Der neue Bildband des Taschen-Verlags hat aus dem gigantischen Archiv der NASA geschöpft. Anhand von Hunderten Fotos erzählt er die Erforschung unseres Nachbarplaneten. Ergänzt werden sie um Beiträge hochrangiger Fachleute, darunter des ehemaligen Chefwissenschaftlers der NASA, James L. Green. Mit ihm sprach GEO über die Geschichte der NASA auf dem Roten Planeten.
GEO: Herr Green, im Bildband "Mars", der nun im Taschen-Verlag erscheint, bezeichnen Sie den Roten Planeten als unseren "Lieblingsnachbarn". Warum hat uns der Mars schon immer so viel mehr fasziniert als Venus oder Merkur?
James L. Green: Ich kann darüber nur spekulieren. Die Venus, die der Sonne näher steht, ist aufgrund ihrer Umlaufbahn nur am frühen Abend oder am Morgen zu sehen. Mars hingegen lässt sich die ganze Nacht hindurch beobachten, manchmal erscheint er blutrot. Ein faszinierender, imposanter Anblick. Die Menschen hatten dadurch Gelegenheit, über die Bedeutung des Mars zu spekulieren. Sie füllten ihre Wissenslücken mit kulturellen Vorstellungen: Die Römer beispielsweise verehrten ihn als Mars, den Gott des Krieges.
Dies geschieht auch heute noch in der Science-Fiction, die den Mars im Bewusstsein der Öffentlichkeit hält. Als im 19. Jahrhundert angeblich Kanäle auf dem Mars entdeckt wurden, entstanden die großen Geschichten über Marsmenschen, darunter "Krieg der Welten".
Je mehr die Forschung über den Mars herausfand, desto realistischer wurde die Science-Fiction, bis hin zu "Der Marsianer", an dessen Verfilmung ich als Berater beteiligt war. Einige Dinge sind auch in "Der Marsianer" furchtbar falsch, zum Beispiel die Staubstürme. Aber grundsätzlich ist dieses Zusammenspiel zwischen Wissenschaft und Science-Fiction auch heute noch sehr fruchtbar und inspirierend.
Das Zusammenspiel zwischen Wissenschaft und Science-Fiction ist auch heute noch sehr fruchtbar und inspirierend
Das Buch vereint viele großartige Aufnahmen des Mars. Zugleich erzählt es die Geschichte der Erforschung des Planeten. Angesichts der spektakulären Missionen der vergangenen Jahre vergisst man leicht, dass wir den Mars erst seit recht kurzer Zeit so genau kennen.
Ja, die Menschen betrachten den Mars seit Tausenden von Jahren und stellen sich vor, wie er aussehen könnte. Aber aus der Nähe erleben wir ihn erst seit 60 Jahren. 1964 machte die Sonde Mariner 4 die ersten Nahaufnahmen der Oberfläche, als sie einige Sekunden lang am Mars vorbeiflog. Auf den Fotos waren nur Krater zu sehen. 1971 trat Mariner 9 als erste Sonde in eine Umlaufbahn ein. Dies gab der NASA die Möglichkeit, den gesamten Mars zu kartieren. Plötzlich sahen wir, wie die Geologie den Mars geformt hatte: Neben riesigen Vulkanen existieren Täler, die von Wasser gebildet wurden.
Doch die Erkundung verlief holprig. Etwa die Hälfte aller Missionen zum Mars scheiterte. Warum ist es so kompliziert, den Mars zu erforschen?
Jeder neue Schritt birgt neue Herausforderungen. Um in eine bestimmte Umlaufbahn zu gelangen, müssen die Triebwerke zum richtigen Zeitpunkt und für die richtige Dauer gezündet werden. Stellen Sie sich vor, Sie müssten die Schärfe Ihrer Kamera einstellen, lange bevor Sie das Motiv sehen. Genau so ist es in der Raumfahrt! Die Instrumente auf der Sonde sind fokussiert, und wir müssen dann die Sonde in genau die Umlaufbahn begeben, die den Fähigkeiten der Instrumente entspricht. Die Bahnen, die wir anpeilen, werden mit jeder neuen Mission komplexer, um den Mars auf neue Weise zu untersuchen. Oder um von ihnen aus Landemanöver zu beginnen. Dabei wiederum erwies sich als Herausforderung, dass die Marsatmosphäre so dicht ist, dass wir sie bei der Landung berücksichtigen müssen, aber gleichzeitig so dünn, dass sie eine Sonde nicht von selbst abbremst, um sicher zu landen.
Stellen Sie sich vor, Sie müssten die Schärfe Ihrer Kamera einstellen, lange bevor Sie das Motiv sehen. Genau so ist es in der Raumfahrt!
Ganze Missionen sind gescheitert, weil eine einzige Komponente nicht funktionierte. Gibt es keine bessere Möglichkeit, dies zu verhindern?
Wir stecken enorm viel Energie hinein, wir prüfen alles akribisch. Aber alles, was wir bauen, ist einzigartig und neu. Autos laufen millionenfach vom Band, und doch gibt es immer wieder Exemplare, die schon nach wenigen Monaten in die Werkstatt müssen. Unsere Technik hingegen muss auch nach neun Monaten Hinflug zum Mars einwandfrei funktionieren, ohne dass wir sie in der Zwischenzeit warten könnten.
