Sie tanzen im Rhythmus einer neuen Zeit – schnell, wild, entfesselt: Am 8. Juli 1956 sind die Straßen in Londons Ausgehviertel Soho vollgestopft mit jungen Menschen, die ausgelassen singen, klatschen, die Hüften kreisen lassen. Sie feiern Karneval – und einen revolutionären Musikstil: den Rock 'n' Roll.
Ab Mitte der 1950er-Jahre wird er zum Soundtrack der jungen Generation, walzt sich von einem Land zum nächsten, zum Entsetzen vieler Erwachsener. Als der Song, mit dem alles begann, gilt heute Bill Haleys Version von "Rock Around the Clock", einer der meistverkauften Songs der Musikgeschichte. "Marseillaise einer weltweiten Teenager-Revolution" nannte eine Kritikerin den Titel später. Allerdings: Diesen Urknall des Rock 'n' Roll bekam zunächst kaum jemand mit.
"Rock Around the Clock" wird auf die Schnelle aufgenommen
New York City am 12. April 1954: Im Pythian Temple Studio der Plattenfirma Decca, einem kreisrunden ehemaligen Ballsaal, steht Bandleader Bill Haley mit seiner Gruppe Comets auf der Holzbühne. Der Studiotag droht zum Fiasko zu werden: Die Band kam zwei Stunden zu spät an, weil ihre Fähre auf einer Sandbank feststeckte. Und da die Aufnahme des Songs "Thirteen Women" zu lange dauerte, bleiben für den zweiten Titel, "Rock Around the Clock", keine 40 Minuten mehr.
Haley ist nicht der Erste, der diesen Song einspielt. Zuerst nahmen Sonny Dae and His Knights "Rock Around the Clock” auf, mit mäßigem Erfolg. Trotzdem gibt Haley, der bereits kleinere Hits gelandet hat, dem Titel eine Chance.
"One-two-three o‘clock, four o'clock rock”, beginnt der Mann mit der schmalzigen Stirnlocke zu singen, dann setzen erst Trommelschläge ein, schließlich trötet ein Saxophon, ein fetziges Stakkato-Gitarrensolo treibt den Song zum Höhepunkt. Explosiv ist nicht nur der Sound, sondern auch die Botschaft des Textes: Er fordert ein Leben im Hier und Jetzt ein – genau das Gegenteil von dem, wozu Erwachsene ihre Mädchen und Jungen erziehen wollen.
Am 20. Mai 1954 wird "Rock Around the Clock" veröffentlicht – versteckt auf der B-Seite der Single "Thirteen Women", und verschwindet schnell in der Versenkung. Der Song, der einmal als berühmtestes Rock-'n‘-Roll-Stück in die Geschichte eingehen wird, bleibt zunächst unbeachtet.
Wie die Beatles die USA eroberten

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Das ändert sich im folgenden Jahr. Am 19. März 1955 kommt in den USA das sozialkritische Schuldrama "Blackboard Jungle" ("Die Saat der Gewalt") in die Kinos. Es handelt von einem Lehrer, der sich gegen rebellische Jugendliche behaupten muss – und zu Beginn und am Ende des Films läuft "Rock Around the Clock".
Durch Zufall war der Regisseur Richard Brooks auf den Titel aufmerksam geworden: Als er den Schauspieler Glenn Ford in Beverley Hills besuchte, ertönte er aus dem Kinderzimmer von dessen Sohn Peter. Brooks machte den Song kurzerhand zum Soundtrack seines Films – mit durchschlagender Wirkung.
Der Song erklimmt erst die Spitze der US-Charts, 1956 auch die bundesdeutschen. Mehr noch aber zeigen sich die Entfesselungskräfte des Rock ‘n‘ Roll in den Tumulten und Krawallen, die nun am Rand von Konzerten und Filmaufführungen ausbrechen: Im Anschluss an "Die Saat der Gewalt" werden Kinositze platt getanzt, Mülltonnen in Brand gesetzt. "Rock Around the Clock" wird zur Hymne all jener, die sich gegen die Welt ihrer Eltern auflehnen.
Die Protestwelle erreicht auch Deutschland – und trifft sogar Bill Haley selbst. Sein Konzert im Berliner Sportpalast 1958 mündet in eine wüste Saalschlacht, bei der Jugendliche Stuhlreihen zertrümmern und der Sänger und seine Band von der Bühne flüchten müssen. Der Rock 'n' Roll lässt sich nicht mehr bändigen.