Müttergenesungswerk Wie Elly Heuss-Knapp das Leben von Millionen Müttern veränderte

Als Tochter aus gutem Haus war Elly Heuss-Knapp an Repräsentationsaufgaben gewöhnt. Die Rolle der "First Lady" flößte ihr dennoch Respekt ein. Hier nimmt sie auf der "Viktorshöhe", dem Wohnsitz des Bundespräsidenten, die Neujahrsglückwünsche der Hausangestellten entgegen
Als Tochter aus gutem Haus war Elly Heuss-Knapp an Repräsentationsaufgaben gewöhnt. Die Rolle der "First Lady" flößte ihr dennoch Respekt ein. Hier nimmt sie auf der "Viktorshöhe", dem Wohnsitz des Bundespräsidenten, die Neujahrsglückwünsche der Hausangestellten entgegen
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Elly Heuss-Knapp war die erste First Lady der Bundesrepublik. Sie erfand vor 75 Jahren die Mütter-Kuren

Zum 66. Geburtstag machte Elly Heuss-Knapp ihrem Ehemann ein ganz besonderes Geschenk. Sie verkündete es sogar in einer Rundfunkansprache, immerhin war ihr Gatte Theodor Heuss der erste deutsche Bundespräsident. Genau genommen war das Geschenk auch nicht für den Mann gedacht, sondern für Frauen und Mütter in Deutschland. Elly Heuss-Knapp erklärte im Radio, sie habe das Müttergenesungswerk gegründet: "Ob in einer Familie Licht oder Dunkel ist, das hängt in erster Linie von den Müttern ab."

Ostsee - Frauen beim Frühsport, Müttergenesungswerk in Dahmeshövel an der Ostsee, um 1952.
Ostsee - Frauen beim Frühsport, Müttergenesungswerk in Dahmeshövel an der Ostsee, um 1952.
© United Archives Gmb / akg-images

Das war vor 75 Jahren. Am 19. Juli 1952, nur zwei Jahre nach der Gründung, starb Elly Heuss-Knapp mit 71 Jahren in Bonn. Das Müttergenesungswerk besteht bis heute: Im Jahr 2023 haben mehr als 100.000 Mütter, Väter, pflegende Angehörige und Kinder an einer Kur teilgenommen.  Sie alle verdanken ihre Erholung einer besonderen Frau: Elly Heuss-Knapp war Lehrerin, Volkswirtin, Autorin und engagierte Sozialpolitikerin, sie setzte sich Zeit ihres Lebens für Bildung und soziale Sicherheit von Frauen und ihren Familien ein, auch als allererste First Lady der Bundesrepublik. 

Sie wird im späten Kaiserreich geboren, 1881 kommt sie als Elisabeth Elonore Anna Justine Knapp in Straßburg zur Welt. Ihr Vater ist der bekannte Staatswissenschaftler Georg Friedrich Knapp. Die Mutter sieht sie nur selten, sie ist psychisch erkrankt und verbringt viel Zeit in Sanatorien.

Die Studentin Knapp hängt an den Lippen Friedrich Naumanns

Elly Knapp wächst vergleichsweise frei auf. Sie rast mit dem Fahrrad durch ihre Heimatstadt. Niemand sagt ihr, dass es sich für ein Mädchen nicht schicke, Fahrrad zu fahren. Also fährt sie einfach immer weiter, bereit, die Welt zu entdecken – und zu verändern.

Doch zunächst legt sie mit 18 Jahren, wie viele "höhere Töchter", das Lehrerinnenexamen ab. Und arbeitet fortan an einer  "Fortschrittsschule" für Mädchen, die nur die siebenjährige Volksschule besucht haben, praktischerweise ist Knapp auch Mitbegründerin der Institution. Sie erkennt in der Bildung eine entscheidende Voraussetzung für die Linderung von Armut und Überwindung der "sozialen Frage".

