Lassen sich die Bilder von Monet überhaupt fotografisch nachstellen?
Ulf Küster: Es lassen sich zumindest Situationen nachfühlen. Trotzdem sind die Malerei und die entstandenen Fotografien völlig unterschiedlich. Auch bei der Fotografie findet ein Prozess statt, aber der Malprozess ist ein sehr viel langsamerer und reflektierterer – zumindest während des Malens. Auf diese Art und Weise kann ein individualistischer Zugriff über die Pinselsprache mit ins Bild gebracht werden. Auch FotografInnen können ihre Bilder natürlich sehr beeinflussen, aber es gibt grundsätzliche Unterschiede.
Man kann auch sagen, dass Monet die Fotografie geprägt hat. Bis auf das Motiv im zweiten Bild der Galerie – welches es bereits zur Anfangszeit von Monets Schaffen als Fotografie gab, sind diese typischen Motive der Normandie als eine Reaktion auf Monets Malereien zu verstehen. Viele Maler entdecken Motive für Fotografen und gerade die Landschaftsfotografie ist stark von der Malerei geprägt.
Ist das die Verbindung, die Sie versucht haben herzustellen, indem Sie die Motive von jungen FotografInnen haben nachstellen lassen?
Ulf Küster: Das ist die eine Verbindung, ja. Außerdem wollte ich zeigen, dass es diese Sichtweise auf die Natur auch in einer ganz modernen Interpretation gibt. Und dass diese Verbindung zwischen den Blicken von Monet und den Blicken von LandschaftsfotografInnen auch heute noch einfach herzustellen ist: Gerade auch die allgegenwärtige Landschaftsfotografie auf Instagram ist sehr stark von Malern und somit von echten Bildern geprägt.
Wie naturverbunden war Monet eigentlich?
Ulf Küster: Monet war schon sehr naturverbunden. Das Prinzip der Natur ist ja die stete Veränderung, während die Landschaft vielmehr als ein tradiertes Konzept der Kunsthistorie und somit als ein feststehender Begriff zu verstehen ist, den er überwinden wollte. Landschaft ist auch in der Fotografie als ein möglichst statisches Bild von Natur zu begreifen: Bäume, die so geschnitten sind, dass es bestimmte Blickachsen gibt, ein akkurat gekürzter Rasen, in der Bildmitte womöglich noch ein Tempel auf einem Hügel und im Hintergrund die aufgehende Sonne – so sollte eine Landschaft sein. Das ging Monet auf die Nerven. Er wollte Natur malen und Natur bedeutet Veränderungen. Seine Malerei hat er entsprechend angepasst, indem er versucht hat, sogar den Wind zu malen oder die Dynamik der Flut. Auch ganze Serien dienten diesem Zweck: Seine ganzen Bilder von der See sind eigentlich eine ganz große Serie, die in der Summe der Dynamik der Natur am nächsten kommt. Er hat auch versucht, alles in einem Bild darzustellen. Das Ergebnis war eine Art unendliche Malerei.

Wie ist es, die Schauplätze von Monets Malereien selbst zu erleben?
Ulf Küster: Als ich das erste Mal an diesem Strand war, überkam mich ein unheimliches Gefühl. Was ich so beeindrucken fand – und das findet sich natürlich weder in den Bildern von Monet noch in den Fotografien wieder – ist die Geräuschkulisse vor Ort. Das ist ohrenbetäubend. Wenn die Wellen dort an dem Kiesstrand für einen Unterzug sorgen, klingt das wie ein in nächster Nähe vorbeidonnernder ICE. Man hat das Gefühl, der Dynamik sehr direkt ausgesetzt zu sein. Vor Ort weisen Warnschilder auf die Gezeiten hin, wann man den Strand verlassen sollte und welche Zufluchtsorte es gibt. Tatsächlich ist ja auch Monet einmal von einer Welle überrollt worden und hat dabei sein Bild verloren.
Das sind alles Dinge, die einem durch den Kopf gehen. Es wird einem sehr klar, wie klein man ist und dass man Teil einer Dynamik wird, der man sich nicht wirklich entziehen kann. Ich glaube, dass das auch das Faszinosum für Monet gewesen ist. Er hat einmal gesagt, er sei verrückt nach dem Meer und das kann man dort wirklich gut verstehen. Er wagte es, dort hinzugehen, wo es gefährlich ist. Und das Meer ist dieser Hinsicht fast wie eine Droge.
Hat sich die Natur oder vielmehr das Bild von Natur vor Ort gravierend verändert?
Ulf Küster: An der Küste bricht immer mal wieder etwas herunter: Frankreich entfernt sich von England. Direkt in Étretat ist das allerdings noch nicht erkennbar. Aber was wir heute besser wissen – und das ist auch auf den Fotografien nicht zu erkennen – ist, dass dieses Ökosystem und somit das Küstenbild auch durch die Verschmutzung in großer Gefahr ist. Deswegen ist es auch so schön, dass hier mit einer ganz zeitgenössischen Methode des Betrachtens klargemacht wird, was das Besondere an dieser Natur ist und dass sie sehr schützenswert ist.
Ob Monet diese Form der Bedrohung damals schon so empfunden hat, weiß ich nicht. Heute sehen wir diesen Umstand mit einem roten Ausrufezeichen.
Die Fotografie ist gerade im digitalen Zeitalter als ein schnelles Medium zu bezeichnen. Ist es klar, wie lange Monet an einer seinen Malereien saß?
Ulf Küster: Das ist schwer zu sagen. Es gibt Bilder, die er tatsächlich an Ort und Stelle fertig gemalt hat – das weiß man, aber man weiß nicht welche. Und es gibt auch Bilder, die er erst im Atelier fertiggemalt hat und viele die er zerstörte, weil sie ihm nicht gefielen. Klar ist aber: Er hat an Ort und Stelle gemalt. Er hat sich wirklich der Natur ausgesetzt. Deswegen finden sich in seinen Bildern Zugvögel und unterschiedliche Zustände der Natur gleichzeitig.