Tierproduktion Sechs Jahre "Haltungsform"-Kennzeichnung: Was hat sie dem Tierschutz gebracht?

Blick auf Kühlregal mit Fleischprodukten im Supermarkt, die nach dem Tierwohllabel sortiert sind.
Aldi Süd sortiert gekühlte Fleischprodukte statt nach Tierarten neuerdings nach Haltungsformen. Blau steht dabei für die Haltungsformen 1 bis 2, Grün für 3 bis 5
© Rolf Vennenbernd /dpa / picture alliance
Wer Fleisch einkauft, orientiert sich oft an den Haltungsstufen 1 bis 5. Doch sorgt die neue Transparenz auch für bessere Bedingungen im Stall? Tierschützer ziehen nüchtern Bilanz

Immer mehr Menschen wollen wissen, wie Tiere gelebt haben, deren Fleisch sie essen. Wie viel Platz hatten sie? Hatten sie Auslauf? Der Handel reagierte 2019 – und führte eine freiwillige Kennzeichnung ein: die "Haltungsform". Das Ziel: Transparenz zu schaffen für Kundinnen und Kunden in einem unübersichtlichen Markt. Wer mehr Geld für Fleisch und Milchprodukte ausgibt, will schließlich auch wissen, was es den Tieren bringt.

Heute gibt es fünf Haltungsformen: 1 ("Stall") entspricht dem gesetzlichen Mindeststandard, 5 den Vorgaben für Bio. Und sechs Jahre nach der Einführung gibt es immerhin einen Trend. So werden in den teilnehmenden Supermärkten mehr Produkte in höheren Haltungsformen angeboten und gekauft, wie die Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung mitteilt, die die Kennzeichnung vornimmt.

Beim Schweinefleisch werden zudem nur noch sehr wenige Produkte der Stufe 1 angeboten. Im Jahr 2023 (aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor) waren es nur 1,5 Prozent des gesamten Angebots. Demgegenüber machte die Haltungsstufe 2 ("Stall + Platz") immerhin 90,5 Prozent aus. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Hähnchen und Puten: Rund 90 Prozent (89,8 beziehungsweise 91,5 Prozent) entstammen hier der Haltungsstufe 2. Bei Rindfleisch dagegen kommen noch immer drei Viertel der Produkte im SB-Regal aus der niedrigsten Haltungsstufe. Auch an der Bedientheke sind es immer noch mehr als die Hälfte. Bei den Milchprodukten stammen zwar mehr als 41 Prozent aus der Haltungsform 3 ("Frischluftstall"). Dafür tragen knapp 45 Prozent überhaupt keine Kennzeichnung.

Und wie steht es um das Mehr an Tierschutz in den Ställen, das der Einzelhandel seinen Kundinnen und Kunden verspricht?

Dr. Patrick Klein von der Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung stellt zunächst klar: Tierschutz ist nicht dasselbe wie Tierwohl. "Der Tierschutz ist gesetzlich geregelt. Gegen den Tierschutz darf in keiner Haltungsformstufe verstoßen werden." Das Tierwohl dagegen beziehe sich auf die Tiergesundheit, die Möglichkeit zu artgerechtem Verhalten und die Freiheit von unnötigem Leid. Die Haltungsform gebe hier nur einen "gewissen Rahmen" vor. Doch der sei über die Jahre "sicherlich besser geworden, weil durch die Haltungsformkennzeichnung das Tierwohl beim Einkauf im Bewusstsein der Verbraucher angekommen ist". Immerhin kennen laut einer Forsa-Umfrage 80 Prozent der Deutschen die Haltungsformkennzeichnung, 88 Prozent davon finden sie gut oder sehr gut.

Tierschutzbund: "Haltungsformkennzeichnung bringt nicht mehr Tierschutz"

Dass der Handel mit seiner Kennzeichnung vorgeprescht ist, begrüßten zunächst auch die Tierschutzverbände. Sie sorge immerhin für mehr Transparenz und eine "grobe Orientierung für Verbraucherinnen und Verbraucher", erklärt Nadja Wattad vom Deutschen Tierschutzbund. Mehr Tierschutz in den Ställen bringe sie allerdings nicht. "Faktoren wie Transport und Schlachtung, tierbezogene Kriterien – die Aufschluss darüber geben, wie es einem Tier wirklich ging – werden bei der Eingruppierung in eine der fünf Haltungsformen gar nicht berücksichtigt", bemängelt Wattad. Zudem blieben wesentliche Tierschutzaspekte unberücksichtigt, darunter das Schwänze- und das Schnäbelkürzen, der Transport oder die Schlachtung.

Beim Deutschen Tierschutzbund erkennt man noch ein anderes Problem: "Die Stufen 1 und 2 benötigen unbedingt ein Ablaufdatum", sagt Wattad. Und sieht hier nicht nur den Lebensmittel-Einzelhandel in der Verantwortung. Sondern auch den Gesetzgeber.

Erst im Mai dieses Jahres kam ein im Auftrag von Greenpeace erstelltes Rechtsgutachten zu dem Schluss: Die beiden niedrigsten Haltungsformen in der Schweinemast sind mit dem Tierschutzgesetz nicht vereinbar. So werden Schweinen mit einem Gewicht zwischen 50 und 110 Kilogramm in der Haltungsform 2 nur 0,094 Quadratmeter mehr Platz zugestanden. Das entspricht etwa anderthalb DIN-A-4-Blättern. Schweine, die schwerer sind als 110 Kilogramm, erhalten etwa die Größe eines Backblechs zusätzlich. Die Grundbedürfnisse der Schweine würden in beiden Haltungsformen "unangemessen zurückgedrängt".

Tierschutzorganisationen sehen Gesetzgeber in der Pflicht

Handlungsbedarf beim Gesetzgeber sieht auch die Tierschutzorganisation Provieh: "Insgesamt müssen durch Anpassungen im Tierschutzgesetz und durch die Aufnahme von allen landwirtschaftlich gehaltenen Tierarten und Gruppen in die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung Fakten geschaffen werden", sagt Kathrin Kofent. Denn zurzeit gebe es weder für Milchkühe noch für Mastrinder und Puten gesetzliche Mindestvorgaben. "Parallel dazu müssen Bund und Länder durch erhöhte Kontrolldichten sowie eine verschärfte Durchsetzung bestehender Vorschriften Tierleid eindämmen und ein klares Zeichen pro Tier setzen," sagt Kofent.

Tierleid eindämmen – dafür plädiert auch Foodwatch. In einem Report aus dem Jahr 2023 wies die Verbraucherschutzorganisation darauf hin, dass Haltungsvorschriften allein wenig darüber aussagen, wie es einem Tier vor seiner Schlachtung ging. Kranke Tiere gebe es in allen Haltungsstufen. Es brauche ein umfassendes Gesundheitsmonitoring, eine Bewertung des betrieblichen Gesundheitsmanagements – und Anreize und Sanktionen für Betriebe, die Tiere züchten oder mästen.

Für seine Analyse stützte sich Foodwatch auf wissenschaftliche Studien. Aus Undercover-Recherchen ist längst bekannt: Missstände, kranke und verletzte Tiere gibt es auch in Haltungsformen, die höhere Tierschutzstandards garantieren. Erst im Mai dieses Jahres hatten Aktivistinnen und Aktivisten Filmaufnahmen aus Schweinemastanlagen der Haltungsformen 3 und 4 an die Öffentlichkeit gebracht. In 21 Fällen gab es Beanstandungen, zwölf Tierhalter erhielten Strafanzeigen.