Elly Heuss-Knapp führt um die Wende zum 20. Jahrhundert für eine junge Frau ein ungewöhnliches Leben. Sie schreibt sich an der Universität für ein Studium der Volkswirtschaftslehre ein, hält politische Reden
Elly Heuss-Knapp führt um die Wende zum 20. Jahrhundert für eine junge Frau ein ungewöhnliches Leben. Sie schreibt sich an der Universität für ein Studium der Volkswirtschaftslehre ein, hält politische Reden
© Scherl / picture alliance

Erst ab 1900 erlaubt die Universität Freiburg Frauen den Zugang zum Studium. Elly Knapp unterbricht ihre Lehrtätigkeit und schreibt sich für ein Studium der Volkswirtschaftslehre dort ein. Kurz darauf wechselt sie an die Universität Berlin. Sie hält politische Vorträge und lernt den evangelischen Theologen Friedrich Naumann kennen. Knapp ist tief beeindruckt, mit welcher Wortgewalt Naumann liberale Politik predigt. 

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Elly Knapp arbeitet in Naumanns Wochenmagazin "Die Hilfe" mit und lernt schließlich in Naumanns Haus den drei Jahre jüngeren Journalisten Theodor Heuss kennen. Knapp findet ihn zunächst wohl eher langweilig und zu nörglig. Doch schließlich verlieben sie sich und heiraten 1908. Friedrich Naumann hält die Tischrede auf das Paar, die Trauung selbst übernimmt Albert Schweitzer.  

Auch als Mutter bleibt sie weiter berufstätig

Die beiden führen eine damals ungewöhnlich gleichberechtigte Ehe. 1910 veröffentlicht Elly Heuss-Knapp ihr erstes Buch, "Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre für Frauen". Im gleichen Jahr kommt ihr Sohn Ernst Ludwig zur Welt. Heuss-Knapp bleibt berufstätig, unterrichtet stundenweise und schreibt für Zeitungen und Zeitschriften.

Während des Ersten Weltkrieges gründet Elly Heuss-Knapp eine Arbeitsbeschaffungsstelle für Frauen, deren Männer im Krieg sind. Nach dem Kriegsende 1918 textet sie Plakate, die Frauen dazu aufrufen, von ihrem neuen Wahlrecht Gebrauch zu machen: "Frauen werbt und wählt. Jede Stimme zählt! Jede Stimme wiegt, Frauenwille siegt." Sie kandidiert selbst für den Reichstag, scheitert jedoch knapp.

Elly Knapp und Theodor Heuss lernten sich Anfang der 1900-Jahre im Haus des Theologen Friedrich Naumann kennen. Später führen sie eine gleichberechtigte Ehe 
Elly Knapp und Theodor Heuss lernten sich Anfang der 1900-Jahre im Haus des Theologen Friedrich Naumann kennen. Später führen sie eine gleichberechtigte Ehe 
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1933 verändert sich das Leben in der Familie Heuss. Beide dürfen nun keine politischen Schriften mehr publizieren, Theodor Heuss wird gezwungen, seine Lehrtätigkeit an der Universität aufzugeben. Seine Frau hält in diesen Jahren die Familie über Wasser. Sie erfindet den "Werbejingle" für das deutsche Radio, dichtet Lieder für Waschmittel und Halstabletten. Ihr Mann Theodor hilft aus und spricht mit seiner sonoren Stimme einen Spot für Nivea ein. 

Das Kriegsende erlebt die Familie in Süddeutschland. Das Land ist nun geteilt und besetzt, die Bevölkerung traumatisiert. Die Städte liegen in Trümmern, Familien sind zerrissen. Das Ehepaar Heuss-Knapp schließt sich den baden-württembergischen Liberalen an und sitzt ab 1946 gemeinsam im Stuttgarter Landtag. Dort setzt sich Elly Heuss-Knapp für Schulkinder ein: Sie sollen jeden Tag wenigstens eine Mahlzeit bekommen und nicht weiter mit über 50 anderen Kindern in einer Klasse sitzen.

Ihr Freund Friedrich Naumann fertigt eine Karikatur zu Elly Heuss-Knapps Lebensführung an: Sie vereint Hausarbeit und Berufstätigkeit
Ihr Freund Friedrich Naumann fertigt eine Karikatur zu Elly Heuss-Knapps Lebensführung an: Sie vereint Hausarbeit und Berufstätigkeit
© Wiki Commons

Bald deutet sich an, dass Theodor Heuss in der neu zu gründenden Bundesrepublik der erste Bundespräsident werden könnte. Elly Heuss Knapp blickt der kommenden Aufgabe durchaus mit Sorge entgegen, sie ist gesundheitlich bereits angeschlagen. Allerdings sieht sie auch die Möglichkeiten, die sich ihr als erste Dame im Staat eröffnen. "Ich mache eine Aktion für die Mütter", schreibt sie einer Freundin, noch bevor die ersten Wahlen in Deutschland abgehalten werden. 