Manchmal braucht man auch Glück. Im Jahr 2003 setzte der britische Lander "Beagle" erfolgreich auf der Marsoberfläche auf, sendete aber keine Signale. Fotos, die vom Mars Reconnaissance Orbiter der NASA aufgenommen wurden, zeigten später, dass Beagle zwar einige Solarpaneele korrekt entfaltet hatte, aber nicht dasjenige, unter dem sich die Funkantenne befand, sodass keine Kommunikation zur Erde möglich war.
Wenn man all die Schwierigkeiten aufzählt, ist der Gedanke beängstigend, dass eines Tages Menschen dorthin reisen werden.
Bei astronautischen Missionen folgen wir einem Paradigma: Wir wollen vorher alles über das Ziel erfahren, was wir können. Deshalb haben wir nicht nur Orbiter, Lander und Rover zum Mars geschickt, sondern sind dort auch mit einem Hubschrauber geflogen.
Dies wurde während Ihrer Amtszeit erreicht.
Alle Missionen auf dem Mars seit 2006 standen unter meiner Oberaufsicht und Verantwortung, darunter die Sonden Mars Reconnaissance Orbiter und MAVEN, der Lander Insight, die Rover Phoenix, Curiosity und Perseverance sowie der Hubschrauber Ingenuity. Wir haben eine bemerkenswert erfolgreiche Serie von Marsmissionen erlebt. Wenn man einmal Erfolg hatte, will man weitermachen, weil man die Leute zusammen hat, die wissen, wie es geht.
Womöglich werden wir zuerst einen Marsmond besuchen. Von dort ist es leichter, zurückzukehren
Dennoch sind die Herausforderungen einer Planetenmission enorm. Der schwierigste Schritt wird sein, den Mars wieder zu verlassen. Die Schwerkraft ist höher als auf dem Mond, und im Gegensatz zu unserem Trabanten hat der Mars eine Atmosphäre.
Die Macher des Films "Der Marsianer" wussten um dieses Problem. Zu Beginn des Films sind die Aufstiegsfahrzeuge, mit denen die Menschen abheben, einfach schon da. Als Wissenschaftler frage ich mich: Wie um alles in der Welt haben sie es geschafft, diese riesigen Raketen dort zu landen? Im Moment könnten wir höchstens zwei Tonnen auf dem Mars landen. Aber diese Raketen wiegen wahrscheinlich 30 Tonnen oder mehr.
Als ersten Schritt in diese Richtung wollen wir Gesteinsproben vom Mars zur Erde fliegen. Wir arbeiten derzeit hart daran, dass diese Mission genehmigt und finanziert wird.
Mars ist der Gott des Krieges. Wenn die Staaten nun in einem Wettlauf zum Mars konkurrieren, könnte der Mars eines Tages einen Krieg auslösen?
Zum Glück haben wir den Weltraumvertrag von 1967, der zwar aktualisiert werden muss, uns aber bisher gute Dienste geleistet hat.
Auf der ISS treffen viele Kulturen aufeinander, die zum Teil miteinander im Konflikt stehen. Um eine Kultur zu verstehen, muss man sich in ihre Lage versetzen. Und eine Möglichkeit, das zu tun, ist, zusammenzuarbeiten. Auch jetzt sind Russen auf der Internationalen Raumstation, und die Zusammenarbeit funktioniert gut. So sollte es sein.
Die größte Gefahr besteht, wenn sich eine Nation völlig isoliert. Der Mangel an Kommunikation führt leicht zu Konflikten
Die größte Gefahr besteht, wenn sich eine Nation völlig isoliert. Der Mangel an Kommunikation kann leicht zu Konflikten führen. Eines der Markenzeichen der NASA ist daher Transparenz. Wenn wir Leben auf dem Mars finden würden, würden wir es allen mitteilen. Wir würden es nicht verheimlichen. Wir wollen, dass jeder weiß, was wir tun. Das ist einer der Gründe, warum dieses Buch so schön geworden ist. Es berichtet über das, was wir getan haben. Wir konnten aus dem riesigen Archiv der NASA schöpfen.
Wenn Sie jetzt auf dem Mars wären, was wollten Sie zuerst sehen?
Auf dem Mars ist alles größer. Die Canyons sind tiefer, sie sind breiter, sie sind länger. Würde man den größten Canyon auf dem Mars, Valles Marineris, in die Vereinigten Staaten verlegen, würde er den Atlantik mit dem Pazifik verbinden. Der Grand Canyon sähe wie ein kleiner Nebenfluss aus, der kaum eine Erkundung wert ist.
Ich würde auch den Olympus Mons sehen wollen, den größten Schildvulkan im Sonnensystem. Und dann würde ich in eine eingestürzte Lavaröhre springen, um zu sehen, ob in einer solchen Höhle Leben gedeihen kann. Es wäre eine fabelhafte Reise und ich hoffe, dass Menschen sie noch zu meinen Lebzeiten antreten werden.