetzt, ändert sich der Kurs, die Sonnenkollektoren verschwinden bald wieder vom Weißen Haus. Reagan hält nichts von Umweltauflagen; er will die Wirtschaft entfesseln und die Kohleproduktion steigern. Dabei hat selbst die Energie-Industrie erkannt, wie gefährlich der Klimawandel werden kann – zumindest für ihren Umsatz. Der Ölkonzern Exxon lässt heimlich Wasser- und Luftproben nehmen, um abzuschätzen, wie lange er sein Geschäftsmodell noch aufrechterhalten kann.

Als 1988 ein NASA-Wissenschaftler im US-Senat vor der Erderwärmung warnt, demokratische Abgeordnete danach Regularien für den CO2-Ausstoß vorschlagen, gründen die Autohersteller General Motors, Ford und Chrysler mit US- Kohle- und Ölkonzernen im Jahr darauf die "Global Climate Coalition". Das Ziel dieser Lobbygruppe: Zweifel am Klimawandel zu säen und Gegenmaßnahmen zu verhindern. Die Firmen investieren Millionen Dollar in Desinformationskampagnen, engagieren dubiose Wissenschaftler, die sich gegen "Weltuntergangswarnungen" aussprechen. Mit Erfolg: Immer weniger Amerikaner machen sich Sorgen um den Klimawandel. 1997 gelingt der Global Climate Coalition ihr größter Coup. Unter anderem mithilfe von Zeitungsanzeigen, in denen sie etwa vor hohen Energiepreisen warnt, verhindert sie, dass die USA in Kyoto das erste internationale Klimaabkommen unterzeichnen.

Frank Press, der lange die Leitung der einflussreichen National Academy of Sciences innehatte, berät noch bis ins hohe Alter verschiedene Institutionen. Als er 2020 mit 95 Jahren stirbt, häufen sich längst extreme Dürren, Überschwemmungen und Ernteausfälle – Folgen des Klimawandels, vor denen er schon 1977 gewarnt hatte.

Erscheint in GEO Epoche Nr. 129 (2024)