Am 7. Oktober 2023 durchbrechen mehr als 1000 Hamas-Kämpfer um 06.29 Uhr die befestigten Grenzanlagen des Gazastreifens Richtung Osten. Sie greifen unterschiedliche Orte in Israel an, darunter einige Kibbuz-Siedlungen, die Stadt Sderot und das Nova-Music-Festival in der Nähe des Kibbuz Re'im, nur etwa fünf Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt.
An jenem Samstag fallen der jüdische Ruhetag Schabbat und der Feiertag Simchat Tora zusammen. Mehr als dreitausend meist junge Menschen haben sich auf dem Festivalgelände versammelt. Sie feiern, tanzen, genießen die Songs aus den Lautsprechern. Doch dann verstummt die Musik. Schwerbewaffnete Hamas-Angehörige dringen in das Gelände ein. Im Verlauf des Tages werden allein hier 411 Menschen ermordet, Hunderte verletzt und 43 Frauen und Männer in den Gazastreifen verschleppt. Insgesamt tötet die Hamas an diesem Tag in Israel mehr als tausend Menschen und entführt 251 Männer, Frauen und Kinder nach Gaza.
Hinweis zur psychologischen Beratung
Warnung: Die Erfahrungen der Betroffenen sind schwer zu ertragen.
Für eine psychologische Hilfe in Deutschland ist der ärztliche Bereitschaftsdienst unter 116 117 eine zentrale Anlaufstelle, um Unterstützung bei akuten Krisen oder zur Vermittlung einer Psychotherapie zu erhalten. Weitere bundesweite Hilfetelefone bieten Unterstützung bei spezifischen Problemen, zum Beispiel die TelefonSeelsorge. Hier gibt es telefonische Beratung unter 0800 1110111 / 0800 1110222 oder 116 123 oder Hilfe per Chat.
Heute öffnet in Berlin eine Ausstellung, die den Schreckenstag auf dem Nova-Musik-Festival dokumentiert. Die Schau mit dem Titel "October 7, 06:29 AM - The Moment Music Stood Still" zeigt zurückgelassene Objekte vom Festivalgelände und erzählt die Geschichten der Opfer. Überlebende des Hamas-Überfalls und ein Angehöriger eines Opfers haben mit GEO.de über ihre Erinnerungen an den 7. Oktober 2023 gesprochen.
Ariel Borok ist der Bruder von Anita Lisman. Die 25-Jährige wurde am 7. Oktober von Mitgliedern der Hamas ermordet.
"Der 7. Oktober war ein Feiertag in Israel. Am frühen Morgen hörten wir die Sirenen heulen. Ich dachte mir erst nichts dabei, denn in Israel sind wir an Luftangriffe und das Alarmgeräusch gewöhnt. Also schalteten wir den Fernseher ein. Als wir die Bilder der Hamas-Angriffe auf Israel sahen, haben wir verstanden, dass Schreckliches vor sich geht. Ich rief meine Schwester Anita an, um ihr Bescheid zu geben, dass ich mich um unsere Großmutter kümmern würde. Unsere Oma ist 90 Jahre alt und lebt allein. Ich wollte mit ihr in einen Luftschutzbunker gehen. Am Telefon sagte Anita zu mir, sie sei auf einer Party und würde jetzt dort wegfahren. Da war es sieben Uhr am Morgen. Dreißig Minuten später rief ich sie erneut an, sie antwortete nicht mehr. In dem Moment wusste ich, dass etwas mit Anita passiert sein musste. Sie war ja sehr verantwortungsbewusst.
Nachdem ich den Kontakt zu ihr verloren hatte, versuchten wir, sie zu finden. Und bekamen tagelang keine Antworten. Meine Eltern waren damals in Spanien, meine Mutter hat mich angerufen und gefragt, warum sie Anita nicht erreiche. Erst habe ich sie angelogen. Ich sagte, sie sei auf einer Party, vielleicht habe Anita dort keinen Empfang oder sie schlafe vielleicht. Irgendwann sagte meine Mutter zu mir: "Lüg mich nicht an, ich weiß, dass sie dort war." Noch am Abend des 7. Oktobers haben wir DNA-Proben abgegeben.
Nach wenigen Tagen erfuhren wir, dass meine Schwester und ihr Freund Segev von den Terroristen in ihrem Auto auf der Straße getötet wurden. Wir erkannten ihre Leichen in einem Video auf Telegram. So haben wir von ihrem Tod erfahren. Im Eingang der Ausstellung gibt es ein Video, in dem gezeigt wird, wie meine Schwester erschossen wird.
Der 7. Oktober ist für mich ein wichtiger Tag. Je näher das Datum rückt, desto härter wird einiges für mich. Aber der Schmerz, das Leid und die Trauer sind jeden Tag bei mir. Der 7. Oktober ist nicht nur für mich ein schwieriger Tag, es ist ein nationaler Gedenktag. Die Ausstellung zeigt: Es war unmenschliche Brutalität.
Es ist eine Schande für die Menschheit, dass solche Dinge überhaupt geschehen. Deshalb dürfen wir diesen Tag und seine Opfer nicht vergessen. Wir sollten der Toten gedenken. Aber meine Schwester würde auch wollen, dass wir das Leben feiern."
Amit Ganish überlebte den Angriff auf das Nova-Festival.