Sie freut sich kurz nach der Gründung: "Es läuft gut an"

Schon im Juli 1949 hat Heuss-Knapp bei einer Tagung in Nürnberg Antonie Nopitsch kennengelernt und war "so entzückt wie schon seit vielen, vielen Jahren nicht mehr". Die evangelische Sozialwissenschaftlerin Nopitsch hatte bereits den Bayrischen Mütterdienst gegründet. Gemeinsam entwickeln Heuss-Knapp und Nopitsch die Idee, diesen "Dienst für die Mütter" auf ganz Deutschland auszuweiten. Die Jahre des Krieges und die Nachkriegszeit seien verheerend gewesen für viele Mütter, schreibt Elly Heuss-Knapp. "Sie haben oft noch ihre eigenen kümmerlichen Rationen mit den Kindern geteilt - und viele sind noch in dieser Lage, das alles rächt sich nun an ihrer Gesundheit, und zwar an ihrer Gesundheit des Leibes und der Seele."

Der Weg zur Kur

Die Mutter-Kind-Kuren und Vater-Kind-Kuren sind eine Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine Kur dauert in der Regel drei Wochen. Sie wird vom Arzt mit einer medizinischen Verordnung verschrieben und dann bei der Krankenkasse beantragt. Die Beratungsstellen des Müttergenesungswerks informieren und unterstützen auf dem Weg zur Kur. Die nächstgelegene der etwa 900 Beratungsstellen sind auf der Internetseite des Deutschen Müttergenesungswerks zu finden.

Am 31.Januar 1950 ist es schließlich so weit. Die Stiftung des Müttergenesungswerkes wird von fünf Verbänden getragen: den Frauengruppen der evangelischen und der katholischen Kirchen, der Arbeiterwohlfahrt, dem Deutschen Roten Kreuz und dem paritätischen Wohlfahrtsverband. Das Stiftungskapital beträgt zunächst 20000 Mark. Für die erste Werbekampagne leiht eine Bank 60000 Mark. Elly Heuss-Knapp bürgt mit ihrem Namen. "Es läuft gut an", schreibt sie wenige Wochen nach Beginn der Arbeit in einem Brief.

Traditionell übernimmt die Ehefrau des Bundespräsidenten die Schirmherrschaft über das Müttergenesungswerk. Im Moment ist das Elke Büdenbender, hier zu Besuch in  der Mutter-Kind-Kurklinik "Stella Maris" in Kühlungsborn
Traditionell übernimmt die Ehefrau des Bundespräsidenten die Schirmherrschaft über das Müttergenesungswerk. Im Moment ist das Elke Büdenbender, hier zu Besuch in  der Mutter-Kind-Kurklinik "Stella Maris" in Kühlungsborn
© Jens Büttner / picture alliance

Elly Heuss Knapp stirbt im Jahr 1952, nur wenige Jahre war sie die First Lady der Bundesrepublik. Das Müttergenesungswerk – die "Elly Heuss Knapp Stiftung" – ist jedoch heute Trägerin von 72 Einrichtungen für Kuren. Immer noch geht es um eine ganzheitliche Vorsorge, Erholung und Nachsorge für die Mütter. Und traditionell bekleidet die Partnerin des Bundespräsidenten das Amt der Schirmherrin, momentan ist das Elke Büdenbender, die Frau von Frank-Walter Steinmeier. 

Seit 1983 gibt es die fast sprichwörtlichen Mutter-Kind-Kuren, seit 2013 werden auch Maßnahmen für Väter und pflegende Angehörige angeboten.  Mehr als vier Millionen Mütter hat das Müttergenesungswerk seit 1950 auf Kur geschickt. Für Elly Heuss-Knapp war die Gründung die Vollendung ihres lebenslangen Engagements. Kurz vor ihrem Tod schrieb sie ihr "Vermächtnis an das Deutsche Müttergenesungswerk": "Das war die Krönung meines Lebens" Und: "Ich schicke Ihnen allen einen herzlichen Gruß."