"Ich bin am Leben. Ich bin der Beweis für das, was am 7. Oktober wirklich passiert ist. Ich will meine Geschichte erzählen und mit der Welt teilen. Zwei Jahre sind vergangen und es gibt Menschen, die das Massaker verleugnen oder nichts darüber wissen. Aber niemand kann leugnen, was vorgefallen ist. Deshalb bin ich hier, um über den schrecklichsten Tag meines Lebens zu berichten. Auch wenn es schwer für mich ist, darüber zu sprechen.
Meine Geschichte ist: Ich wollte tanzen. Wir alle wollten nur tanzen. Wir wollten auf ein Festival gehen, Spaß haben und unser Leben genießen. Ein normales Leben einer normalen Studentin. Ich wollte mich nicht im Gebüsch vor Terroristen verstecken müssen, mehr als neun Stunden. Ich wollte doch nur tanzen.
Der Tag erinnert mich an die Todesangst, die ich spürte. Ich hatte Angst um mein Leben, ich dachte, ich würde sterben. Es ist ein Wunder, dass ich überlebt habe. Eine Kugel streifte mich am Hals, eine verfehlte nur knapp meinen Fuß.
Am 7. Oktober war ich zusammen mit meiner besten Freundin Zohar und ihrem Freund Matan auf dem Nova-Festival, als wir angegriffen wurden. Matan wurde brutal ermordet. Wir überlebten und blieben ohne ihn zurück. Ich will für Zohar stark sein. Wir sind beste Freundinnen und ich möchte für sie da sein. An diesem Tag, dem härtesten Tag im Jahr, bin ich nicht bei ihr. Für ganz Israel ist es ein harter Tag.
Das Motto der Ausstellung ist "We will dance again". Und ich habe wieder getanzt. Vor zwei Wochen habe ich geheiratet, da haben wir getanzt. Es war sehr aufregend. Als wir zusammen im Gebüsch lagen, bekamen wir mit, was um uns Schreckliches passierte. Zohar und ich haben dann unsere letzten Wünsche geteilt. Und wenn eine von uns überleben sollte, würde sie der Familie der anderen ihren letzten Wunsch mitteilen. Mein letzter Wunsch war es, die Liebe meines Lebens zu heiraten. Und die Tatsache, dass ich es nun getan habe, ist für mich einfach unglaublich. Es ist ein Hoffnungsschimmer für mich.
Als ich am 7. Oktober sah und hörte, was um mich herum geschah, wusste ich, dass ich darüber Zeugnis ablegen würde.
Die Terroristen liefen durch diesen Obstgarten und töteten, entführten und vergewaltigten Menschen. Schon am 7. Oktober verstand ich, dass ich für all jene Menschen eine Stimme sein muss, die nicht überlebt haben.
Bring them home, das ist meine Botschaft."
Omri Sasi ist Überlebender des Nova-Festivals. Der DJ war Mitorganisator des Events.
"Das Nova-Festival am 7. Oktober war das größte Event, das wir jemals organisiert hatten. Es sollte einer der schönsten Tage meines Lebens werden, aber um 6.29 Uhr begann der Angriff der Hamas aus Gaza auf ganz Israel. Ich habe an diesem Tag Familie und Freunde verloren und wurde beinahe selbst umgebracht, aber ich habe überlebt. Der 7.10. ist für mich einer der schlimmsten und traurigsten Tage in meinem Leben.
Der Monat vor dem Jahrestag ist immer besonders schwierig für mich, für uns alle. Ich denke viel an meine Freunde, die vor dem Festival noch am Leben waren und es jetzt nicht mehr sind.
Heute ist ein trauriger Tag für mich. Es ist auch ein schwieriger Tag. Ich bin stolz darauf, bei diesem einzigartigen Projekt hier in Berlin dabei sein zu dürfen. Natürlich ist es nicht einfach. Aber wir müssen uns damit auseinandersetzen und weitermachen.
Auch zwei Jahre später ist der Tag eine offene Wunde für uns. Heute ist der Krieg immer noch nicht vorbei. Wir tun alles dafür, dass die Geiseln aus Gaza freikommen und nach Israel zurückkehren können. Derzeit verhandelt die Regierung mit der Hamas über ein Ende des Krieges. Ich hoffe, dass es bald so weit sein wird. Und wenn es so weit ist, dass der Krieg vorbei ist und die Geiseln freikommen, dann wäre es der glücklichste Tag in meinem Leben.
Wir sind Menschen des Friedens. Wir veranstalten ein Musikfestival und bringen so Licht und Musik in diese Welt. Wir bringen Menschen zusammen: Alle sind eingeladen, egal ob sie Muslime oder Christen oder Schwarze oder Weiße sind. Wenn du ein Mensch bist, bist du eingeladen, zu unserem Festival zu kommen, Teil unserer Gemeinschaft zu sein und diese Ausstellung zu besuchen. Mir ist es wichtig, dass nichtjüdische Menschen diese Ausstellung sehen. Auch Palästinenser und pro-palästinensische Anhänger sind herzlich willkommen. Ich lade sie ein, sich mit uns zu treffen und mit uns zu sprechen. Als die Ausstellung in Los Angeles Station machte, kamen Palästinenser zu Besuch. Wir sprachen über Stunden miteinander. Wir weinten zusammen, wir umarmten uns, und am Ende war es eine wunderschöne Begegnung. Wir trennten uns im Guten. So sollte es sein. Das wünsche ich mir auch für die Ausstellung in Berlin.
Und gute Stimmung und gute Energie zu verbreiten. So gehen wir mit dem Terror um, mit dem Licht und mit der Musik und mit dem Tanzen. Das ist unser Weg."